Kapitel 22: Palantír

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Das Böse war hier, das spürte sie. Mit einem Satz war sie auf den Beinen und stürzte aus dem Zimmer.

Éowyn hatte ihr angeboten, in ihren Gemächern zu schlafen und deshalb hatte sie sich dorthin zurückgezogen, nachdem sie sich von Legolas verabschiedet hatte. Sie hatte die Ruhe gebraucht, um ihre Gedanken zu sammeln und war nicht noch einmal zu den Feiernden in die Halle gegangen.

Nun lief sie durch die Gänge dem Bösen entgegen. Sein Aufenthaltsort war leicht ausfindig zu machen. Es verbarg sich nicht, sondern zeigte sich in aller Größe.

Weiter vor sich hörte sie eilige Schritte, die sich in die selbe Richtung bewegten wie sie selbst. Kurz darauf kam sie zu dem Raum, aus dem das Böse ihr seine Anwesenheit förmlich entgegen schrie. Sie zögerte keinen Augenblick und stürzte durch die bereits offen stehende Tür.

Noch ehe sie sich einen Überblick verschaffen konnte, erzwang sich etwas ihre Aufmerksamkeit: Das Böse. Es entstieg der Kugel, die einer der Hobbits, Pippin, wie sie gelernt hatte, in Isengart gefunden hatte. Schwarz und Rot kämpften in diesem Gegenstand und er rollte auf sie zu. Hastig trat sie einen Schritt zurück. Sie durfte es nicht berühren, das spürte sie. Es war zu mächtig, als dass sie ihm würde standhalten können.

Der dunkle Zauber wurde jäh gebrochen, als etwas über die Kugel geworfen wurde. Es war ein Stück Stoff und als sie aufblickte sah sie, dass Gandalf diese geistesgegenwärtige Tat vollbracht hatte.

Hinter dem Zauberer stand Merry, der andere Hobbit, mit angstverzerrtem Gesichtsausdruck und rechts von ihr erkannte sie Legolas neben Aragorn, der am Boden lag und sich langsam aufrichtete.

„Närrischer Tuk", schimpfte Gandalf und stürzte, als er keine Antwort und keinen Widerspruch vernahm, zu der am Boden liegenden Gestalt von Pippin, die seine Gestalt bisher verdeckt hatte, und nahm die Hand des Hobbits in seine eigene.

Ivriniel sah kurz zu der noch immer am Boden liegenden Kugel hinüber, wagte es aber nicht, sie aufzuheben.

Pippin war zu sich gekommen. Sein Atem ging schnell und sie konnte etwas Gehetztes in seinem Blick erkennen.

„Sieh mich an", forderte Gandalf den ängstlichen Hobbit ruhig auf.

Der Angesprochene atmete heftig und schien dem Zauberer nicht zuzuhören.

„Gandalf, verzeih mir", flüsterte er.

„Sieh mich an. Was hast du gesehen?", fragte der Zauberer, diesmal eindringlicher.

Pippin zitterte noch immer vor Angst.

„Ein ... einen Baum", brachte er hervor. „Da war ein weißer Baum. Ein Hof aus Stein. Er war tot. Die Stadt brennt!"

„Minas Tirith! Hast du das gesehen?", fragte Gandalf.

„Ich sah ... Ich konnte ihn vor mir sehen. Ich konnte seine Stimme in meinem Kopf hören." Aus den Worten des Hobbits sprach die Angst.

„Und was hast du ihm gesagt? Rede!", forderte der Zauberer eindringlich.

Erst dachte Ivriniel, die Erinnerung würde ihn zu sehr ängstigen, aber dann antwortete Pippin doch.

„Er fragte nach meinem Namen. Ich antwortete nicht. Er hat mir wehgetan!"

Gandalfs Stimme war eindringlich, aber auch Sorge mischte sich in seine Stimme, als er fragte: „Was hast du ihm über Frodo und den Ring gesagt?"

Pippin antwortete nicht. Er verbarg das Gesicht in seinen Händen.

„Geht hinaus", wies Gandalf sie alle an und blieb allein mit dem verängstigten Hobbit zurück.

Als die Tür geschlossen war, tauschten sie besorgte Blicke.

„Wir haben den Feind in unserer Mitte", sagte Aragorn.

