Kein Patient!

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Langsam entspanne ich mich wieder. Entkralle meine Finger aus der Matratze. "Alucard... du hast Angst.", flüstere ich leise und sofort werden seine Augen noch schmaler. Doch das Knurren hört auf. "Du hast Angst, dass man dich verletzen kann. Deswegen stößt du alle von dir, die dir nahe kommen könnten, stimmts?" Diesmal scheint er mit sich selbst zu kämpfen. Will wohl etwas unterdrücken. "Ja.", bringt er gepresst heraus und ich lasse meinen Kopf hängen. Erleichterung durchfährt mich und ich atme tief durch. Das nenne ich mal Erkenntnis. "Und ich bin dir anscheinend schon verdammt nah, wenn du solche Angst hast." Wieder kommt ein gezwungenes: "Ja.", ehe er sich wieder aufrichtet. Spontan springe ich auf und drücke ihn an mich, so fest ich kann. Mein Kopf an seiner Brust liegend, schließe ich die Augen und entspanne langsam wieder. Meine Umarmung wird lockerer.

"Nein.", bringe ich leise raus und hebe meinen Kopf. Das Kinn nun an seiner Brust, anstatt meiner Stirn. Ernst sehe ich zu ihm hoch. "Ich spiele nicht, Alucard. Ich..." Kurz sehe ich auf die Seite. Merke, wie mein Gesicht das Brennen anfängt. "Ich hab dich dazu zu gern." Mich räuspernd, sehe ich wieder zu ihm zurück. "Warum solltest du überhaupt denken, dass ich spiele? Ich meine... was würde mir das bringen? Jetzt mal ganz ehrlich. Bei Leuten, die mir etwas bedeuten, würde ich das nie machen!" Mein Blick wird nun ein wenig vorwurfsvoll. "Vertraust du mir?" Diesmal kommt wieder wie aus der Pistole geschossen ein: "Ja!", ehe er selbst ein wenig peinlich berührt auf die Seite sieht. "Überraschenderweise vertraue ich dir sehr. Ich kann es mir selbst nicht erklären." Wahrscheinlich zerstöre ich jetzt die Stimmung, aber was solls. "Keine Sorge. Du bist nicht der Einzige, der mir schnell vertraut. Das tun die meisten, wenn sie mich treffen."

Fragend blickt er auf mich hinab und ich lasse ihn los. Setze mich wieder auf das Bett und klopfe neben mir auf die Matratze. Zuerst zögert er noch, ehe er sich setzt. "Ich scheine etwas an mir zu haben, dass Menschen und scheinbar auch übernatürliche Wesen dazu bringt, mir schnell zu vertrauen. Fast sofort eigentlich. Deswegen war ich in meinem Beruf so gut, da Patienten mir sofort ihr Vertrauen geschenkt haben. Sie waren entspannter und weniger ängstlich, was die Untersuchungen anging. Schon beim ersten Treffen sind sie immer entspannt gewesen, obwohl ich nichts dafür tue. Ich lächle. Ich höre zu. Das mache ich bei jedem Patienten, bis der Arzt kommt. Ich versuche, sie und ihre Ängste zu verstehen und die, die noch vorhanden sind, verschwinden zu lassen. Wie gesagt, ich mache das nicht extra. Keine Ahnung, ob das daran liegt, dass ich dick bin und man dicken Leuten sofort vertraut. Oder ob meine Augen diese vertrauensvollen 'Rehaugen' sind, wie man so schön sagt."

Mit einem amüsierten Schnauben sehe ich vor mich auf den Boden. "Eigentlich verstehe ich viel. Aber das... entzieht sich meines Wissens." Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, dass sich Alucard leicht nach vorn beugt. "Ich bin wie ein Patient für dich?" Die Stimme klingt enttäuscht, wenn ich mich nicht recht irre. Irritiert drehe ich meinen Kopf zu ihm. "Nein, wieso?", frage ich und bin nun selbst ein wenig entsetzt. Wann hätte ich jemals gesagt, dass er wie ein Patient für mich wäre? Die roten Augen Alucards blitzen für einen Augenblick auf. "Du lächelst. Du hörst mir zu. Wie bei deinen Patienten." Kopfschüttelnd strecke ich mich und gähne kurz. Müde bin ich dann schon ein wenig. Aber ich muss wach bleiben! "Ich erzähle dir von mir, Alucard. Ich lasse dich zu mir kommen. Überwinde die Distanz von meiner Seite aus. Das lasse ich bei Patienten nur zu, wenn sie Hilfe brauchen. Ansonsten habe ich eine kühle Distanz zu ihnen. Willst du wissen, wie das ist?" Ein: "Nein.", ist die Antwort.

Lächelnd lehne ich mich an ihn und nicke leicht. "Als ob ich das zum Beispiel bei Patienten mache.", gebe ich kund, hebe seinen Arm und lasse mich auf seinen Schoss fallen. Sehe grinsend zu ihm hoch, bevor ich ihm die Zunge rausstrecke. Verdutzt über sich, dass er das alles zugelassen hat, starrt der schwarzhaarige erst einmal auf seinen Arm und lässt ihn langsam sinken, ehe er mir in die Augen sieht. "Und ich dachte, dass ich Menschen irgendwann einmal verstehen würde.", meint er, lässt mich aber liegen. Ich hingegen rutsche noch ein wenig hin und her, bis es einigermaßen gemütlich ist. "Bist du irgendwann auch mal fertig?" Ist er genervt? Ungeduldig? "Sorry...", murmle ich leise und will schon wieder aufstehen, ehe er mich mit einer Hand wieder hinunter drückt. "Ich habe nichts davon gesagt, dass es nicht passt." Wow... Er kann auch ganz anders! Irgendwie gefällt mir das wirklich.

Schon fast springe ich auf, als eine Hand auf meinem Kopf ist. Langsam drehe ich meinen Kopf so, dass ich sehen kann, was es ist. Die behandschuhte Hand von Alucard. "Passt es nicht?", brummt er entgeistert, doch schon ist mein Kopf wieder in der ursprünglichen Position. Aber er macht nichts. Also hebe ich selbst eine Hand, lege sie auf seine und bewege sie ein wenig hin und her, bis er es von selbst macht. Mein Lächeln wird immer breiter, als aus dem Streichen ein Kraulen wird. Die Augenlider klappen nach unten. Mein gesamter Körper entspannt sich. Vorsichtig drehe ich mich auf die Seite, sodass mein Gesicht zu ihm zeigt. Die Augen sind immer noch geschlossen. Nur kurz ausruhen. Ist nicht für eine lange Zeit. Immerhin muss ich eigentlich wach bleiben, damit ich Alucard helfen kann! Wach bleiben... Jap, wach bleiben...

Alucard spürt, wie sich die junge Frau auf seinem Schoss immer mehr entspannt und wie ihre Gedanken, denen er immer zugehört hat, nun langsam aber sicher verschwinden. Erst, als sie wirklich schläft, zieht er sich aus ihren Gedanken raus und blickt schon fast sanft auf sie hinunter. Sie ist gefährlicher, als sie glaubt. Nie hatte er geglaubt, so jemanden einmal zu treffen. So jemanden, der ihm so nah kommt. Auf Tuchfühlung geht. Dem er so sehr von Anfang an vertrauen kann! Sein Beschützerinstinkt ist bei ihr schon vor ein paar Monaten aktiviert worden und verstärkte sich im Laufe der Zeit. Er selbst kann aber nicht sagen, wieso er sie so nah an sich heran lässt. Würde ihr etwas passieren, könnte er es sich nicht verzeihen. Warum ein Mensch? Warum sucht er sich einen Menschen aus? Einen schwachen? Mit der Lebensdauer einer Eintagsfliege! Zumindest in seinen Augen. Sollte man sie gegen ihn verwenden, ist er machtlos. Und sollte sie sich gegen ihn wenden, wird dies ein Chaos in ihm verursachen, welchem er nicht entkommen wird.

Point of no returnWhere stories live. Discover now