Kapitel 12

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Ich erstarrte. Als ich kurz lauschte, konnte ich es ebenfalls hören: Irgendjemand schlich durch den Gang. Mein erster Gedanke landete bei dem Typen, den ich im Wald gesehen hatte. Was, wenn er hier war? Wenn er uns bis hierher verfolgt hatte und nun auf eine Gelegenheit wartete, zuzuschlagen?

Dann aber erkannte ich das Schrittmuster und mein Herz sank mir in die Hose. „Schnell, versteckt euch!", zischte ich. Gleichzeitig begann ich damit, das restliche Essen unter das Bett zu schieben. „Wenn mein Vater uns so sieht, haben wir ein Problem!"

Maude war die Erste, die reagierte. Und zwar, indem sie sich noch schnell ihr Brot fertigschmierte und sich dann so hinstellte, dass sie hinter der Tür verschwinden würde, sobald diese aufging. Sie nahm einen weiteren Bissen, als ich sie böse anstarrte.

Zumindest Jake und Jared halfen mir, und während Jared sich zum Essen unter das Bett quetschte, kletterte Jake in meinen Kleiderschrank und schloss die Schranktüren. Blieb nur noch ich übrig. Schnell legte ich mich in mein Bett, zog die Decke bis zur Nasenspitze hoch, und schloss die Augen. Kurz konnte ich Maude noch kauen hören, dann wurde es still im Zimmer.

Eine Sekunde später ging die Tür auf. Wenigstens war das Licht im Flur nicht eingeschaltet, sonst hätte mein Vater bestimmt die ganzen Krümel am Boden gesehen. Außerdem war ich mir ziemlich sicher, dass Maude überall Marmelade hinterlassen hatte. Danke dafür, Maude!

Ich öffnete mein linkes Auge einen winzigen Spalt und erkannte den Umriss meines Vaters, der leise das Zimmer betrat, als würde er sich bemühen, mich nicht zu wecken. Bestimmt meinte er es nur gut, aber am liebsten würde ich ihn wissen lassen, dass ich wach war und er gefälligst aus meinem Zimmer verschwinden sollte! Wenn ich das tat, würde ich allerdings ziemlich sicher die anderen auch noch auffliegen lassen, denn Maudes Versteck hinter der Tür war wirklich verdammt schlecht gewählt.

Mir fiel auf, dass mein Vater seine Waffe trug. Wieso zum Teufel hatte er seine Waffe bei sich? Vor ein paar Jahren war tatsächlich jemand bei uns eingebrochen und hatte mein Zimmer nach Taschengeld und sonstigem Zeug durchsucht, während ich im Bett gelegen war und versucht hatte, so zu tun, als hätte er mich nicht längst aufgeweckt. Und während ich damals vor Angst fast gestorben wäre, hatte mein Vater die Tür aufgerissen, den Einbrecher zu Boden gerammt und direkt verhaftet. Dafür hatte er keine Waffe gebraucht. Wieso also jetzt? Ob er etwas über den Mörder wusste, der im Wald herumschlich? Als Polizist müsste er das eigentlich wissen ... vielleicht sollte ich ihn einmal ein wenig ausfragen.

Wenig später verließ mein Vater das Zimmer wieder und ich atmete auf. Trotzdem wartete ich noch ein paar Minuten und lauschte, bis es draußen auf dem Gang vollkommen still geworden war. Erst dann schaltete ich meine Nachttischlampe ein und setzte mich auf. Jared kam unter dem Bett hervorgekrochen, Jake rollte aus dem Kleiderschrank, und Maude aß weiter, als wäre nichts passiert, während sie sich zurück auf den Boden setzte.

„Das war knapp", murmelte ich.

„Ach was, das war doch nicht knapp!", widersprach Jared. „Du hättest dabei sein müssen, als wir uns einmal nachts in den Turnsaal der Schule geschlichen und alle Geräte aufgebaut haben, um darauf herumzuturnen. Das alles wegzuräumen und auch noch zu verschwinden, bevor wir entdeckt wurden, das war richtig knapp."

„Wer war da alles dabei?", fragte ich.

„Na ja, alle", antwortete Maude an seiner Stelle. „Oder zumindest die meisten. Es war die Nacht nach dem letzten Schultag vor den Sommerferien."

„Und es sind wirklich alle gekommen?", fragte ich. „Ich dachte, Werwölfe und Vampire mögen sich nicht."

„Na ja – ja", sagte Maude. „Aber das ist Tradition."

Die Bewohner von Harrowville (Band 1: Spinnen) | Wattys 2022 ShortlistWhere stories live. Discover now