Kapitel 18

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Kapitel 18

An meinem letzten Tag als ledige Frau wurde die Obduktion der dritten Leiche beendet und sie wurde zur Bestattung freigegeben. Es war ein Mann im mittleren Alter. Er war groß und breit gebaut, mit stark ausgeprägten Muskeln. Ein Mensch, mit dem sich niemand freiwillig anlegen würde. Hugo, so hieß er, wurde häufig als Wachmann angestellt. Man kannte ihn aufgrund dessen. Und auch, weil er vor wenigen Tagen herum posaunte, dass ihn dieser Mörder keine Angst einjagte und er trotzdem nachts das Haus verlassen würde. Rückblickend war das nicht seine beste Entscheidung. Denn nun lag sein Leichnam, mitsamt den typischen Bisswunden am Hals, tief unter der Erde.
"Ich kann es einfach nicht glauben! Hugo ist der stärkste Mann in der Stadt! Niemand wäre ihn in einer direkten Konfrontation überlegen." Laut tat ich meinem Entsetzen kund, als Elise mir dabei half meine Haare zu flechten. Die Locken, die entstehen würden, wollte ich morgen in einer lockeren Hochsteckfrisur tragen.
"Hatte er nicht sogar ein blaues Auge? Die Leute sagen, dass er das vor seinem Tod nicht hatte." Elise biss sich konzentriert auf die Unterlippe und flocht weiter.
"Sie mussten gekämpft haben. Ob in der Stadt irgendjemand mit Verletzungen aus einer Schlägerei herum läuft?" fragte ich in den Raum. Ich wollte gar nicht wissen, wie Hugos Gegenüber zugerichtet war, falls die beiden wirklich gekämpft hatten.
"Ich weiß zumindest von niemanden." Als meine Haare in lange Zöpfe verwandelt worden waren, begann ich mein Gesicht mit einer edlen Lotion einzucremen. Ein Dienstmädchen hatte mir diese gebracht. Sie meinte, dass meine Haut dadurch rosiger würde. Ich hatte sie nun drei Tage ausprobiert und bildete mir tatsächlich ein, dass sie recht hatte. Meine Haut war reiner und gesünder. Sonst wirkte sie immer etwas blass und kränklich. Aber seit einigen Tagen erstrahlte sie förmlich. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich genug und vor allem abwechslungsreich zu Essen bekam. Die Tage an denen ich nur an einem kleinen Stück Brot zu knabbern hatte, waren vorbei. Ich bekam so viel zu Essen, wie ich nur wollte. Das zeigte sich auch, denn ich hatte bereits ein paar Kilogramm zugenommen. Etwas, dass ich nur zu gern an mir sah. Zwar konnte man immer noch meine Rippen zählen, doch meine Figur war eindeutig kurviger geworden. Besonders meine Hüfte wirkte breiter, welche zuvor kaum eine Rundung hatte. Außerdem hatte ich viel mehr Energie. Mir war zuvor nie aufgefallen, wie müde ich ständig war. Doch nun hatte ich den Vergleich und konnte mir nicht mehr vorstellen auch nur einen einzigen Tag wieder so leben zu müssen.
"Genug von diesen ganzen Morden." sagte Elise streng. "Morgen ist der Tag der Tage! Meine kleine Schwester wird heiraten! Ich werde noch ganz sentimental..." Sie strich sich mit dem Finger eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel. Gut so. Denn morgen würden wir noch genug Tränen vergießen. Freudentränen.
"Du darfst auf keinen Fall mehr weinen als ich, Elise. Immerhin bin ich die Braut!" Elise lachte auf.
"Das kann ich dir nicht versprechen. Aber im Gegenzug darfst du dann auf meiner Hochzeit so viel heulen wie du magst." Dieses Mal musste ich lachen.
"Das hätte ich gerne schriftlich." verlangte ich. Der Gedanke an die Hochzeit meiner Schwester machte mich glücklich. Wir hatten bereits als Kinder bestimmt, dass die jeweils andere Trauzeugin wurde und so führten wir es auch durch. Es würde so schön werden. Ein Teil des schönsten Tages meiner Schwester zu sein, machte schon jetzt meine Augen glasig.
"Bekommst du! Sag mal, kommt Nathan heute noch?" Elise stand von ihrem Hocker auf und strich sich über den nachtblauen Rock.
"Nein. Vor der Hochzeit dürfen sich Braut und Bräutigam doch nicht sehen. Das bringt Unglück." erklärte ich ihr. Besonders Abergläubisch war ich nicht, doch diese Tradition gefiel mir. So wurde der Moment am Altar, wenn man sich endlich wieder sah noch einzigartiger.
"Daran könnte ich mich nie halten. Aber ich würde es wahrscheinlich auch nicht schaffen keusch zu bleiben. Vor allem nicht, wenn ich mit meinem Zukünftigen unter einem Dach leben würde." Ich wurde ein wenig rot. Für mich war es auch nicht einfach.
"Es ist aber auch ein sehr großes Dach. Hier läuft man sich kaum zufällig über den Weg." versuchte ich mich rauszureden.
"Hm... Trotzdem hätte ich die Disziplin nicht." sie grinste mich an. Wie konnte sie noch keinen Ehemann haben? Es war mir ein Rätsel. Um eine Frau, wie Elise müssten sich die Männer doch reißen.
"Wir sind ja auch nicht lang verlobt." versuchte ich es weiter, doch sie schüttelte nur den Kopf.
"Nicht kürzer als die meisten Anderen auch." Ich lachte. Sie ließ mir keine andere Chance, als mir einzugestehen, dass Nathan und ich eventuell doch Selbstdisziplin besaßen. Ich hatte eben auch viel zu verlieren.
"Hoffentlich kann ich heute Nacht überhaupt schlafen. Ich bin so nervös." Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und betrachtete die strahlend weiße Decke.
"Wenn du willst, hole ich aus der Küche einen Baldriantee für dich." bot sie an, doch ich lehnte ab.
"Das brauchst du nicht. Ein Dienstmädchen hat bereits ein Beutelchen mit Lavendel auf mein Kopfkissen gelegt."
"Hier wirst du wirklich umsorgt." Sie lächelte und legte mir eine Hand auf die Schulter. Sie sah mein Spiegelbild an und ich ihres.
"Das stimmt. Um ehrlich zu sein, es ist manchmal wirklich lästig. Ständig werden mir Aufgaben abgenommen. Nicht mal allein baden soll ich, aber darauf bestehe ich." Ich schmunzelte. Es war nicht einfach sich umzugewöhnen, wenn man früher alles selbst getan hatte.
"Wenn du es darauf anlegen würdest, müsstest du dir nicht mal mehr den Hintern selbst abputzen." kicherte Elise, für die es genauso unvorstellbar und lächerlich war wie für mich. Manche verlangten das tatsächlich von ihren Angestellten, zumindest hatte ich das unter hervorgehaltener Hand gehört. Dabei dachte ich immer, dass Adelige so viel Stolz hatten und ihnen ihr Ruf so wichtig war. Wahrscheinlich war das nur bei anderen Adeligen der Fall.