„Wir können nur hoffen, dass Pippin nichts verraten hat, was Sauron helfen oder gar Frodo und Sam in Gefahr bringen könnte."

„Wir werden auf das warten müssen, was Gandalf aus ihm herausbekommt", sagte sie.

Aragorn nickte.

„Wir werden morgen weitersehen", entschied er.



Direkt nachdem der König sein Frühstück eingenommen hatte, ließ Gandalf sie alle sich in der großen Halle versammeln.

„Es war keine Lüge in Pippins Augen. Ein Narr, aber ein ehrlicher Narr bleibt er", erklärte der Zauberer ihr, Legolas, Aragorn, Gimli und Théoden und sah dann zu den beiden Hobbits hinüber, die etwas abseits ihren Platz eingenommen hatte. Merry lehnte an einer Säule und Pippin saß geknickt auf einer Bank daneben. Bei den Worten den Zauberers senkte er den Kopf, um den auf ihn gerichteten Blicken zu entgehen.

Irgendwie tat er Ivriniel leid, wie er da so saß.

„Er hat Sauron nichts über Frodo und den Ring verraten", verkündete Gandalf.

Gimli entfuhr ein Seufzer der Erleichterung.

„Wir haben merkwürdiges Glück gehabt. Pippin konnte im Palantír einen kurzen Blick auf die Pläne unseres Feindes werfen. Sauron plant einen Angriff auf die Stadt Minas Tirith. Seine Niederlage bei Helms Klamm hat unserem Feind eins gezeigt: Er weiß, dass Elendils Erbe hervorgetreten ist." Sein Blick wanderte zu Aragorn hinüber.

„Die Menschen sind nicht so schwach wie er angenommen hat. Sie haben noch Mut und vielleicht noch Kraft genug, ihn herauszufordern. Sauron fürchtet das. Er wird es nicht riskieren, dass sich die Völker Mittelerdes unter einem Bannervereinen", sagte er und schaute nun zu Théoden.

„Eher macht er Minas Tirith dem Erdboden gleich als die Rückkehr eines Königs auf den Thron der Menschen mit anzusehen. Wenn die Leuchtfeuer Gondors entzündet sind, muss Rohan kriegsbereit sein."

Für Ivriniel war klar, was nun geschehen musste: Rohan musste Gondor im Kampf gegen das Böse unterstützen. Die Menschen mussten miteinander gegen die Dunkelheit kämpfen. Für Théoden jedoch schien es nicht klar zu sein.

„Sagt mir", setzte er überlegend an, „Warum sollten wir jenen zu Hilfe eilen, die uns ihre Hilfe versagt haben?"

Ivriniel sah ihn ungläubig an. Das konnte er nicht ernsthaft meinen! Sein eigenes Volk hatte nur deshalb den Angriff des Bösen überlebt, weil die Elben ihnen zu Hilfe gekommen waren, weil sie gemeinsam Seite an Seite gekämpft hatten und gestorben waren. Ohne die Hilfe Lothlóriens wäre Rohan bei der Schlacht um Helms Klamm verloren gewesen. Die Menschen hätten die Festung alleine nicht bis zum Eintreffen von Eomers Reitern halten können. Und diese Hilfe wollte er nun Gondor, Angehörigen seines eigenen Volkes, dem Volk der Menschen, verwehren?

Théoden ließ sich von ihren und den Blicken der anderen jedoch nicht aus der Ruhe bringen.

Provokant fragte er: „Was schulden wir Gondor?"

Aragorn sah den König an.

„Ich werde gehen", erklärte er.

„Nein", entschied Gandalf.

Aragorn schüttelte den Kopf.

„Sie müssen gewarnt werden."

„Das werden sie", versicherte ihm Gandalf.

Der Zauberer beugte sich zu ihm hinüber und flüsterte ihm so leise, dass Théoden es nicht verstand, zu: „Du musst auf einem anderen Weg nach Minas Tirith gelangen. Folge dem Fluss. Halte Ausschau nach den schwarzen Schiffen."

Zu allen sagte er nun wieder laut: „Eins muss euch gewahr sein: Dinge geraten nun ins Rollen, die nicht aufzuhalten sind."

„Ich reite nach Minas Tirith", verkündete er dann und sah anschließend zu Pippin hinüber.

„Und ich werde nicht allein gehen."

Sternenlicht - Legolas FFWhere stories live. Discover now