Kapitel 15

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Zuerst wollte ich mich noch losreißen, dann aber erkannte ich, wer mich da gepackt hatte: Maude. Sie zog mich quer über die Tanzfläche und weiter, bis vor die Haustür nach draußen und auf die Straße, sodass wir ein Stück von den restlichen Leuten entfernt waren, die im Garten saßen.

Maude setzte sich auf den Randstein des Gehsteigs und vergrub das Gesicht in den Händen. Nach kurzem Zögern setzte ich mich neben sie.

„Ich ... brauche jemanden zum Reden", nuschelte Maude.

„Okay", sagte ich bloß. Maude wollte anscheinend über Gefühle reden. Was war denn jetzt los? Das war bestimmt der Alkohol!

Maude holte tief Luft, ehe sie zu sprechen begann. „Mel hat mich gerade geküsst", sagte sie.

In meiner Trunkenheit begann ich zu klatschen.

„Das ist nichts, wofür man klatschen soll!", zischte Maude.

Ich ließ meine Arme sinken und verzog das Gesicht zu einem Schmollmund. „Wieso nicht?"

„Weil ... Weil sie ein Werwolf ist! Und ein Mädchen! Und..." Maude fuchtelte wild mit den Händen durch die Luft.

„Und was?", fragte ich. Was genau war hier das Problem?

„Ich bin ein Vampir! Ich kann doch nicht..." Maude brach ab und vergrub ihr Gesicht in ihren Knien. „Und bestimmt hasst sie mich jetzt sowieso."

„Wieso sollte sie das tun? Mal abgesehen von Werwolfvampirfeindschaften undso."

Maude antwortete kurz nicht.

Ich rückte näher und zog an ihrem Arm. „Maude?", fragte ich.

„Ich ... habe Panik bekommen", murmelte sie. „Also habe ich sie weggestoßen und bin nach unten gelaufen."

Ich blinzelte. „Oh", sagte ich leise. „Das ... ist nicht so super."

„Ich weiß", knurrte Maude und fuhr sich durch die Haare. „Ich bin so bescheuert!" Gerne hätte ich ihr widersprochen, aber ... na ja...

„Noch ist nicht alles verloren", sagte ich deswegen und tätschelte ihre Schulter.

„Was soll ich jetzt denn noch machen?", jammerte Maude.

„Äh ... keine Ahnung, dich entschuldigen und deine Liebe gestehen?"

„Liebe? Ich bin doch nicht verliebt!", fauchte Maude.

„Wenn du meinst", murmelte ich und streckte mich. Hier draußen wurde es langsam kalt – vor allem ohne Jacke. Was tat man nicht alles für seine Freunde!

Ich wollte gerade vorschlagen, zurück nach drinnen zu gehen, als ich Schritte hörte. Als ich den Kopf hob, stand jemand auf der anderen Seite der Straße. Jemand in dunkler Kleidung und mit Sonnenbrille. Ich erstarrte. Das war der Typ, den ich heute in der Schule gesehen hatte!

„Maude?", sagte ich und stand langsam auf.

Maude folgte meinem Beispiel. „Wer ist das?", fragte sie.

„Keine Ahnung", antwortete ich leise. „Aber der war heute schon in der Schule."

„Hey, du!", rief Maude. „Das ist ein privates Gespräch! Zur Party geht's da drüben!"

Keine Antwort. Dafür trat der Typ einen Schritt näher. Irgendwie kamen mir seine Bewegungen vertraut vor.

Maude schnupperte. „Dieser Geruch..." Ihre Augen leuchteten rot auf und sie stieß ein Fauchen aus.

Und als der Typ noch einen Schritt nähertrat, erkannte ich auch, was genau mir an ihm so vertraut erschien.

„Dich habe ich im Wald gesehen!", platzte es aus mir heraus. Vielleicht hätte ich das lieber für mich behalten sollten, denn jetzt nahm er seine Brille ab. Genau wie im Wald hatte er keine normalen Augen – der gesamte Augapfel war pechschwarz. Er grinste. Wenigstens seine Zähne waren noch menschlich. Noch. Sein Blick bohrte sich in mich und ich wich unwillkürlich zurück. Hektisch sah ich mich nach etwas um, das ich als Waffe verwenden könnte.

Die Bewohner von Harrowville (Band 1: Spinnen) | Wattys 2022 ShortlistWhere stories live. Discover now