Kapitel 16

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Kapitel 16

In den verbliebenen Tagen bis zur Hochzeit war ich besonders damit beschäftigt Bücher über Etikette zu lesen. Besonders geholfen, hat es aber leider nicht. Die meisten Regeln verwirrten mich nur. Vor allem als ich zu dem Kapitel kam, das sich mit der Positionierung von Besteck beschäftigte. Scheinbar war die Platzierung von Gabel und Messer ein geheimer Code, den ich bis dato nicht kannte. Ich legte sie einfach auf den Teller und hatte keinen blassen Schimmer, dass ich damit eventuell den Koch beleidigte. Denn offenbar gab es von "Ich esse noch", zu "Das Essen war gut", bis über "Das Essen hat nicht geschmeckt" jede Menge Varianten den Kellnern nonverbal eine Nachricht mitzuteilen. Das Lernen war lästig. Doch ich wollte mich nicht blamieren und damit Nathan in ein schlechtes Licht rücken. Deshalb las ich jeden Tag und versuchte mir Dinge bei Nathan oder seinen Gästen abzuschauen.
Ich hatte mir außerdem eine andere Aufgabe auferlegt. Da die Hochzeit zu großen Teilen nicht von dem Brautpaar geplant wurde, sondern von einem eigens dafür engagierten Hochzeitsplaner, wollte ich wenigstens in einer Sache das Sagen haben. Und das war mein Brautkleid. An unserer ersten Begegnung hatte ich ein selbst geschneidertes Kleid getragen und es hatte mir Glück gebracht. Deshalb wollte ich mein Brautkleid auch selbst anfertigen. Zum Missfallen meiner künftigen Schwiegermutter. Sie hatte nur stumm den Kopf geschüttelt, als ich von meiner Idee erzählte. Offenbar entsprach das nicht den gewohnten Gepflogenheiten. Meinen Kommentar dazu, dass es nur daran lag, dass die meisten adeligen Bräute nicht die Fähigkeiten besaßen auch nur einen Kissenbezug zu nähen, schluckte ich herunter. So sehr ich auch dazu gehören wollte, so sehr wollte ich nicht meine Herkunft vergessen. Ich war nun mal eine Schneiderin.
Die wunderschönen Stoffe waren außerdem ein anderer Grund, weswegen ich das Kleid nähen wollte. Ich hatte die Möglichkeit so hochwertige Stoffe auszuwählen, welche ich mir zuvor nur im Traum ausmalen konnte.
Eine Angestellte war so freundlich und hatte mich ins Textillager geführt, in dem bereits einige Stoffreste untergebracht wurden. Dort hatten sie mehrere Bahnen an feinsten weißen Stoffen, die wunderschön an einem Kleid aussehen würden. Ich stutzte erst, als mir erzählt wurde, dass ich die Stoffe für die Bettwäsche in den Händen hielt. Es konnte doch nicht sein, dass ein Graf in etwas schlief, dass ich als ein Hochzeitskleid benutzen wollte. Dieser Reichtum war einfach unnormal. Zum Glück fand die Angestellte meine Unwissenheit nur lustig und bot mir an einen ähnlichen, aber hochwertigeren Stoff zu bestellen. Dankend nahm ich es an. Ob die Anforderungen an Menschen genauso hoch war wie an Stoffe?

Meine Arbeit begann ich zuhause mit der Hilfe von Elise. Sie war, genau wie ich, perplex wie edel sich der Stoff anfühlte. Wie eine zweite Haut schmiegte er sich an meinen Körper.
"Es wurde wieder eine Leiche gefunden." Elise steckte zusammen mit mir den Stoff ab, als sie dies sagte. Eine zweites Opfer? Geschockt starrte ich sie an. Sie stellte die Box mit den Stecknadeln auf den Boden und rieb sich mit der Handfläche über die Schläfe.
"Wer?" bekam ich als Einziges heraus.
"Irene. Die junge Ordensschwester. Bei ihr wurden die selben Wunden gefunden wie bei Marco." Die Welt verschwamm für einen kurzen Augenblick. Irene... Ich hatte erst vor einigen Tagen mit ihr gesprochen und jetzt war sie tot? Das war nicht möglich. Ich versuchte langsam ein und auszuatmen, im Gegenzug zu meinem Herzen, dass mir schmerzhaft gegen die Rippen schlug. Sie hatte mich erst gewarnt, dass ich auf mich aufpassen solle. Wusste sie tatsächlich mehr?
"Bitte kommt für eine Weile mit zu Nathan, du und Mama. Hier ist es zu gefährlich." Das letzte Wort verließ meinen Mund nur noch als hoffnungsloses Wimmern. Stumm nickte sie. Falls meiner Familie etwas passieren würde, könnte ich mir das nicht verzeihen. Nicht, wenn sie im Haus des Grafens sicherer waren.

