Kapitel 18

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Rita nahm auf dem braunen Ledersofa platz. Obwohl das Leder ein paar kleinere Risse hatte, wirkte es nicht alt oder abgesessen. Im Zusammenspiel mit den anderen Möbeln, die im Retrostil gehalten waren, wirkte die Ledergarnitur sogar äußerst passend und modern.
Madita war in der Küche verschwunden, um Rita einen Tee zuzubereiten. Rita war so glücklich, eine Freundin wie Madita zu haben. Ihr war von Anfang an klar gewesen, dass ihre ehemalige Schulkameradin einen Platz für sie frei hätte. Und sie hatte Recht behalten. Als Rita am Telefon alles grob geschildert hatte, hatte Madita gleich geantwortet: "Komm zu mir, Rita. Du bist jederzeit willkommen."
Also hatte Rita ihren Koffer, der nun neben dem Fernseher in Maditas Wohnzimmer stand, gepackt und hatte sich auf den Weg nach Berlin gemacht. Im Gegensatz zu Joseph und Rita, die ihr Heim in der ländlichen Umgebung der Großstadt aufgeschlagen hatten, hatte Madita gleich nach dem Schulabschluss den Weg in die Hauptstadt gesucht. Beim Anblick der geräumigen Wohnung, die sicher ein Vermögen an Miete erforderte, konnte das nicht die schlechteste Idee gewesen sein.

"Soll ich etwas Süßstoff in Deinen Tee machen?", tönte es aus der Küche ins Wohnzimmer.
"Ja, bitte", antwortete Rita und strich dabei nachdenklich mit den Fingern über das braune Leder des Sofas.
Madita betrat das Zimmer und reichte Rita die heiße Tasse.
"Danke, das ist lieb von Dir. Und nochmal Danke, dass ich ein paar Tage bleiben darf."
"Das ist selbstverständlich, Rita."
"Nein, ganz und gar nicht. Ich bin echt froh, Dich gerade zu haben."
"Du hast mir echt einen Schock am Telefon bereitet und wirktest total verzweifelt. Ist doch klar, dass meine Tür da für Dich offensteht."
"Danke!"

Madita zupfte sich ihren teuer ausschauenden schwarzen Overall zurecht und ließ sich auf den kleinen Sessel fallen, der ein Stück neben dem Sofa stand und mit dem gleichen braunen Leder bedeckt war. Rita musterte ihre gute Freundin, die sie seit längerem nicht gesehen hatte. Modisch war sie schon immer gewesen. Bereits im fünften Schuljahr, als Rita noch die Kleidung von ihrer Mutter ausgesucht bekommen hatte, hatte Madita stets die modernste Kleidung tragen wollen. Dabei hatte sie auf Rita aber nie übermäßig eitel oder gar arrogant gewirkt. Man kaufte ihr schon damals ab, dass Mode eine Art Hobby von ihr war. So hatte Madita auch später den Sprung in das Management eines großen Modelabels geschafft, für das sie noch heute tätig war. Vermutlich war auch der schwarze Overall, den sie gerade trug, ein Arbeitsoutfit. Wahrscheinlich war Madita kurz vor Ritas Eintreffen aus dem Büro nach Hause gekommen. Denn Rita konnte sich nicht vorstellen, dass Madita auch privat solche Overalls trug. Vor allem nicht in Kombination mit Adiletten, wie sie sie gerade präsentierte, als sie die Beine übereinanderschlug. Sicherlich hatte Madita ihre teuren Schuhe ausgezogen und für ihre Freizeit bequemes Hausschuhwerk angezogen, als sie nach Hause gekommen war.

"Du musst mir das trotzdem nochmal erzählen", begann Madita ein Gespräch. "Das kann man ja alles gar nicht fassen. Also Joseph hat ein Haus geerbt, von dem er nichts wusste, und jetzt werdet Ihr beide bedroht?"
"Das fasst es ganz gut zusammen", antwortete Rita. "Das Haus gehörte Josephs Vater. Was er damit genau gemacht hat, wissen wir beide nicht so wirklich."
"Ja, gut. Das ist ja schon verwunderlich genug. Aber dass ihr bedroht werdet, das verstehe ich nicht."
"Glaubst du ich verstehe das? Es ist ja klar, dass Joseph sich sein Erbe anschauen möchte. Aber irgendwie kam dann diese Warnung bzw. Drohung, dass er das auf gar keinen Fall tun soll."
"Der Stein in Eurem Auto, von dem du am Telefon gesprochen hast?", hakte Madita nach.
"Ja, genau. Da stand drauf, dass man unser Leben zur Hölle macht, wenn wir uns das Haus in Polen ansehen. Deswegen habe ich ja auch allein zuhause keine Ruhe mehr gehabt und habe Dich angerufen."
"Das war genau die richtige Entscheidung, Rita."
Rita nickte zustimmend.
"Aber ich verstehe nicht, dass du Joseph nicht davon abgehalten hast, nach Polen zu fahren."
"Das habe ich versucht."
"Aber?"
"Aber Joseph kann ein ganz schöner Dickschädel sein, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Und immerhin konnte ich ihn überreden, dass er nicht alleine hinfährt."
"Wer begleitet ihn denn?", wollte Madita wissen und trank einen Schluck von ihrem Tee.
"Albert Lischewski, ein Angestellter von uns. Er spricht fließend polnisch. Das hilft Joseph sicherlich weiter."
"Verstehe."
"Am Telefon hat Joseph außerdem erzählt, dass er Kontakt zu einem Geheimdienstagenten hat."
"Das ist doch super! Dann ist er wenigstens geschützt."
"Naja, ich weiß nicht", gab Rita zu bedenken. "Er hat den Agenten wohl kennengelernt, weil der das Haus von Josephs Vater observierte. Also ist da doch bestimmt was im Busch."
"Nicht zwingend", meinte Madita. "Vielleicht war es auch reine Routine, weil es einen Besitzerwechsel gegeben hat."
"Madita, ich bitte Dich. Ein Geheimdienst observiert doch nicht jedes Haus, bei dem der Besitzer wechselt."
"Mag sein", gestand Madita.
"Ich habe Angst, dass Joseph sich in Gefahr begibt."

Ritas Unterlippe begann, unwillkürlich zu zittern. Das tat sie immer, wenn Rita kurz davor war, in Tränen auszubrechen.
Madita versuchte sie zu besänftigen: "Er ist doch nicht alleine. Und vielleicht hat er von dem Agenten Tipps bekommen, wo er sich sicher fühlen kann oder was er zum Schutz für sich und Albert unternehmen könnte."
"Ich weiß es nicht."
Rita schüttelte den Kopf und strich sich eine ihrer blonden Strähnen aus dem Gesicht.
"Ich weiß es wirklich nicht", wiederholte sie sich. "Ich glaube er verrennt sich da in etwas."
"Wieso denkst Du? Es ist doch nur logisch, dass er sich das Haus ansehen wollte."
"Ja, na klar. Aber er hätte es sich ansehen und gleich wieder zurückkommen sollen. Jetzt will er diesem Agenten noch helfen."
"Was bedeutet helfen?"
"Naja, irgendwie hat er die bescheuerte Idee, dass sein Vater noch leben könnte. Weil es dieses Haus gibt. Bei unserem letzten Telefonat hat er erzählt, dass er glaubt, Hinweise gefunden zu haben, dass Johann, also sein Vater, nicht tot sei."
"Ihr seid doch auf der Beerdigung von Josephs Vater gewesen, oder nicht?", hakte Madita erneut nach.
"Ja, natürlich. Das habe ich Joseph auch klarmachen wollen. Er ignoriert das einfach."
"Und wie seid Ihr jetzt verblieben?"
"Joseph will mit dem Geheimdienstagenten zusammenarbeiten, um Antworten zu finden. Dass ich das für keine gute Idee halte, war ihm dabei relativ egal. Und ich befürchte, dass es mit jedem Tag, den er in Polen bleibt, gefährlicher für ihn wird. Der Stein lag doch nicht umsonst in unserem Auto."
"Wohl kaum", flüsterte Madita sich selbst zu und schluckte schwer. "Trink Deinen Tee, Rita. Du bist hier in Sicherheit. Und Joseph können wir jeden Tag anrufen. Er schafft das schon."

Rita wusste Maditas Worte zu schätzen. Dennoch fühlte sie sich nicht wohl bei dem Gedanken, in welcher Gefahr ihr Verlobter stecken könnte. Eigentlich konnte sie nicht die Ruhe bewahren und Tee trinken, wenn Joseph sein Leben riskierte. Doch das war das einzige, das sie gerade tun konnte. Und genau diese Tatsache ließ sie nicht locker.

Zwischen alten Decken Where stories live. Discover now