Kapitel 20

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Joseph und Albert waren im Hotel angekommen. Neal Masson hatte sich persönlich dafür eingesetzt, dass die beiden einen Schlafplatz in der Stadt bekamen. Die Kosten trug der Geheimdienst. Das Zimmer, das man Joseph und Albert besorgt hatte, war schön. Es war keine luxuriöse Suite, aber man konnte es durchaus ein paar Tage hier aushalten.

Das Allerwichtigste war Joseph ohnehin die Sauberkeit in einem Hotel; und die war hier gegeben. Die weißen Fliesen sahen so aus, als wären sie erst vor wenigen Minuten feucht gesäubert worden. Auch die himmelblauen Wände waren absolut rein und wiesen nirgendwo die üblichen Hotelflecken auf, die den Besucher in aller Regel, bei dem Gedanken an ihre Entstehung, würgen ließen. Solche Flecken kannte Joseph allzu gut aus irgendwelchen billigen Mallorca-Hotels, in die er als Jugendlicher zum Feiern gereist war. Doch hier gab es solche Erinnerungen an Vormieter glücklicherweise nicht. Das Zimmer war sauber. Auch sonst wirkte es hell und einladend. Dünne, weiße Gardinen umrahmten die bodentiefen Fenster und ließen viel Sonnenlicht in das Zimmer fallen; selbst jetzt, wo die Sonne bereits im Begriff war, unterzugehen. Direkt über dem weißen Holz-Doppelbett, das sich Joseph und Albert wohl teilen mussten, hing ein Bild von einem hellblauen Leuchtturm, der von der Sonne beschienen wurde. Eigentlich eine Abbildung wie Joseph sie eher in einem Ferienhaus in Strandnähe erwartet hätte. Aber obwohl das Bild rein vom Motiv nicht wirklich hierher passte, wirkte es schön in dem Zimmer und rundete den wohnlichen Gesamteindruck ab.

Albert hatte seine Sachen in die Ecke geworfen und sich auf das Bett fallen lassen. Auch wenn ihn die ganze Sache persönlich nicht so schwer traf wie Joseph, so sah man ihm doch an, dass auch für ihn der Tag strapazierend gewesen sein musste.
"Glaubst du Arthur weiß noch mehr?", fragte Albert.
"Ich weiß es nicht. Er wirkte nicht gerade so, als würde er etwas geheim halten. Für mich schien es so, als würde er mir alles sagen, was er über das Haus weiß."
"Was wenn er wirklich nicht mehr dazu sagen kann?"
"Keine Ahnung."
"Die haben keinen Ansatzpunkt. Wenn Arthur Dir nichts sagen kann, dann sind deren Ermittlungen wieder bei Null. Wie sollen wir so jemals Deinen Vater ausfindig machen?"
"Keine Ahnung", wiederholte Joseph sich. "Ich weiß es wirklich nicht."
"So oder so. Du wirst ihn anrufen müssen. Uns bleibt ja keine Wahl."

Joseph schloss die Augen und nickte. Sein Kopf spielte in Sekundenschnelle alle möglichen Antworten durch, die er von Arthur erhalten könnte. Besonders eindrucksvoll bohrten sich die negativen Möglichkeiten in Josephs Gedankengänge. Er konnte selbst spüren wie zittrig sein Atem bei dem Gedanken wurde, dass Arthur nicht mehr als "Keine Ahnung" sagen könnte. Arthur musste einfach die Lösung für das ganze Rätsel sein, sonst würde Joseph seinen Vater nie wieder sehen.

"Also? Was sagst du? Gehen wir es an?" Albert riss Joseph aus seinen Gedanken.
"Macht's Dir was aus, wenn ich zuerst mit Rita telefoniere? Ich muss ihr das einfach kurz erzählen."
"Nein, natürlich nicht. Sprich mit ihr. Sie macht sich sicher auch schon Sorgen."
Joseph nickte nur und zog sein Handy aus der Hosentasche hervor. "Ja, es wird sie freuen, von mir zu hören. Und auch mir wird es guttun, mit jemandem über all das hier zu sprechen."
Er öffnete die Anrufliste und fand Ritas Kontakt gleich ganz oben.

Das Handy klingelte nicht lange, da hörte Joseph bereits, dass am Ende der Leitung abgehoben wurde. "Ja?", fragte Ritas Stimme.
"Hallo Rita, ich bin's, Joseph."
"Hey, wie geht's Dir?"
"Lange Geschichte, ich komme sofort dazu. Aber sag mir zuerst wie es dir geht. Irgendwas neues? Oder etwas schlimmes vorgefallen?"
"Nein, bei mir ist alles gut. Ich bin bei Madita. Ich dachte, hier wäre ich etwas sicherer."
"Das war eine gute Idee. Mitten in der Stadt - und noch dazu in Begleitung - bist du bestimmt bestens aufgehoben."
"Aber was ist denn jetzt bei euch los? Du klingst angespannt, Joseph."
"Du erinnerst Dich, dass ich diesen Zettel von meinem Vater gefunden habe?"
"Aber Joseph, ich hab' Dir doch gesagt, dass das nicht..."
"Er lebt noch."
Rita stockte. Gerade noch wollte sie ihrem Verlobten erneut klarmachen, dass das nicht möglich ist. Jetzt klang seine Stimme jedoch so ernst und so überzeugt, dass Rita nur fragte: "Was sagst du da?"
"Mein Vater lebt. Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Albert war auch dabei."
"Ihr habt euch getroffen?", hakte Rita ungläubig nach.
"Nein, das nicht. Ich habe Dir doch erzählt, dass wir bei dem Geheimagenten waren. Der hatte so ein Video von einer kriminellen Organisation. Ein Bekennervideo. Und da war mein Vater drauf. Zu Einhundert Prozent!"
"Du meinst, dein Vater ist ein Krimineller? Und hat sich tot gestellt, um ungestört dieser Organisation beitreten zu können?"
Joseph schwieg und ließ sich Ritas Frage durch den Kopf gehen.
Rita schloss an: "Joseph, das würde Dein Vater nie im Leben machen! Das würde er Dir nicht antun. Er liebt Dich."
"Das habe ich auch gedacht. Aber er war auf dem Video. Da gibt es keinen Zweifel!"
"Was haben denn die Agenten gesagt, als Du ihnen bestätigt hast, dass das Johann ist?"
"Sie hatten noch gar keine Vermutung. Ihnen war er unter einem polnischen Namen bekannt. Wahrscheinlich eine neue Identität, die man ihm verpasst hat. Ich habe ihnen dann aber gesagt, dass das mein Vater ist. In Kombination mit Papas Haus, das der Geheimdienst ohnehin schon observiert hat, macht das für die natürlich nun umso mehr Sinn."
"Das heißt, der Geheimdienst hält Johann also jetzt für einen Kriminellen?"
"Ich kann ihnen die Vermutung nichtmal verübeln. Aber Albert hat sie überzeugt, dass er auch gezwungen worden sein könnte. Dass er gar nicht freiwillig bei diesen Verbrechern mitmacht."
"Und wie wollt Ihr das beweisen?", fragte Rita aufgeregt.
"Arthur", antwortete Joseph. "Wir brauchen die Hilfe von Arthur. Er muss uns sagen, wozu mein Vater das Haus brauchte. Ob er es schon damals gekauft hat, um hier krumme Geschäfte zu machen."
"Meinst du, dass Arthur was darüber weiß?"
"Ich weiß es nicht, Rita. Er ist jedenfalls meine einzige Hoffnung. Deswegen würde ich jetzt auch mal auflegen. Ich muss Arthur dringend heute noch erreichen."
"Joseph? Soll ich zu Dir nach Polen kommen?"
"Auf gar keinen Fall! Bleib bei Madita. Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich weiß, dass Du bei ihr in Sicherheit bist."
"Na schön." Rita gab schnell nach, weil sie wusste, dass Joseph in dieser Debatte nicht nachgeben würde.
"Ich weiß, dass Du helfen willst. Aber hier muss ich ganz alleine durch. Ich kann Dich einfach nicht in Gefahr bringen."
"Schon okay", antwortete Rita. "Aber versprich mir, dass Du dich weiterhin regelmäßig meldest. Ich halte es hier sonst nicht aus vor Aufregung."
"Das mache ich."
"Und Joseph?"
"Ja?"
"Bitte behalt' auch im Hinterkopf, dass wir Deinen Vater beerdigt haben. Es ist immer noch möglich, dass Du dich täuschst. Steiger' dich einfach nicht zu sehr in etwas hinein und vergewissere Dich so oft wie möglich, ob die Spur, der Du nachgehst, wirklich noch realistisch ist."
"Versprochen, Rita", gab Joseph zurück. Er wusste, dass Rita ihn vor Fehlern bewahren wollte. Dennoch war er sicher, dass sein Vater noch lebte, egal wie unrealistisch das für Rita klingen mochte.
"Okay, dann sprich jetzt mit Arthur. Und pass auf Dich auf! Ich liebe Dich!"
"Ja. Ich liebe Dich auch!"
Joseph nahm sein Handy vom Ohr und legte auf. Dann nickte er kurz Albert zu und signalisierte ihm, dass er nun bereit war, Arthur anzurufen.

Zwischen alten Decken Where stories live. Discover now