VIII. beethoven.

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Langsam rührte ich die warme Milch in den Tee und schaute zu, wie sich die Explosionswolke auflöste, sich in eine sanfte braune Landschaft verwandelte.

Ein kleines Kunstwerk für sich.

Ich hatte mir die Kopfhörer in die Ohren gesteckt und hörte dem lauten Orchester zu, wie es wild versuchte, zusammen eine gemeinsame Melodie zu finden.

»Erdbeerglashäuser«, flüsterte ich leise vor mich hin und öffnete den fast vollen Collegeblock auf einer neuen, sauberen Seite. Mein Kugelschreiber klickte.

Normalerweise saß ich am Sonntag in der kleinen Zeitung um die Ecke und schrieb meine Artikel, aber da heute niemand in der Redaktion gewesen war, der mich aufhalten hätte können, war ich in das kleine Kaffeehaus nebenan spaziert.

Und hatte ganz schön zu fluchen angefangen, als es mitten am Weg wieder zu regnen begonnen hatte. Mit meinem Orchester in den Ohren hatte ich die aufreißende Himmelsdecke willkommen geheißen und bin vollkommen durchnässt angekommen.

Elias hatte, als er mich entdeckt hatte, sofort einen Tee gebracht. 

Eigentlich bevorzugte ich Kaffee, aber ich konnte nicht nein sagen, nicht bei seinem vielsagenden Blick. Auch nicht, als er noch eine Decke gebracht hatte, eine der schönen. »Dass du dich nicht noch verkühlst«, hatte er nur belustigt hinzugefügt.

Jetzt saß er mit einer Hand in den sandfarbenen Haaren vergraben hinter der Theke und schien irgendetwas zu schreiben. Genauso wie ich. Abgelenkt schaute ich wieder auf meinen eigenen Block hinunter und klopfte dann mit dem Kulli gegen das Papier.

Keinen Kaffee und meine Zigaretten hatte ich auch in der Redaktion vergessen — mein Konzentrationsspiegel war am Boden, meine Augen brannten.

Missmutig rieb ich mir über den Nasenrücken und beobachtete, wie draußen langsam die Sonne unterging. Lose Blätter fegten über die Straße und ein Mann ging vorbei, sein Hut wurde ihm fast davongeweht.

Es donnerte und ich blickte wieder zu Elias, der jetzt seufzend seine Stirn auf die Theke gelegt hatte. Na, da war jemand aber ganz schön verzweifelt.

Ohne viel nachzudenken, stand ich auf und schlenderte durch den fast leeren Raum, die Hände tief in den Taschen vergraben.

»Verzweifelt? Misérable?«, fragte ich laut, als ich mich auf den Hocker vor ihm fallen ließ und sein Kopf schnellte in die Höhe, ein roter Abdruck auf seiner Wange.

»Oh«, sein Blick glitt kurz über mein Gesicht und er richtete sich verlegen auf, »ich hab dich gar nicht kommen hören, sorry.«

Dann seufzte er noch einmal tief und klappte den Block zu. Sein Ansatz war in der Woche eine Spur nachgewachsen, die Brauen zusammengezogen.

»Aber ja, verzweifelt trifft es ganz gut«, er schaut zu mir und ich zog einen Mundwinkel nach oben, meine Ellbogen waren auf der Theke abgestützt. Ich wusste nicht, wo mein ganzes Selbstbewusstsein so plötzlich herkam, es war schon fast, als wäre ich ein anderer Mensch.

»Brauchst du Hilfe?«

»Ich glaube kaum, dass du mir da wirklich helfen kannst«, gab er zu und lehnte sich auf dem Stuhl zurück, das Hemd wie immer hochgekrempelt. Seine Finger waren heute wieder mit Tintenflecken übersehen und unbewusst drehte er eine Füllfeder zwischen den Fingern, hin und her. Es war schon fast ein bisschen hypnotisierend.

»Bei was?«, fragte ich nach und er lehnte sich wieder nach vorne, unsere Hände berührten sich fast. Elias seufzte.

»Chemie«, murrte er und ich zog meine Brauen in die Höhe. »Warte«, ungläubig schüttelte ich meinen Kopf, »sag nicht, du studierst das.«

Elias verzog seinen breiten Mund leidlich. »Doch. Leider. Erstes Jahr und ich bereu es schon ein wenig.«

»Wow. Okay, um ehrlich zu sein, hätte ich dich eher...«, meine Stimme ging verloren und Elias schaute mich fragend an. Seine honigbraunen Augen waren heute dunkel.

»Was?«

»Ich hätte dich mehr für so eine literarische Person eingeschätzt«, schmunzelte ich dann und er warf den Stift ergebend auf hin. »Wahrscheinlich hätte ich das auch machen sollen, man.«

»Mach dir nicht so einen Kopf«, aufmunternd legte ich meine kalte Hand auf seinen Unterarm und erstarrte, als mir bewusst wurde, was ich gerade machte.

»Uhm, sorry«, murmelte ich ein bisschen verlegen und zog sie schnell zurück. Elias legte seinen Kopf schief.

»Für was?«

Ich zuckte mit den Schultern und griff ablenkend nach dem losen Kopfhörer. »Willst du?«

Elias berührte meine kalten Finger, als er nach dem weißen Stöpsel griff und ich drückte wieder auf Play. Fünfte Symphonie. Ein ganz großes Orchester.

Für einen Moment kniff er seine Augen zusammen, bevor er begann, breit zu grinsen.

»Was ist?«, fragte ich mit offenem Mund und er schaute mich ganz offen und lächelnd und einfach... schön an. »Ich hätte dich einfach nicht für den klassischen Typen gehalten.«

Verwirrt strich ich mir eine dunkle Locke aus der Stirn und verschränkte dann die Arme vor der Brust. »Danke.«

Elias Gesicht verwandelte sich innerhalb einer Sekunde von belustigt zu entsetzt, seine Hand schnellte vor und legte sich auf meine.

»Oh shit, sorry, es war nicht so gemeint, Ariste, ich—«

Verwirrt blickte ich ihn an und begann dann leise zu lachen, die Klaviermusik im Hintergrund und seine warme Hand noch immer auf meiner.

»Alles gut, ich weiß, ich seh mehr aus wie der Zigaretten rauchende Punk«, unterbrach ich ihn und zog einen Mundwinkel in die Höhe, seine Schultern fielen erleichtert nach unten.

»Okay, gut«, er atmete aus und lächelte mich dann an und es war irgendwie so, als würde mich die warme Sonne anstrahlen. Ein bisschen Vitamin D süchtig schaute ich ihn an und realisierte wieder einmal, wie schön er eigentlich war, wenn er glücklich war.

»Uhm, ich hab in einer Viertelstunde aus«, sagte er dann plötzlich und ich zuckte verlegen zusammen, aus meinen Gedanken gerissen.

»Willst du vielleicht noch was machen?«

Ich nickte langsam, versuchte nicht zu aufgeregt zu wirken. »Meine Wand zuhause muss noch gestrichen werden... willst du vielleicht helfen?«

Und als er mich dann wieder anlächelte, realisierte ich, dass seine Hand noch immer auf meiner lag.

ZIGARETTENWhere stories live. Discover now