"Sie wurde im Kirchengarten gefunden. Genauso blutleer wie Marco." erzählte meine Schwester während sie ihre wenigen Besitztümer in eine Tasche packte. Wie konnte alles, dass eine Person hatte nur in eine einzige Tasche passen? Bei mir war es nicht anders, doch trotzdem schockierte es mich jedes Mal. Zwar hatte Nathan uns bereits eine Menge Geld gegeben, doch das wurde für Nahrungsmittel, Holz und Reparaturen ausgegeben. Also für Notwendigkeiten. Außerdem war es nicht einfach nach all der Zeit, in der man sich nicht mal genug zu Essen leisten konnte, sich Dinge zu kaufen, die nicht zum Überleben gedacht waren. Mir stellten sich die Härchen auf, wenn ich mir nur vorstellte etwas zu kaufen, was nichts zu unserem Überleben beitrug. Der Honig bei meinem Marktbesuch vor einiger Zeit war das höchste der Gefühle. Alles andere war weit außerhalb meiner Komfortzone.
"Ich habe sie vor kurzem wieder getroffen. Kaum zu glauben, dass sie jetzt nicht mehr hier ist." Ich saß auf Elises Bett und schaute aus dem Fenster. Mama würde bald nach Hause kommen. Hoffentlich würde sie mitkommen. Denn so wie ich meine Mutter kannte, würde ihr Stolz sie davon abhalten bei dem Grafen Asyl zu suchen. Selbst wenn es nur für kurze Zeit und ihre eigene Sicherheit war.
"Sie war gerade einmal zwei Jahre älter als ich. Es kann wirklich von einem Tag auf den Anderen vorbei sein." Elise ließ die Verschlüsse der Tasche zuschnappen und setzte sich dann neben mich. Sie legte einen Arm um mich und drückte mich nah an sich. Es tat so gut meine Schwester bei mir zu wissen. Ich legte meinen Kopf auf ihre Schulter.
"Niemand kann wissen, was morgen kommt." murmelte ich. Tränen sammelten sich in meinen Augen, welche bald aus mir herausbrachen. In den letzten Tagen hatten sich so viele Emotionen bei mir angesammelt. Trauer, weil Irene gestorben war. Kummer, weil ich mein Zuhause verlassen werde und umzog. Glück, da ich verlobt war mit einem Mann in den ich ehrlich verliebt war. Sorgen, dass ich meiner neuen Rolle als Gräfin nicht gerecht werden könnte. Aber vor allem Angst vor dem Mörder, der dort draußen sein Unwesen trieb. Ich versuchte die Tränen, die meine erhitzten Wangen kühlten wegzuwischen, bevor Elise sie sah. Doch sie hatte es längst bemerkt. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, zog sie mich in eine Umarmung. Sofort breitete sich in mir eine Sicherheit aus. Egal was passieren würde. Ich hätte immer meine Schwester an meiner Seite. Sie war der wichtigste Mensch in meinem Leben, nicht mal Nathan könnte diese Position jemals erreichen.
Nach einiger Zeit vernahm ich ein leises Schniefen. Elise... Ihre Hände krallten sich in den Stoff meines Kleides, während sie gemeinsam mit mir schluchzte. Eine Weile saßen wir so da. Hielten uns aneinander fest und ließen unseren aufgestauten Gefühlen freien Lauf. Hier konnten wir sie heraus lassen und niemand würde uns verurteilen. Nur hier war das möglich.

Überraschenderweise konnten wir unsere Mutter schnell überreden noch heute mit uns zukommen und die Wohnung so lange zu verlassen bis der Mörder geschnappt wurde. Anfangs redete sie noch dagegen, doch bei unseren verweinten Gesichtern und der Angst in unserer Bitte konnte sie nicht Lange dagegen halten. So kam es, dass wir drei Stunden später im Haus meines Verlobten standen. Mit zwei Taschen in den Händen und einem Anliegen, dass er nicht ablehnen konnte.
"Adeline! Worum geht es?" Sein Blick huschte von mir zu meiner Familie. Verdutzt musterte er meine Familie und die Taschen, die neben ihnen standen. "Ich weiß, ich verlange damit deiner Gastfreundschaft einiges ab, aber ich habe Angst um meine Familie. Es würde mir wirklich viel bedeuten, wenn sie für eine Weile hier bleiben könnten. Natürlich würde ich sie in meinem Zimmer schlafen lassen." Mir war klar, dass ich ihn vor vollendete Tatsachen stellte, doch ich sah für mich keinen anderen Weg. Es war vielleicht nicht die feinste Art, aber ich war mir sicher, dass es die richtige Entscheidung war.
"Das kommt ein wenig plötzlich. Hättest du etwas gesagt, dann hätte ich die Zimmer vorbereiten lassen." sagte er, worauf mir ein Stein vom Herzen fiel. Hier waren sie sicher. Ich konnte nicht anders und strahlte Elise und meine Mutter an. Elise erwiderte es gleichermaßen. Meine Mutter dagegen lächelte höflich und bedankte sich in höflichem Ton bei ihm.
"Vielen, Vielen Dank."
"Das ist doch selbstverständlich. Immerhin ist die Familie von Adeline schon bald meine Familie." Er berührte mich unauffällig mit dem Handrücken. "Deshalb fühlt euch hier wie zu Hause. Ich werde euch zwei Zimmer herrichten lassen. Ihr werdet euch auch keines teilen müssen, das ist nicht nötig. In einer Stunde wird übrigens das Abendessen serviert. Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr uns dabei Gesellschaft leisten würdet." Er rief einen Angestellten zu sich, dem er den Auftrag gab zwei Zimmer, die in der Nähe von meinem lagen, vorzubereiten.
"Danke, Nathan. Du bist ein Heiliger." flüsterte ich ihm zu, als er uns in den Salon führte.
"Sag mir das nächste Mal bitte Bescheid, bevor du solche Dinge alleine entscheidest. Es ist kein Problem, aber ich weiß gerne im Voraus, wenn ich Gäste empfange." Ich nickte. Er hatte Recht, das war mir klar. Denn wirklich Nein sagen konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr.
"Es war sehr spontan, denn das letzte Opfer war eine gute Bekannte von Elise und mir. Da hat uns die Angst gepackt. Aber du hast recht, ich achte in Zukunft darauf." Als ich ausgesprochen hatte, griff er nach meiner Hand und verschränkte meine Finger mit seinen. Das Kribbeln in meinen Fingerspitzen lenkte mich von meiner Furcht ab und hinterließ nur Vorfreude auf unser Eheleben. 

Der süße Geschmack von BlutWhere stories live. Discover now