Kapitel 2

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Kapitel 2

Zwei Wochen später...

Leise vor mich hin summend stickte ich ein filigranes Schneeflockenmotiv auf den Rock in meiner Hand. Eine alte Schulfreundin wollte unbedingt ein festliches Kleid für die Feier, die der Graf in drei Tagen halten würde. Jeder in unserer Kleinstadt war eingeladen, zumindest offiziell. Natürlich würden nur die wohlhabenden Einwohner dieser Einladung nachgehen. Immerhin hatten nur sie die passende Kleidung. Zu einem Ball zu gehen und dabei nicht angemessen gekleidet zu sein, war nämlich noch schlimmer als gar nicht erst hinzugehen. Das wussten sogar die Ärmsten unter Armen. Deswegen kam der Besuch der Feier für die meisten Menschen, so wie für meine Familie nicht in Frage. Doch meine Freundin, Flora, hatte die nötigen finanziellen Mittel für dieses Unterfangen. Ich konnte von Glück sprechen, dass wir uns immer noch so gut verstanden wie vor 8 Jahren, als ich mit 12 Jahren die Schule verlassen musste. Mein Vater war damals verstorben und meine Mutter konnte für mich und meine Schwester nicht weiter für die Schulkosten aufkommen. Flora sah in dieser Zeit regelmäßig bei mir vorbei und ihr war es zu verdanken, dass ich eine Lehre bei dem Schneidermeister der Stadt machen konnte. Dieser war zufälligerweise ihr Onkel. Eigentlich wollte er keinen Lehrling einstellen, er hatte kaum Geld um mich zu bezahlen. Schließlich waren die Aufträge auch für ihn nicht immer ausreichend. Doch Flora lag ihm solange in den Ohren, dass er weich wurde und mich einstellte. Zwar verdiente ich so gut wie Nichts, doch immerhin hatte ich nach zwei Jahren eine Fähigkeit und eine Gesellenurkunde vorzuweisen, mit der ich mich auf dem Arbeitsmarkt beweisen konnte. Das war mehr als den meisten Frauen zustand.

Floras Vater, anders als sein Schwager, verdiente gut. Er war die rechte Hand des Bürgermeisters und genoss deshalb ein hohes Ansehen. So war es ihr ohne Probleme möglich, selbst in diesem niemals enden wollenden Winter, ein Ballkleid in Auftrag zu geben. Ich war ihr wirklich dankbar dafür, dass sie mir diese Aufgabe anvertraute und nicht ihrem Onkel. Denn so konnte ich auch endlich Geld in die Familienkasse bringen. Meine Durststrecke von Arbeitslosigkeit war einfach viel zu lang. Deshalb war uns vor zwei Wochen auch das Holz zum Heizen ausgegangen.

Während dem Nähen blickte ich immer wieder aus dem Fenster. Es hatte wieder angefangen zu schneien. Kleine Flocken rieselten zum Boden und bedeckten ihn langsam mit einer Puderzuckerschicht. Jedes Mal, wenn es schneite wirkte die Welt so ruhig. Als wären alle Sorgen unter dem Schnee verschwunden. Doch so war es nicht. Nicht mal ansatzweise. Er war ein Zeichen dafür, dass der Winter immer noch nicht vorbei war. Wir mussten weiter frieren und weiter darauf hoffen, dass es jetzt wirklich das letzte Mal war. Die ewige Kälte zögerte den Frühling und somit die Ernte heraus. Das war das Schlimmste daran. Wenn man fror, konnte man sich wenigstens noch zudecken oder mit Tee aufwärmen. Aber wenn die Nahrungsmittelvorräte immer weniger wurden und die Produkte im Laden immer teurer, dann fingen die Probleme erst richtig an.

Sachte strich ich über den glatten Stoff des Kleides. Es hielt die Trägerin nicht sonderlich warm, doch das war im Anwesen des Grafen bestimmt kein Problem. Er konnte sich das Heizen auch jetzt noch locker leisten. Und immerhin war der Graf noch jung und unverheiratet. Die weiblichen Gäste durften sich nicht zu sehr in Jacken und Schals verstecken, wenn sie die Aufmerksamkeit des begehrtesten Junggesellen der Stadt für sich gewinnen wollten. Für Flora wäre er bestimmt auch kein schlechter Fang.

Die Türklingel riss mich plötzlich aus meinen Gedanken. Wer ist das wohl? Meine Schwester und meine Mutter sind beide auf der Arbeit, es war schließlich erst 10 Uhr morgens. Ich legte das Kleid auf den Hocker vor mir und ging zur Tür. Überraschenderweise stand dort Flora. Sie hatte sich einen flauschigen Schal um die untere Gesichtspartie und den Hals geschlungen, außerdem trug sie einen Wintermantel, der ihr bis zu den Knöcheln reichte. Trotzdem zitterte sie wie Espenlaub.

"H-Hallo, Adeline." Sie zog sich den roten Stoff unter das Kinn, damit ich ihr ganzes Gesicht betrachten konnte. Sie war blass, als hätte man alle Farbe aus ihrem Gesicht herausgesaugt.
"Was machst du denn hier? Bei dem Wetter! Komm rein, sonst erfrierst du ja noch." Ich griff ihre Hand und zog sie mit mir nach Innen. Wohlig warm war es hier zwar ebenfalls nicht, aber wenigstens war man vor dem Schnee und dem Wind geschützt. Die Schneekristalle auf ihren Haaren und Schultern begannen augenblicklich zu schmelzen. Ich brachte sie ins Wohnzimmer, nachdem ich ihren Mantel abgenommen hatte.

"Setz dich doch." bot ich ihr an und zeigte auf den Sessel in dem ich eben noch saß und nähte. Dankbar nickte sie und nahm mein Angebot an. Ich setzte mich ebenfalls.
"Was führt dich denn bei dem Wetter zu mir ?" fragte ich sie neugierig. Flora sah mich kurz an und nieste dann. Sie hatte sich wirklich unterkühlt.
"Ich kann am Samstag Abend nicht auf den Ball gehen. Ich habe mich richtig erkältet." Mein Herz rutschte mir in die Hose. Aber was war dann mit dem Kleid? Ohne Ball auch kein Kleid, aber ich brauchte das Geld wirklich! Scheinbar sah mir Flora meinen Schock sofort an, denn sie sagte:

"Du brauchst dir keine Gedanken um das Geld machen! Ich zahle trotzdem!" Ich war verwirrt. Wenn sie weiterhin zahlte, warum war sie dann extra zu mir gekommen um mir zu sagen, dass sie nicht auf den Ball konnte? Den Weg hätte sie sich doch sparen können. Sie sprach weiter.
"Ich hatte die Idee, dass du dieses Kleid zum Ball tragen könntest. Ich kann ja nicht, aber es wäre zu schade darum, vor allem um die ganze Arbeit, die du damit hattest." Ich? Ich sollte zum Ball? Mit Floras Kleid? Leise lachend schüttelte ich den Kopf.
"Das ist dein Kleid. Nur du solltest es tragen." Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und blickte mich streng an.
"Aber es wurde speziell für diesen Anlass gemacht! Dann sollte es dafür auch getragen werden! Alles andere ist Verschwendung, Adeline." sagte Flora. Damit hatte sie mich. Verschwendung konnte ich nicht ausstehen. Und irgendwie hatte sie ja recht. Die nächsten Feste in der Stadt waren legerer, dort konnte man nicht mit einem Ballkleid aufkreuzen. Außerdem veranstaltete der Graf nicht häufig Feiern. Ich nickte. Flora hatte mich überzeugt, und zwar wahnsinnig schnell.

"Du bist wirklich zu lieb für diese Welt. Danke." Ich zog Flora vorsichtig in meine Arme. Sie war wirklich eine tolle Freundin. 

Der süße Geschmack von BlutWhere stories live. Discover now