Ein Geben und Nehmen

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Ein Schrillen lässt mich zusammenzucken. Als ich merke, dass es von meiner Hosentasche kommt, greife ich panisch nach meinem Handy und ziehe es raus. Streiche seitlich drüber und atme erleichtert aus. "Sorry. Ich hatte mir eigentlich einen Wecker gestellt, damit ich nicht vergesse, Bier zu holen. Also für meinen Vater und mich. Heute war eigentlich unser Abend gewesen, aber..." Meine Mundwinkel gehen nach unten, als ich das Handy wieder wegstecke. "Das wird ja nichts. Weil ich nicht in meiner Welt bin." Kopfschüttelnd zucke ich mit den Schultern. "Und ich habe keine Ahnung, wen ich kontaktieren muss, um wieder heim zu kommen! Die Idioten haben mich beschworen, konnten mir aber auch nicht sagen, wie sie mich wieder zurückschicken könnten. Und dann kam schon Alucard. Ich hab keinen blassen Schimmer, wie ich hier alleine überlebe, geschweige denn wieder heim komme. Deswegen... könnten Sie mir bitte helfen?"

Stumm streckt Integra ihre Hand aus. "Das Handy." Irritiert runzle ich die Stirn. "Bekomme ich es wieder zurück? Da sind die Bilder von meiner Familie drauf. Alles, was mir wichtig ist. Und meine Musik!" Ihr Blick ist starr. Sie zieht nur eine Augenbraue hoch. Nachdenklich presse ich meine Lippen aufeinander. Entscheide mich aber spontan dazu, ihr zu vertrauen. Das Handy hole ich raus und lege es auf ihre ausgestreckte Hand. "So weit sind unsere Handys noch nicht." Nickend trete ich einen Schritt nach vorn. "Touch kommt erst noch. Soll ich Ihnen zeigen, was das Baby alles kann?" Nur für einen Moment neigt sie den Kopf und ich schnappe mir mein Handy, ehe ich es mit meinem Finger entsperre. "Geht das nur bei dir?", fragt sie und ich nicke. "Fingerabdruck. Sie können es probieren. Aber sie werden es nicht entsperren können!" Tatsache probiert sie es. Doch egal, mit welchem Finger... sie bekommt es nicht auf. Und bei mir reicht mein Zeigefinger.

Während Alucard alles beobachtet, zeige ich Integra alles, was mit dem Handy möglich ist. Die Fotos, die es machen kann. Das Internet. Ich erkläre ihr auch die Funktion von Facebook, Twitter, Instagram und so weiter. Was YouTube macht. Und auch die Bilder. Erst ist sie irritiert von der anderen Realität, da die Fotos eben noch in meiner Realität erscheinen! Aber das ist schnell erklärt. Immerhin ist das hier auch eine andere Realität für mich. Ich mache sogar ein Foto von Alucard! Integra hat dann selbst ein paar Fotos gemacht, um die Qualität zu testen. Von Alucard kam nur die Warnung, dass ich es gefälligst löschen solle. Was ich dann auch gemacht habe. Und brav wie ich war, habe ich vor den Augen der beiden sogar den Papierkorb gelöscht, sodass ich sie nicht mehr wiederherstellen könnte. Selbst, wenn ich wollen würde. "Schlimmer als meine Mutter...", brumme ich entgeistert und sehe dabei zu Alucard, der meinen Blick nur ein wenig hochnäsig erwidert. "Wärst du meine Tochter, hätte ich dich richtig erzogen." Meine Augenbrauen gehen hoch. "Wärst du mein Vater, hättest du gar nichts zu melden."

Der schwarzhaarige beugt sich ein wenig zu mir hinunter. Der Mund zu einem leichten Lächeln verzogen. Die Zähne spitz. "Ich könnte dir hier und jetzt mit meinem wunderbaren Gebiss das Leben aussaugen." Ich hingegen verdrehe nur die Augen und stecke das Handy weg. "Jetzt pass lieber auf, dass dir die Beißerchen nicht klappern. Das sind schon lange nicht mehr deine dritten und ich will nicht wissen, wie oft du das hier schon erneuert hast." Ein kurzes Prusten. Sowohl der Vampir, als auch ich sehen zu Integra, die sich räuspert. Hat sie gerade... fast Lachen müssen? "Was. Noch nie jemanden über einen Witz Lachen sehen? Armseliges Leben. Beide." Kichernd hebe ich eine Hand. "Einspruch, Euer Ehren! Mein Leben war bisher nicht SO armselig, wie man meinen könnte!" Integra verschränkt die Arme. "Abgelehnt. Alucard? Zeig ihr ein Zimmer. Ich werde darüber nachdenken. Und kümmere dich nicht nur im generellen um sie, sondern auch darum, dass sie was zu essen bekommt! Kein töten. Kein verletzen. Kein foltern. Und bevor du meckerst..." Die blondhaarige Frau wird sofort ernst. "Das ist ein Befehl."

Den Todesblick kann ich schon fast körperlich spüren und ich nicke ihr zu. "Danke, Lady Integra." Sie jedoch dreht sich um und geht zu ihrem Schreibtisch. "Dank mir nicht zu früh. Noch ist nichts fest. Ich könnte dich morgen ohne weiteres einfach rausschmeißen!" Mir einen Kommentar verkneifend, denke ich ihn nur. Ich bin nämlich der Meinung, dass sie mich nicht rausschmeißen würde. Es stünden ihr nur zwei Dinge zur Verfügung, wenn sie mich nicht hier haben will. Töten, oder einen Weg finden, mich zurück zu bringen. "Wenn du schon so etwas denkst, solltest du es aussprechen, Missy.", brummt Alucard und ich zucke überrascht zusammen, ehe ich mich zu ihm umdrehe. "Hallo? Ich weiß ja, dass du hunderte Jahre alt bist! Aber das Wort 'Privatsphäre' sollte selbst dir geläufig sein!" Die Arme verschränkend beobachte ich ihn dabei, wie er sich vor mich stellt. "Von jemandem wie dir, lasse ich mir sicherlich nicht sagen, wie ich mich zu benehmen habe." Als wäre es ein Zufall, kratze ich mich mit meinem Mittelfinger an meiner Nase und lasse sie wieder sinken. Mit Provokation konnte ich selten gut umgehen. Man merkts.

"Missy. Noch eine falsche Bewegung und Lady Integra muss sich keine Sorgen mehr machen, was mit dir passiert!", knurrt er warnend und ich schmunzle. "Hat der alte Herr schon vergessen, was die Lady dir befohlen hat?" Selbst ein wenig provokant, gehe ich noch einen kleinen Schritt auf ihn zu, sodass ich direkt an ihm stehe. Seine Kleidung und sein Körper sind spürbar. "Kein töten. Kein verletzen. Kein foltern. Du sollst dich um mich kümmern." Unschuldig lächelnd trete ich wieder einen Schritt zurück. "Bist du nett zu mir, bin ich nett zu dir! Bist du ein Arschloch, bin ich ein Arschloch. So einfach geht das." Aufmerksam beobachte ich den Vampir. Seine Augen werden schmal. Sein Mund verzieht sich. Aber er weiß, dass ich recht habe. Er weiß, dass er einem direkten Befehl nichts entgegen zu setzen hat. Und ich habe ihm meine Spielregeln gegeben, nach denen ich spiele. Er weiß also, wie er mich einzuschätzen hat. Er weiß, wie ich ungefähr reagieren werde. "Ignoriere ich dich, ignorierst du mich?" Lächelnd lege ich den Kopf schief. Halte Augenkontakt. "Und sterbe ich, geht dein Arsch auf Grundeis. Ein Geben und Nehmen, Alucard. Ein Geben und Nehmen."

Point of no returnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt