Kapitel 33

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Maude

Maude lag unten auf dem Sofa in Linas Wohnzimmer und wälzte sich hin und her. Sie war gerade vorhin aufgewacht, und das um halb sechs am Morgen. Draußen war es noch dunkel.

Seufzend betrachtete Maude ihren Handybildschirm. Mel hatte noch immer nicht geantwortet. Und das, obwohl sie ihr bereits mehr als drei Nachrichten hinterlassen hatte. Nicht einmal Jared hatte eine Antwort von ihr bekommen, obwohl die beiden eigentlich schon seit einer Ewigkeit befreundet waren.

Ein paar Minuten blieb Maude noch liegen und starrte die dunkle Decke des Raums an, dann rappelte sie sich auf. Sie war sauer. Wenn Mel nicht mit ihr reden wollte, schön und gut, aber sie könnte doch zumindest eine Nachricht hinterlassen, dass sie gerade mit niemandem sprechen wollte! Oder dass sie ihnen nicht helfen würde. Oder irgendetwas.

Maude schlich in den Vorraum, schlüpfte in ihre Schuhe und griff nach ihrer Jacke. Kurz überlegte sie, dann zog sie darunter noch eine zusätzliche Weste an. Wahrscheinlich würde sie so schwitzen, aber nachts konnte es durchaus eisig kalt werden. Nicht, dass ihr das als Vampirin allzu viel ausmachen würde, aber sie hatte es lieber bequem.

Während sie den Weg zu Mels Haus einschlug, holte sie noch einmal kurz ihr Handy heraus. „Ich sehe nach Mel", schrieb sie Jake. Nur für den Fall, dass irgendjemand so früh schon aufwachte und sich fragte, wo sie war.

Maude legte die Strecke in einem gemütlichen Lauftempo zurück. Erst, als sie eine Gasse von Mel entfernt war, wurden ihre Schritte langsamer. Sie konnte leise Stimmen reden hören. Langsam schlich sie näher, wobei sie darauf achtete, sich bedeckt zu halten. Zum Glück trug sie schwarze Kleidung.

Maude huschte in einen fremden Garten und kauerte sich hinter einem Gebüsch nieder, als sie ein paar Gestalten entdeckte. Der Geruch war eindeutig – Werwölfe. Sie zog sich noch weiter nach hinten zurück. Bei so vielen unterschiedlichen Gerüchen auf einmal hielt sie es zwar für unwahrscheinlich, dass die Werwölfe sie entdecken konnten, aber sie ging lieber auf Nummer Sicher.

Die Gruppe zog durch die Gasse und Maude kniff die Augen zusammen, auf der Suche nach Mel. Sie war nicht unter ihnen.

Als es still geworden war, wagte sie sich aus ihrem Versteck. Im Laufschritt legte sie das letzte Stück bis zu Mels Haus zurück, wo sie keuchend stehenblieb. Kein einziges Licht brannte im Haus, und als Maude den Garten betrat, sah sie unzählige Fußabdrücke in der Erde. Sie runzelte die Stirn. So wie es aussah, waren die Werwölfe von hier gekommen.

Vorsichtig näherte sie sich dem Haus und lauschte. Hier war es vollkommen still. Sie umrundete das Haus. Eines dieser Zimmer musste Mel gehören.

Stellte sich noch die Frage, wie sie am besten die Wand hinaufkletterte. Die Regenrinnen wirkten etwas instabil.

Nein, definitiv keine gute Idee. Sie blickte herab und entdeckte ein niedriges Kellerfenster. Ihre Mundwinkel zuckten nach oben. Das würde ein Kinderspiel werden.

Maude ging in die Knie und spähte nach drinnen. Sie erstarrte. Dort, auf dem Boden, lag Mel mit geschlossenen Augen, angekettet an eine Wand.

„Was zum..." Maudes Herz raste. Ob bei Mel alles in Ordnung war? Sie hob die Faust und klopfte mehrmals gegen das Fenster.

Als Mel die Augen öffnete, atmete Maude vor Erleichterung aus. Sie hatte schon alles Mögliche befürchtet. „Hey, ich bin's!", rief sie mit gedämpfter Stimme.

Kurz runzelte Mel die Stirn. Ihre Augen wurden groß und ihre Lippen formten Maudes Namen, doch sie konnte ihre Stimme nicht hören.

„Warte kurz", sagte Maude. Sie ging ein Stück nach hinten und holte Schwung. Dann trat sie mehrmals mit voller Wucht gegen die Fensterscheibe, bis diese zersprang. Sie griff mit der Hand durch das Loch und öffnete das Fenster.

