Nahrungsaufnahme

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Da ich keine Antwort bekomme, schlage ich den Ordner zu. Ich will doch einfach nur meine Ruhe! Den Arztkittel ziehe ich aus, hänge ihn an den Schreibtischstuhl und stehe auf. Nehme die Tasse, gehe an Pip und Alucard vorbei und aus dem Büro raus. Den Gang entlang, während ich den Kaffee vorsichtig trinke, da er noch heiß ist. In meinem Zimmer angekommen, ziehe ich mir nur eine Jacke drüber, hole mir meine Kopfhörer und mein Handy, nehme die noch halb volle Tasse und gehe wieder raus. Mein Weg führt mich auf das Dach. Es ist kurz nach Mitternacht und eigentlich wollte ich schlafen gehen, bevor der Söldner kam. Aber so etwas kann man nicht warten lassen. Er hat große Schmerzen und kann sich eine Infektion einfangen. Jetzt hat er Schmerzmittel bekommen und kann sich ausruhen. Alles ist sauber und richtig eingepackt.

Am Rand des Gebäudes bleibe ich stehen und mache mir Musik an, die ich über YouTube runtergezogen habe. Komischerweise funktioniert YouTube! Aber weder WhatsApp, noch Insta, Facebook oder andere Dinge, die mir bei der Kontaktaufnahme helfen könnten. Tief sauge ich die frische Luft in die Lungen und lasse sie wieder entweichen. Es ist Spätsommer. Also noch relativ warm. Trotzdem habe ich es lieber, wenn ich eine Jacke habe. Ich fühl mich einfach unwohl, wenn ich ohne rumlaufe und nur ein T-Shirt anhabe. Den Kaffee kann ich nun bei einer relativ beruhigenden Musik hören. Die Nacht ist bis jetzt sonst relativ ruhig. Keine Ghule. Der Mond ist nur eine schmale Sichel. Die Sterne am Himmel leuchten hell und sind stumme Zeugen von dem, was in der Welt geschieht. Was sie wohl gerade machen? Ob sie nach mir suchen? In mir ist ein Zwiespalt, ob ich es wirklich wissen will, oder ob ich es lieber lassen sollte. Denn Unwissenheit ist in manchen Fällen besser.

Ein leichtes ziepen in meinem Kopf lässt mich von den Sternen weg und auf die Seite sehen. Rechts ist nichts. Links auch nicht. Schlussendlich sehe ich nach hinten. "Verfolgst du mich?", frage ich und nehme einen Ohrstöpsel heraus, sodass ich die Musik nur noch auf einer Seite höre. Gelassen stellt sich Alucard neben mich. "Dein Blut. Wir wissen nicht, wie Ghule darauf reagieren. Bis wir das Wissen, bist du anfällig für Angriffe." Mein Blut... mein Blut... Ah! Stimmt ja. Auch ich drehe mich nach vorn und lächle. "Danke, dass du auf mich aufpasst, Alucard." Mit einem fragenden Blick halte ich ihm den zweiten Ohrstöpsel entgegen. Er mustert erst mich. Dann das Objekt. Dann wieder mich. "Ich kann die Musik bis hier hin hören, Missy." Schulterzuckend lasse ich die Hand wieder sinken. Doch eine Sekunde später wird mir der Stöpsel fast aus der Hand gerissen. "Wer hat gesagt, dass ich ablehne?"

Schmunzelnd stelle ich mich direkt neben ihn, sodass das Kabel reicht. "Das Lied kenne ich sogar. Ist schon ein paar Jahre alt." Nickend stimme ich zu und starre in die Ferne. "Irgendwann zwischen 1980 und 1990 ist es veröffentlicht worden. Leg mich aber nicht genau auf das Jahr fest.", erwidere ich leise. Eine Weile lauschen wir beiden einfach nur 'Hijo de la luna', welches ich auf Dauerschleife habe. Währenddessen trinke ich immer wieder den Kaffee. Sinniere ein wenig herum. Denke an alles Mögliche. Irgendwann gibt mir Alucard den Ohrstöpsel wieder. "Ich bin kurz weg. Ich habe Hunger.", brummt er und will schon weg, als ich meinen Arm ausstrecke. Damit hat er wohl nicht wirklich gerechnet. "Als ob ich von dir trinken werde, Missy." Ein wenig müde sehe ich ihm in die Augen. "Wann werde ich dein Blut je brauchen, Alucard? Ich bin hier besser geschützt als in irgendeinem Bunker dank dir, Seras und den Gänsen."

Immer noch wirkt er skeptisch. Kurz gehe ich in die Hocke und stelle die Tasse ab, ehe ich wieder aufstehe und die Jacke hoch rolle. "Auch wenn es durchaus anziehend wirkt, werde ich verneinen, Missy. Mein Hunger ist etwas größer als normal und einen normalen Menschen würde ich damit umbringen." Ein Mundwinkel geht hoch. "Einen normalen schon, Alucard. Aber... ich bin immer noch dick. Dicke Menschen haben nachgewiesenermaßen mehr Blut. Also...?" Ich will ihn nicht dazu zwingen. Ich biete es ihm nur an. Wenn er nicht will, dann muss er nicht. "Zu stur um zu sterben und eindeutig zu stur, um eine Warnung wahrzunehmen.", knurrt er nun und setzt sich auf den kalten Untergrund. Ich gehe hinter ihm auf die Knie, lege den rechten Arm von hinten über ihn und lehne mich an seinen Rücken. Ein amüsiertes Schnauben entkommt mir, als er meinen Arm nimmt. "Man könnte ja schon fast typisch Frau sagen."

Ein Schmerz durchfährt meinen Unterarm, der sich bis in meinen Oberarm und die rechte Schulter zieht. Für einen Moment vergesse ich das Atmen, ehe ich tief ein und wieder aus atme. "Fuck...", zische ich und sehe den schwarzhaarigen an, dessen Fänge in meinem Unterarm hängen. Es kribbelt. Doch der Schmerz wird nun durch eine Art Jucken ersetzt, welches langsam aber sicher in komplette Entspannung übergeht. Die Stelle ist taub geworden. Seufzend lege ich meinen Kopf auf seine Schulter und lächle. "Und? Ist es so schlimm?", frage ich, erwarte aber keine Antwort. Immerhin trinkt er. Und er soll trinken. So lange ich nicht verrecke, ist noch alles in Ordnung. Gähnend schließe ich die Augen. Jetzt zu schlafen hätte was. Wirklich! Es ist gerade echt gemütlich. Und ich wäre auf jeden Fall sicher. Denn wenn jetzt ein Ghul auftauchen sollte, habe ich das kleinste Problem.

Gänsehaut breitet sich aus, als er mich los lässt und über die Wunde leckt, um diese zu verschließen. "Nein, es war nicht schlimm.", antwortet er und dreht leicht seinen Kopf. "Aber du siehst müde aus. Ich will nicht, dass du dir eine Erkältung holst und es ist nicht mehr ganz so warm. Du solltest rein und ins Bett." Selbst in meinem relativ müden Hirn schrillen gerade die Alarmglocken. "Alucard...?", frage ich leise und sehe ihn besorgt an. "Hast du dir gerade selbst zugehört?" Kurz denkt er nach, ehe seine Augen schmal werden. "Frag mich etwas. Irgendetwas, worauf ich sonst nicht ehrlich antworten würde!" Die Hektik in seiner Stimme macht mir ein wenig Angst, dennoch nicke ich. "Ehm... Würdest du mich vermissen, wenn ich wieder in meine Welt abhauen würde?" Alucard antwortet wie aus der Pistole geschossen mit einem: "Ja!"

Point of no returnOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz