Kapitel 9

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Kapitel 9

Nachdem ich im Anwesen des Grafens umher gewandelt bin und verzweifelt nach dem Ausgang gesucht hatte, wurde ich nach einer gefühlten Ewigkeit fündig. Zum Glück hatte ich mich nicht verlaufen. Die Musik des Ballsaals schallte mir nach einiger Zeit entgegen und ich musste ihr nur noch folgen.
Die Tanzfläche hatte sich geleert. Die meisten Gäste standen am Rand und tranken aus ihren Gläsern. Sie lachten vereinzelt und schienen eine Menge Spaß zu haben, auch ohne zu tanzen. Ich schritt so unauffällig wie möglich durch den Saal. Mein Ziel war es keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Scheinbar klappte es, denn kaum ein Gast sah in meine Richtung. Sie waren vertieft in ihre Gespräche.

Als ich ins Freie heraus trat, schlang ich sofort meine Arme um mich. Verdammt, war es kalt! Meine Jacke hatte ich bereits von einem der Angestellten wieder bekommen, doch warm hielt sie mich nicht. Sie bestand schließlich aus günstigen Materialien. Das Leben war ungerecht. Heute wurde mir das erst richtig klar, obwohl ich es immer gewusst hatte.
Im Schnellschritt durchquerte ich die Stadt. Die dunklen Gassen umging ich, weswegen mein Heimweg länger dauerte als tagsüber. Doch lieber erfror ich, als dass mich irgendein Kerl angriff und ausrauben wollte. Viel gab es bei mir nicht zu holen, doch der Anblick des Ballkleides erweckte andere Erwartungen. Ich wirkte so schon wie das perfekte Opfer.
Inzwischen taten mir auch meine Füße von den zu kleinen Schuhen weh. Über all drückte es und jeder Schritt macht es schlimmer. Dieser Heimweg war wirklich eine Qual.
Als ich gerade am Bäcker, in dem Elise arbeitete vorbei ging, hörte ich Schritte hinter mir. Abrupt drehte ich mich um und kam dabei fast aus dem Gleichgewicht. Wer war das? Ich war doch den ganzen Weg alleine gegangen. Hinter mir befand sich glücklicherweise niemand. Nur die dunkle Straße, in der einige Laternen flackerten. Offenbar hatte ich mich verhört. Vielleicht war es auch nur einer der Bäcker. Das Licht brannte in der Backstube schon, deshalb konnte es nur einer von ihnen sein. Mit wild klopfenden Herzen drehte ich mich um und atmete tief durch. Ich brauchte keine Angst haben. In dieser Kleinstadt wurde seit Ewigkeiten keine nächtlichen Raubüberfälle gemeldet. Hier kannte jeder jeden und würde die Person auch maskiert erkennen. Er würde eingesperrt werden, bevor er seine Beute nach Hause bringen könnte. Doch Angst war nicht immer logisch. Ich machte mich weiter meines Weges, als immer wieder meine Gedanken abdrifteten. Nathan... Ich hatte keine Zweifel daran, dass meine Entscheidung das Richtige war. Aber trotzdem fühlte ich mich mies. Ich hätte ihm keine Hoffnung machen dürfen. Hoffentlich traf es ihn nicht allzu schwer. Andererseits hatte er an jeden Finger eine Frau, die nur darum bettelten in sein Bett und eventuell auch in sein Leben gelassen zu werden. Er brauchte mich doch gar nicht.

Ich war erleichtert als ich endlich mein Zuhause sah. Ich legte noch einen Zahn zu und ehe ich mich versah stand ich im Flur und hängte meine Jacke an die Garderobe. Hier war es zwar auch kalt, aber nicht so frostig wie draußen. Mit immer noch schlotternden Knien ging ich in die Küche. Vielleicht fand ich dort etwas Gebäck, dass Elise von der Arbeit mitgebracht hatte. Nur etwas Süßes konnte meinen Abend noch retten. Dabei war er bis gerade eben gar nicht so schlecht. Hätte ich mich besser unter Kontrolle gehabt, wäre alles gut. Aber ich musste ja unbedingt mit Nathan den Ballsaal verlassen. Ich war so dumm.
"Guten Abend, Adeline." Meine Mutter saß in der Küche und betrachtete eine brennende Kerze auf dem Esstisch. Die Flamme flackerte fröhlich vor sich hin und spendete Wärme. Mit ihr hatte ich nicht gerechnet, weshalb ich sie kurz wortlos anstarrte.
"Wo warst du denn zu so später Stunde?" Sie musterte mein Kleid, welches sogar durch die kleine Lichtquelle der Kerze schimmerte.
"Nun... Ich war bei Flora, auch wegen einem Auftrag. Es ist ein bisschen später geworden als erwartet." stotterte ich vor mich hin. Wieso musste sie gerade heute um zwei Uhr nachts in der Küche sitzen? Sonst schläft sie um diese Uhrzeit längst.
"Bei Flora?" fragte sie skeptisch nach. Natürlich glaubte sie mir kein Wort. Zugegeben, ich war keine gute Lügnerin. Mit diesem Talent wurde Elise gesegnet.
"Du brauchst mich nicht anlügen. Ich weiß, dass du auf der Feier des Grafens warst. Aber wo kommt dieses Kleid her? Das ist doch viel zu teuer!" Natürlich. Es ging immer nur um Geld. Ich verstand meine Schwester, dass sie mit anderen nie darüber sprach. Es war in unserem Zuhause schon Gesprächsthema Nr.1, da brauchte man es nicht noch bei Anderen damit anfangen. Unser Bedarf war gedeckt.
"Das war ein Auftrag von Flora, aber sie konnte nicht auf die Feier. Sie wollte unbedingt, dass ich für sie hingehe. Sonst würde das Kleid verschwendet werden, hat sie gesagt." Meine Mutter nickte verstehend, "Sie zahlt aber trotzdem! Ich bringe es ihr morgen wieder und dann bekomme ich auch das Geld dafür." Sofort fing sie an zu lächeln. Die Sorgen um das Geld hatten sie verändert.
"Setz dich doch zu mir. Du siehst wirklich bezaubernd aus, meine Kleine." Ich kam ihrem Vorschlag nach und setzte mich ebenfalls an den Esstisch. Ihr Kompliment berührte mich. Sie war eine Person, die nur selten Lob aussprach oder Komplimente gab, aber wenn sie es tat, dann war es völlig ernst gemeint.
"Danke. Warum bist du eigentlich noch wach?" Ich stützte meinen Kopf mit meiner Hand. Es war ein langer Tag gewesen.
"Schlecht geträumt. Von deinem Vater." Ich nickte verstehend. Das passierte mir auch manchmal. Selbst nach all den Jahren. Schweigend saßen wir beieinander und starrten Löcher in die Wand. Ich wusste nicht was ich darauf hätte sagen sollen. Es war schlimm und würde immer schlimm bleiben. Ich griff nach ihrer Hand und drückte sie einmal. Sie drückte zurück.
"Du solltest besser eine Begleitung mitnehmen, wenn du schon auf Feste gehen musst. Gerade zu dieser Uhrzeit." Sie hatte Recht. Zwar war es objektiv betrachtet nicht besonders gefährlich, aber unwohl fühlte ich mich trotzdem. In dieser Dunkelheit umher zuwandern wäre mit jemanden bei mir bestimmt nicht ganz so gruselig. Doch heute hatte ich niemanden, der mich begleiten konnte. Es ging nicht anders, wenn ich auf das Fest gehen wollte. Meiner Mutter wollte ich aber keineswegs Angst einjagen. Sie war seit dem Tod meines Vaters viel vorsichtiger und ängstlicher, was ihre Töchter betraf. Das wollte ich nicht noch verstärken.
"Ja. Das wäre besser." Meine Mutter drückte ein letztes Mal meine Hand und lächelte mich an.
"Ich sollte besser wieder ins Bett. Morgen muss ich früh raus." Sie stand auf und ließ meine Hand los.
"Gute Nacht." Leise verschwand sie aus der Küche und ließ mich und die Kerze allein.
Gedankenlos starrte ich in das Flämmchen. Es war so schön. Selbst als kleines Mädchen war ich begeistert von Feuer. Die verschiedensten Farben, alle Rottöne dieser Welt und sogar Blau vereinten sich in diesem Element. Es war so farbenfroh und doch so zerstörerisch. Fast wie die Liebe. 

Der süße Geschmack von BlutWhere stories live. Discover now