„Maude, was ... was machst du hier?", fragte Mel. Ihre grünen Augen waren voller Überraschung, als sie aufstand.

„Ich wollte wissen, wieso du nicht antwortest." Maude zwängte sich durch das Fenster nach drinnen und landete auf beiden Füßen im Kellerraum. Sie lief zu Mel, blieb aber vor ihr kurz stehen. „Ist ... Ist bei dir alles okay?", fragte sie mit einem Blick auf die Kette.

Anstelle etwas zu antworten zog Mel sie in eine feste Umarmung. „Ich bin so froh, dass du hier bist", flüsterte sie.

Maude erwiderte die Umarmung und schloss kurz die Augen. Am liebsten hätte sie nie wieder losgelassen.

„Es tut mir leid, was ich gesagt habe", fuhr Mel leise fort.

„Dir muss nichts leidtun", murmelte Maude.

Mel schüttelte den Kopf. Sie löste sich soweit von Maude, dass sie ihr in die Augen sehen konnte. Maude spürte, wie ihr Herz automatisch zu rasen begann, und sie vergaß, was sie sagen wollte.

„Wir hatten keinen allzu guten Start in unsere Beziehung", begann Mel. „Und das tut mir leid."

„Was tut dir denn leid?", fragte Maude mit einem Grinsen. „Dass ich weggelaufen bin, als du mich zum ersten Mal geküsst hast?"

„Ich hätte dich nicht einfach so aus dem Nichts heraus küssen sollen", murmelte Mel und senkte den Blick. „Kein Wunder, dass du überfordert warst. Das war ich selbst auch. Aber jetzt bin ich es nicht mehr." Sie hob den Kopf und Maude wurde seltsam warm. „Sollte ich jemals eine Partnerschaft mit jemandem eingehen, dann mit dir", sagte Mel.

Maude konnte nicht anders, als zu lächeln. „Wir sollten dich erst einmal aus diesen Ketten bekommen", sagte sie, während ihr die Hitze in die Wangen stieg.

Mel Miene wurde ernster. „Den Schlüssel hat mein Vater", sagte sie. „Und der dürfte schon unterwegs sein." Sie machte eine kurze Pause, gefolgt von einem lauten Fluch. „Du musst die anderen warnen!", rief sie. „Die Werwölfe wollen bei Sonnenaufgang die Spinnenleute angreifen!"

Maude erstarrte. „Ein Grund mehr, dich sofort zu befreien", sagte sie. Sie atmete tief ein, dann spürte sie, wie ihr Körper sich veränderte. Ihre Zähne und Fingernägel wurden länger.

„Du kannst das Schloss nicht mit Muskelkraft alleine öffnen", sagte Mel.

„Das hatte ich nicht vor." Maude griff nach Mels Handgelenk, an dem die Kette befestigt war, und steckte ihren langen Fingernagel in das Schlüsselloch. Eine Weile lang stocherte sie darin herum.

Das Schloss gab ein leises Klicken von sich und fiel zu Boden.

„Na also, geht doch", sagte Maude.

Mel blickte sie erneut mit großen Augen an. „Ich könnte dich gerade küssen", brachte sie hervor.

„Was hält dich davon ab?", sagte Maude mit einem Grinsen. Kurz rührte Mel sich nicht. Dann schlang sie die Arme um sie und kam der Aufforderung nach.

Wie immer, wenn Mel sie küsste, wusste Maude in der ersten Sekunde nicht, was sie tun sollte. Ihr Herz explodierte in ihrem Brustkorb, als sie endlich genug Kontrolle über ihren Körper wiedererlangt hatte, um den Kuss zu erwidern.

Viel zu schnell löste sich Mel von ihr. „Wir müssen los", sagte sie mit ernster Miene.

Maude nickte zustimmend und eilte zurück zu dem Kellerfenster. Sie holte etwas Schwung und sprang zum Fensterbrett, wo sie sich nach oben zog und durch die kleine Öffnung zurück nach draußen quetschte. Mel folgte einen Moment später.

Erst, als sie ihren Atem in der Luft sah, fiel Maude wieder ein, wie kalt es war, also schlüpfte sie kurzerhand aus ihrer Jacke und legte sie um Mels Schultern. Bevor diese dagegen protestieren konnte, wandte sie sich bereits ab und lief los. Ihr blieb nur zu hoffen, dass sie Lina und die anderen noch rechtzeitig warnen konnten vor dem, was bevorstand. 

Die Bewohner von Harrowville (Band 1: Spinnen) | Wattys 2022 ShortlistNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