Nachts lag ich noch lange im Bett und genoss die Dunkelheit. Diese reizlose Umgebung war wie ein Segen, wenn ich an den morgigen Tag dachte. Es würde so viel passieren und so viele verschiedene Menschen würden anwesend sein. Zwar zu einem großen Teil nur Fremde, doch damit hatte ich mich bereits abgefunden. Denn durch ein einziges Wort von Nathan wurde mir erlaubt ebenfalls Freunde aus der Stadt einzuladen. Normale Bürger, wie man sie nicht bei einer Heirat in dieser Klasse erwarten würde. Es waren nicht besonders viele, doch die wichtigsten Personen würden mit mir feiern. Zu schade, dass Irene nicht mehr dabei sein kann...
Ich kuschelte mich eng an die Daunendecke. Sie hielt mich so warm, dass ich nicht mehrere Schichten an Kleidung trugen musste, sondern nur ein kurzes und dünnes Gewand. Zuhause wäre das unvorstellbar gewesen.
Meine Gedanken schweiften ziellos umher und blieben nach einiger Zeit an meiner Schwiegermutter hängen. Mir wurde erst jetzt bewusst, dass ich sie seit einiger Zeit nicht mehr gesehen hatte. Nathan sagte zwar, dass sie manchmal sehr einzelgängerisch sein könne, doch es kam mir trotzdem seltsam vor. Wir kannten uns kaum und doch hatte sie nichts dagegen, dass ich morgen ihren einzigen Sohn heiraten würde. Er hatte einmal gesagt, dass sie nur Interesse an Enkelkindern habe, doch das wäre ein guter Grund um mich kennenzulernen, oder etwa nicht? Mir ließen ebenfalls die kleinen Wunden an ihrem Hals keine Ruhe, die ich vor einiger Zeit gesehen hatte. Ob sie etwas damit zu tun hatten? Ich drehte mich einmal herum und betrachtete die dunklen Schatten des Zimmers. Den Schreibtisch gegenüber konnte ich gerade noch erahnen, aber alles andere wurde vollständig von der Schwärze eingesogen. Falls sich irgendjemand hier aufhalten würde, ich hätte keine Chance ihn zu erkennen. Ich schmunzelte. Im Dunkeln wurde ich manchmal paranoid und jagte mir mit meinen eigenen Gedanken Angst ein. Eine schlechte Eigenart, doch heute wollte ich sie nicht zulassen. Niemand könnte in dieses Anwesen einbrechen und schon gar nicht in mein Zimmer. Nein. An jeder Ecke gab es Angestellte, die ihre Augen offen hielten und niemand Fremden hinein lassen würden. Sogar meine Familie hatte ich deshalb hier einquartiert. Nirgends war es sicherer.

Der süße Geschmack von BlutWhere stories live. Discover now