Die andere Realität

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Ich bin daheim. Verwirrt stehe ich von meinem Bett auf und sehe mich um. Meine Realität. Ist das komisch, sich so zu sehen. Langsam blicke ich in den Spiegel. Ich bin ich. Keine Narben. Nichts. Ich sehe gesund aus. Nur ein wenig müde. Mein Magen spinnt auch nicht mehr. Nichts fühlt sich krank an. Ich bin angezogen. Vorsichtig nehme ich mein Handy von dem kleinen Tisch neben dem Bett. Voll geladen. 09:37 Uhr. Ein Tag später, nachdem ich beschworen wurde. Was ist passiert? War das mit Alucard nur ein Traum? Ahnungslos starre ich auf das Handy. Nachrichten von meinen Freunden. Nachricht nach Nachricht. Wow. Das habe ich sicherlich nicht vermisst, als ich kein Handy mehr hatte! Dennoch lasse ich das Gerät angesteckt und gehe nach unten in das Wohnzimmer. Natürlich ist meine Mutter schon wach. Mein Vater ebenfalls. Selbst mein kleiner Bruder.

"Morgen, Flo.", kommt es von meiner Mutter und ich erwidere diese morgendliche Begrüßung. Wünsche auch meinem Vater und meinem Bruder einen guten Morgen. Immer noch nicht wirklich Herr über meine Sinne und der Situation, setze ich mich an den Frühstückstisch und lese die Zeitung. Esse nicht einmal was. Ich bin einfach zu verwirrt für alles. Ich war doch fast ein Jahr lang bei Integra. Alucard. Seras. Pip. Das kann kein Traum gewesen sein. Oder doch? Aber... es war alles so echt! Auch das mit Alucard. Automatisch hebe ich meine Hand auf meinen rechten Hals und starre auf das Papier. "Na? Verlegt?", fragt mein Vater und ich zucke überrascht zusammen. Lächle falsch und nicke. "Jap. Tut verdammt weh, aber geht schon." Er geht in die Küche und holt sich dort noch einen Kaffee. Was ist hier eigentlich los? Warum fühlt sich das einfach falsch an? Ich will wieder zu Alucard zurück. Zu... MEINEM... Vampir. Meinem Urvampir.

Da ich keinen Hunger habe, lese ich nur die Zeitung. Nichts Besonderes steht darin und ich lege sie dann auf den Stapel mit dem Altpapier. "Hey, Flo?" Ich hebe meinen Kopf und sehe meine Mutter an. "Papa und ich haben uns gedacht..." Kurzer Blick zu meinem kleinen Bruder. "Und das geht auch dich etwas an, Maurice." Dieser legt das Handy nur langsam auf die Seite und hört somit gezwungen zu. "Wir fahren heute weg. Mal wir vier auf einen kleinen Familienausflug! Was haltet ihr davon?" Meine Mutter grinst, doch ich schüttle den Kopf. "Tut mir leid, Mama. Mir gehts nicht so gut. Ihr drei könnt gern fahren, aber ich würd mich gern wieder hinlegen." Sie wirkt enttäuscht, aber auch gleichzeitig besorgt. "Brauchst du etwas? MCP? Vomacur?" Dankend lehne ich ab, ehe ich wieder nach oben in mein Zimmer gehe. Sonntag. Morgen müsste ich eigentlich wieder arbeiten. Heute müsste ich nach Hause fahren.

Während ich in meinem Bett liege und die Nachrichten checke kommt eine WhatsApp von meiner Mutter, dass sie zu dritt weg fahren werden. Ich stimme zu und wünsche ihnen viel Spaß, ehe ich das Handy wieder weg lege. Es ist zu still hier. Es fühlt sich falsch an. DAS hier fühlt sich eher wie ein Traum an. Niemand wundert sich, dass ich einfach weg war. Oder anscheinend bin ich nie weg gewesen. Nie verschwunden. Und ich bin mit normaler Tageskleidung in meinem Bett aufgewacht, was ich nie mache. Zumindest nicht bei meinen Eltern. Ich höre, wie die Haustür geht und wie die drei schlussendlich mit dem Auto weg fahren. Zwar ist das hier ein Haus und ich habe mein Zimmer im Dachgeschoss, aber man kann hier trotzdem alles hören, wenn man weiß, wie sich das alles anhört. Strenge Eltern machen gute Ohren. Das ist ein Fakt, der mir bis heute hilft, Geräusche und Schritte auseinander zu halten.

Kurz entschlossen stehe ich auf und ziehe mir eine Jacke drüber. Gehe runter. Ziehe die Schuhe an. Öffne die Terrassentür und lehne sie hinter mir wieder an. Beim Blick auf den Garten kommt mir sofort das Bild meiner jungen Eltern mit mir als Baby auf dem Arm in den Sinn. Es hat sich verdammt viel geändert. Jetzt stehen die Hütten. Der Garten ist gepflegt. Die Terrasse fast neu. Die Überdachung ebenfalls. Kopfschüttelnd gehe ich aus dem Garten und in den kleinen Wald hinein, ehe ich außen herum in den großen gehe. Ich weiß genau, wohin ich will. Und nichts und niemand wird mich aufhalten. Zwar brauche ich wieder ein paar Pausen, als ich den kleinen Pfad hochgehe, aber es geht. Gut. Hier den Waldweg entlang. Dort über die kleine Kreuzung. Den Weg weiter gehen. Und auf der linken Seite... Da ist es. Vor dem Zaun bleibe ich stehen und sehe auf das kleine Häuschen, welches nun komplett normal aussieht.

Mein Blick geht nach rechts. Ein Baumstumpf. Ein breiter Ast. Leicht amüsiert schnaube ich und mache das, was ich schon einmal getan habe. Ich klettere auf den Baumstumpf und mithilfe des Astes komme ich in den Zaun hinein. Wieder muss ich tief in die Knie gehen, ehe ich mich aufrichten kann. Sofort drehe ich mich um und warte auf Alucard und Seras! Aber... sie sind nicht da. Stimmt ja. Das hier ist meine Welt. Langsam wende ich mich der Hütte wieder zu und bleibe direkt davor stehen. Setze mich sogar hin. Starre einfach nur auf das Häuschen. Ein kleiner Teil von mir will hier bleiben. Es ist meine Welt. Mein Zuhause. Hier komme ich her und hier ist meine biologische Familie! Hier habe ich meine Mutter. Meinen Vater. Meine Brüder. Aber andererseits... will ich wieder zu Alucard. Zu Seras. Integra. Pip. Den Gänsen! Jeder Tag ist ein neues Abenteuer. Jeder Tag bringt etwas anderes. Etwas aufregendes! Und hier? Klar, hier habe ich eine Arbeit, die hilft. Freunde. Aber... nichts wirklich Interessantes.

Tränen kommen in meine Augen, während ich die Tür anstarre. Ich lege meine Arme um mich und beuge mich nach vorn. Ich will hier weg. Ich will hier nicht sein! Das hier ist nicht mehr meine Welt! "Ich will zu Alucard...", flüstere ich und merke, wie die Tränen überquellen und mir die Wangen hinunter laufen. "ICH WILL ZU ALUCARD ZURÜCK!", brülle ich, ehe ich das Heulen anfange. Ich will zu diesem verdammt gefährlichen Leben. Ich will die Möglichkeit haben, dass im nächsten Augenblick die Hölle los bricht. Ich brauche Integras Führungskraft. Ich brauche Pips idiotisches Verhalten. Die Abende mit Seras. Alucard. Ich will aufwachen und wissen, dass ich nicht allein bin, was mein psychopathisches Verhalten anbelangt! Die ersten Tränen fallen auf das Laub unter mir. Und überrascht reiße ich meine Augen auf. Das ist nicht der Sound, den ein Tropfen normalerweise hier macht. So hört sich das... in der Anime Welt an!

Point of no returnWhere stories live. Discover now