Kapitel 3

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Leider wachte ich nicht in meinem weichen, warmen Bett auf und stellte fest, dass alles nur ein Traum gewesen war. Nein, als mein Bewusstsein langsam in mich zurückkehrte, lag ich immer noch am Waldboden, inmitten von feuchten Blättern. Ich beschloss, meine Augen noch etwas länger zuzulassen. Vielleicht wachte ich ja doch noch auf.

Selbstverständlich tat ich das nicht. Dafür durfte ich Jake und Jared beim Streiten zuhören.

„Wag es bloß nicht, sie mit deinen ekelhaften, behaarten Fingern anzufassen!", knurrte Jake.

„Erstens: Meine Finger sind nicht behaart, aber ich wünschte, deine Fresse wäre es, dann würde ich nämlich weniger davon sehen müssen! Und zweitens: Wer wollte hier gerade Lina verletzen? Ein Vampir oder ein Werwolf?"

„Deinetwegen ist sie überhaupt erst umgekippt!"

„Ich weiß, ich bin nun einmal umwerfend."

„Bescheuert ist ein eher auf dich zutreffendes Wort, würde ich sagen, aber okay. Deine Selbsteinschätzung war schon immer mangelhaft. Und jetzt verschwinde, Lina kennt dich kaum."

„Aber du bist ihr bester Freund oder was?"

„Ein besserer als du auf jeden Fall."

„Weißt du überhaupt, was Freundschaft ist?"

„Weißt du überhaupt, was Intelligenz ist?"

Mit einem leisen Stöhnen setzte ich mich auf und blickte zu den beiden. Keiner von ihnen bemerkte mich – sie waren zu sehr damit beschäftigt, sich gegenseitig niederzustarren. Der Streit ging weiter und für ein paar Sekunden hörte ich sogar noch zu.

„Du bist bescheuert!"

„Du bist noch viel bescheuerter als ich!"

„Du bist das Lächerlichste, was ich in meinem Leben jemals gesehen habe!"

„Und du das Dümmste! Als Gott die Gehirne verteilt hat, warst du abwesend!"

Bla bla bla, und so weiter, und so fort. Ich kümmerte mich nicht länger darum, sondern stand auf. Sollten die beiden doch die ganze Nacht hier stehenbleiben und streiten, ich wollte nur noch nach Hause. Mir war kalt und ich war voller Blätter und Dreck. Ich machte den ersten Schritt. Und rutschte auf den Blättern aus. Na toll.

Ehe ich erneut auf meinem Hintern landete, hatten mich zwei starke Arme gepackt und stellten mich aufrecht hin.

„Vorsichtig", sagte Jake. „Du warst gerade erst ohnmächtig."

„Wirklich?", murmelte ich. „Wäre mir gar nicht aufgefallen." Ich drehte mich zu Jake und fragte mich kurz, wie er nur so schnell reagieren hatte können, um mich aufzufangen. Dann fiel es mir wieder ein: Er war ja ein Vampir. Und Jared, welcher ebenfalls nähertrat, ein Werwolf. Und Maude...

„Hey, wo ist Maude?", fragte ich.

Jake seufzte, als ich ihren Namen aussprach. „Ich habe sie weggeschickt."

Sofort entspannte ich mich. „Na dann ... hat irgendjemand von euch Lust darauf, mir zu sagen, ob dieser Weg wirklich nach Hause führt?"

„Ich kann dich begleiten", bot Jake an.

„Wir begleiten dich beide", besserte Jared ihn aus.

„Du wohnst nicht einmal neben uns!"

„Na und? Deswegen kann ich trotzdem mitkommen! Euch Vampiren kann man doch keinen Menschen anvertrauen!"

„Aber euch Werwölfen schon, oder was?"

„Wir sind zumindest keine blutsaugenden Untoten!"

Jakes Augenbraue zuckte. „Wir auch nicht", schnaubte er. „Und im Vergleich zu euch Werwölfen stinken wir nicht nach nassem Hundefell."

Die Bewohner von Harrowville (Band 1: Spinnen) | Wattys 2022 ShortlistWhere stories live. Discover now