Kapitel 15

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Kapitel 15

Die Bekanntgabe unserer Verlobung war in der gesamten Stadt ein riesiges Thema. Ein Graf, der weit unter seinem Stand heiratete, war allein schon eine große Sache, aber dann auch noch ein Mädchen, dass überhaupt nicht adelig war, das war für viele Menschen unvorstellbar. Jedes Mal, wenn ich das Haus verließ sprach mich mindestens eine Person darauf an und gratulierte mir zu diesem guten Fang. Fragen, wie ich es denn geschafft hatte, mir den Grafen zu schnappen, folgten sofort. Ich nahm es ihnen nicht übel. Die Meisten waren einfach nur neugierig und wollten nichts Böses. Doch nach einiger Zeit nervten mich die ständigen Fragerunden. Im Grunde ging es nämlich niemanden etwas an. Deshalb erzählte ich nur eine sehr ungenaue Geschichte, wie wir uns kennenlernten. Außer natürlich Flora. Sie wusste nach meiner Schwester und meiner Mutter am meisten darüber.

"Das ist wirklich der Hammer!" hatte sie gerufen, als sie mich besuchte. Ihre Erkältung war bereits verschwunden und sie war wieder die energetische Flora, die ich kannte. Gemeinsam saßen wir in der Küche und tranken Tee.
"Ich kann es immer noch nicht so ganz fassen." murmelte ich. Ob ich mich jemals daran gewöhnen werde?
"Wann wirst du denn zu ihm ziehen? Vor oder nach der Hochzeit?" fragte mich Flora weiter. Sie rührte nebenbei ständig ihren Tee um. Nur damit ihre Hände beschäftigt waren.
"So wie es aussieht davor. Nach der Hochzeit wollen wir direkt verreisen."
"Ohh! Wo geht es denn hin?" fragte Flora freudestrahlend. Sie wusste, dass ich nur einmal in meinem Leben verreist war. Damals war ich gerade einmal fünf Jahre alt. Ich konnte mich also nicht an jede Kleinigkeit erinnern, was wirklich schade war.
"Sein Onkel hat ein kleines Haus im Süden Frankreichs. Er würde es uns für die Flitterwochen zur Verfügung stellen." Ein ganzes Haus, nur für zwei Personen. Ich konnte es kaum erwarten dort mit Nathan tagelang alleine zu sein. Flora schien begeistert von dieser Idee, denn sie nickte energisch mit dem Kopf.
"Der Süden ist so schön, glaube mir! Besonders das Meer... Ach, Ich würde am liebsten mitkommen." Mit einem letzten Schluck war ihre Tasse geleert.
"Mit einem frisch verheiratetem Ehepaar? Keine gute Idee." Ich kicherte bei dem Gedanken. Wir sollten besser keine dritte Person dabei haben.
"Stimmt auch wieder. Ich würde euch Turteltäubchen nur stören. Eure Hochzeit ist am vierten Mai, oder? Den Tag muss ich mir dringend frei halten." Unsere Hochzeit war in weniger als 2 Monaten. In meiner Gegend war es nicht ungewöhnlich schnell zu heiraten. Den meisten Paaren wurde es sogar geraten. Der wichtigste Grund war dabei, dass man Mädchen schnell unter der Haube wissen wollte. Eine verheiratete Frau war schließlich eine abgesicherte Frau. Das Risiko, dass dem Mann etwas passieren könnte, war einfach zu groß, als das man lange verlobt blieb. Der Bund der Ehe sollte schnell geschlossen werden.
"Stimmt. Ich werde ein wenig nervös, wenn ich daran denke." Ich befürchtete meine Rolle als adelige Ehefrau nicht anständig auszufüllen. Außerdem wusste ich nicht was mich erwartete. Nathan versuchte mir immer wieder einzureden, dass ich mir keine Sorgen machen müsste, doch so einfach war es nicht. Für ihn würde sich nicht viel ändern, außer, dass er verheiratet wäre. Aber ich musste umziehen, in ein riesiges Haus mit unzählbar vielen Angestellten, an mich würden Anforderungen gestellt, die ich noch gar nicht kannte und die Blicke der gesamten Stadt würden auf mir haften.
"Wenn du keine Angst hättest, würde ich mir eher Sorgen um dich machen. Die Nervosität zeigt doch erst wie wichtig es dir ist." Sie legte ihre Hand sachte auf meine. Flora hatte recht. Jeder Braut würde es mehr oder minder so gehen wie mir.

Nach dem Besuch meiner besten Freundin machte ich mich auf den Weg zu Nathan. Seine Mutter hatte heute ein Dinner geplant. Wir sollten die Gerichte für die Hochzeit probieren und eines aus ihnen auswählen. Ich hatte seine Mutter bereits ein paar Mal gesehen, doch eine längere Unterhaltung hatte ich mit ihr nicht geführt. Das hatte sich noch nicht ergeben. Deshalb hoffte ich sehr, dass ich heute einen guten Eindruck machen würde. Ich hatte sogar mein bestes Kleid angezogen. Zwar sah ich in diesem auch arm aus, aber es war wenigstens nicht mehrere Jahre alt.
Am Tor wurde ich von einem der Angestellten freundlich begrüßt.
"Guten Tag, Madame. Der Graf erwartet Sie bereits." Er öffnete mir das Tor und ließ mich in den Innenhof. Der Diener, der mir die Eingangstür aufhielt, begrüßte mich ebenfalls höflich. Ich hatte das Gefühl, dass die meisten der Angestellten entspannter mit mir umgingen, als mit Nathan oder seinen Gästen. Wahrscheinlich lag es an meinem niedrigen Stand. Ich stammte aus einer einfachen Familie, genau wie sie. Eigentlich standen sie noch weit über mir, denn sie mussten sich nicht um Nahrung sorgen und hatten mehr Geld zur Verfügung.
Ich wandelte durch die Gänge des Hauses. Nathan hatte mir vor einigen Tagen eine lange Führung gegeben und so langsam fand ich mich zurecht. Trotzdem hätte ich gerne eine Beschilderung der Räume und eine Karte bekommen. Das würde mir das Leben hier stark vereinfachen.

"Adeline!" Nathan kam sofort auf mich zu als ich den Raum betrat und gab mir einen Kuss. Er schmeckte süß, als hätte er bereits die Desserts getestet. Als wir uns von uns lösten, entdeckte ich seine Mutter, die am Esstisch saß und zu uns herüber blickte. Ihr Blick war irgendwie leer, als wäre sie in ihren eigenen Gedanken versunken. In ihrer Hand befand sich ein Glas mit blutrotem Wein. Gemeinsam mit Nathan setzten wir uns zu ihr an den Tisch. Daraufhin wurde bereits das erste Gericht serviert. Coq au Vin, nannte der Angestellte es. Nathans Mutter beachtete das Essen nicht, sondern betrachtete mich eingehend.
"Schön, dass du hier bist." sagte sie zu mir. Ich stutzte, denn ihre Stimme war so unruhig, dass mir ein Schauer über den Rücken lief. Im Versuch es mir nicht anmerken zu lassen, antworte ich ihr.
"Es freut mich auch sehr hier zu sein, Madame." Ihre Hand zitterte ein wenig als sie die Gabel hob und etwas von dem Essen probierte. Vielleicht ging es ihr einfach nicht gut heute. Jeder hatte mal einen schlechten Tag.

Am Ende des Abends, wir hatten vier verschiedene Gerichte probiert, fiel mir die Auswahl nicht leicht. Es hatte alles so gut geschmeckt, dass ich Nathan und seiner Mutter die Wahl gelassen. Sie fanden das Coq au Vin am besten, das erste Gericht. Eine Mahlzeit mit Hühnchen und Rotweinsoße. Ich hatte Soße mit Wein darin noch nie gegessen, doch es schmeckte tatsächlich weniger stark nach Alkohol, als ich erwartete.
Die Krönung des ganzen Essens waren allerdings die Desserts. Das einzig Süße, was ich in den letzten Jahren gegessen hatte, waren Windbeuel aus der Bäckerei. Doch die verblassten im Vergleich zu der Panna Cotta, die mir heute aufgetischt wurde. Sie schmeckte nach Vanille und war mit einer warmen Soße aus Beeren übergossen. Einfach perfekt! Besonders, da es nach dem langen Winter eigentlich noch keine Beeren gab. Meine Entscheidung war getroffen.

"Ist deine Mutter immer so still?" fragte ich Nathan, bei dem ich mich eingehakt hatte. Wir waren auf dem Weg in den Garten, um noch ein wenig die Sterne zu betrachten. Neben der Begrüßung, die sich an mich gerichtet hatte, war sie den gesamten Abend still geblieben. Das Essen ausgewählt hatte sie nur mit Kopf schütteln oder Nicken.
"Ich glaube, es geht ihr nicht gut. In letzter Zeit zittert sie so viel und kann sich nicht lange konzentrieren." erklärte er, worauf ich nickte. Ihr war sehr oft die Gabel heruntergefallen, fiel mir gerade auf. Außerdem hatte sie von jedem Gericht nur einen Bissen genommen. Es war wirklich seltsam. Ich konnte mich im Gegenzug kaum davon abhalten jeden der kleinen Probierteller aufzuessen, es war einfach zu gut. Außerdem wollte ich das Essen nicht verschwenden. Es war viel zu wertvoll für den Müll.
"Denkst du sie ist krank?"
"Ich hoffe nicht. Aber es könnte gut sein. So ist sie sonst nicht." sagte er mit sorgenvoller Stimme. Sie war als einzige von seinen Eltern noch übrig, genau wie meine Mutter. Das hatten wir gemeinsam.

Es war ein Tabu mit jemanden in einem Bett zu schlafen, wenn man noch nicht verheiratet war, weswegen Nathan mich in ein Gästezimmer brachte.
"Ich kann auch zuhause schlafen. Du hättest das Zimmer nicht für mich herrichten brauchen." versuchte ich ihm zu erklären. Doch ich hatte keine Chance.
"Dort draußen läuft ein Mörder frei herum. Denkst du ich lasse dich alleine im Dunkeln durch die Stadt wandern? Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Deshalb wäre es mir sehr viel lieber, wenn du hier schlafen würdest." Er hatte recht. In die Arme dieses Verrückten wollte ich nicht laufen. Besonders nicht, da ich ihm bereits einmal nur knapp entkommen war.
"Du hast recht." flüsterte ich und gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. Sofort bildeten seine Lippen ein herzliches Lächeln.
"Danke. Ich wünsche dir eine Gute Nacht, Schlaf gut." Seine Lippen fanden meine Stirn.
"Du auch, Nathan." Nach einer weiteren langen Umarmung trennten wir uns vor dem Gästezimmer. Er ging in sein Schlafzimmer und ich wollte gerade die Tür hinter mir ins Schloss ziehen als mir meine zukünftige Schwiegermutter ins Auge fiel. Sie ging sich den Kopf haltend auf einen blonden Angestellten zu. Es war der Kellner von der Feier. Ich erkannte ihn sofort. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr, das ich nicht hören konnte, worauf er lächelte und eine kleine Verbeugung andeutete. Schnell lief er weiter und verließ den Flur. Hatte sie ihm einen Auftrag gegeben? Kein Wunder, so unsicher wie sie ging und sich den Kopf hielt. Sie hatte wohl Kopfschmerzen und verlangt deshalb etwas von ihm. Sie schwankte in die selbe Richtung wie der blonde Mann und war schnell aus meinem Blickfeld verschwunden. Aber nicht bevor ich die zwei kleinen Wunden an ihrem Hals sah. Runde Einstichstellen, so wie sie bei Marco gefunden wurden.

Der süße Geschmack von BlutWhere stories live. Discover now