Kapitel 12

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Joseph und Albert konnten noch immer nicht glauben, was der Agent ihnen vorhin erzählt hatte. Joseph wusste, dass sein Vater kein schlechter Mensch gewesen war. Er war fest davon überzeugt, dass es sich um eine Verwechslung handeln musste. Auch Albert meinte, dass es sich sicher um ein Missverständnis handelte und hatte Joseph daraufhin geraten, ruhig zu bleiben. Doch wie sollte er hier ruhig bleiben? Er hatte seine Verlobte zuhause allein gelassen, um in dieses verlassene Haus zu kommen, das scheinbar gar nichts über seinen Vater verraten konnte. Zu allem Überfluss hatte man noch mit einer Waffe auf ihn gezielt und ihm erzählt, sein Vater habe mit Verbrechern verkehrt. Da konnte er unmöglich ruhig bleiben. In seinem Kopf schlugen hunderte Fragen Radschläge. Er fühlte sich gerade so, als wäre er nach einer langen Partynacht völlig verkatert wach geworden.
Jetzt starrte er schon fast 5 Minuten lang eine Spraydose mit Lavendel-Raumspray an, die er in einem der Küchenschränke gefunden hatte. Er sah sie so an, als würde er darauf warten, dass sie ihm endlich Antworten lieferte.
"Hey, Joseph. Ich weiß, dass das gerade alles etwas viel für dich ist", durchbrach Albert mit seiner tiefen Stimme nun die Stille. "Aber wenn du weiter die Dose anstarrst, sind wir auch nicht schlauer als zuvor. Lass uns weitersuchen."
Joseph stellte die Spraydose zur Seite und nickte Albert zu. Albert hatte schließlich Recht. Die Antworten, die Joseph suchte, würden nicht einfach vom Himmel fallen.
Joseph stand also auf und fragte Albert: "Wie sollen wir vorgehen?"
"Wie du möchtest. Ich hätte jetzt spontan vorgeschlagen, dass wir uns erstmal oben umschauen. Dieser Typ vorhin schien mir relativ ehrlich zu sein. Und er meinte, dass das ganze Erdgeschoss keine Hinweise birgt."
"Stimmt. Dann das Obergeschoss zuerst!"

Oben angekommen durchsuchten die beiden das erste Schlafzimmer. Es war das Zimmer, das auch Jakub Zjawinski bereits durchsucht hatte. Die Suche von Albert und Joseph blieb ebenso ergebnislos wie die des Agenten.
"Dieses Haus ist verdammt nochmal leer!", schrie Joseph wütend.
"Hey, das war erst eins der Zimmer hier oben. Wir können immer noch etwas finden", versuchte Albert ihn zu besänftigen. "Komm, wir gehen ins nächste Zimmer!"
"Na schön", antwortete Joseph kurz und sichtlich genervt.
Albert öffnete ihm die Tür und gewährte ihm den Vortritt in den Flur. Beim Betreten des Flures ließ Joseph seinen Blick von links nach rechts und anschließend vom Boden zur Decke schweifen.
"Das ist es!", sagte er dann wie aus dem Nichts.
"Was ist was?", fragte Albert verwundert.
"Der Dachboden." Joseph zeigt auf eine Klappe in der Decke des Flures. "Wenn wir was finden, dann da oben."
Albert schien über die plötzliche Entschlossenheit seines Freundes verwundert, aber entgegnete dennoch: "Meinetwegen. Dann öffne die Klappe!"
"Heb' mich hoch, damit ich an den Hebel komme!"
Albert hob Joseph hoch. Dieser konnte somit an dem kleinen, runden Hebel an der Klappe zum Dachboden ziehen. So ließ sich die Klappe öffnen. Auf der Innenseite befand sich eine Leiter, die sich nun ausziehen ließ.
"Nach dir!", sagte Albert und bat Joseph damit, als erster die Leiter zum Dachboden hinaufzusteigen.
Bei jedem Schritt krächzten die Stufen der Leiter. Wirklich wohl fühlte Joseph sich nicht, als er sie Schritt für Schritt hinaufstieg. Doch der Gedanke daran, dass die Möglichkeit bestand, dort etwas Neues über seinen Vater oder wenigstens über sein Erbe herauszufinden, trieb ihn an.
"Okay, komm hoch", forderte er Albert auf, als er oben angekommen war.
Dieser folgte ihm und schien sich dabei ebenso unbehaglich wie Joseph zu fühlen. Beide wussten nicht, was sie oben erwarten würde. Wenn Gniew-Osiem wirklich so grausam war, wie Jakub Zjawinski es ihnen berichtet hatte, und tatsächlich dieses Haus genutzt haben sollte, dann konnte sie hier oben alles mögliche erwarten.
Auf den ersten Blick sah jedoch alles nach einem ganz gewöhnlichen Dachboden aus. Außerdem machte es den Anschein, als ob hier seit Ewigkeiten niemand mehr gewesen war. Überall standen leere Kartons oder alte Möbel herum, auf denen sich bereits eine zentimeterdicke Staubschicht angesammelt hatte.
"Meinst du wirklich, dass wir hier was finden?", fragte Albert skeptisch.
Doch Joseph antwortete ihm nicht und begann sofort damit, nach Hinweisen von seinem verstorbenen Vater zu suchen. Er öffnete einige der Kartons, doch alle waren leer. Sie gehörten größtenteils zu Haushaltsgeräten, die vermutlich irgendwo im Haus standen. Die Kartons hatte der Besitzer vermutlich für den Fall einer Reklamation oder eines Weiterverkaufs verwahrt und hier oben platziert, damit sie nicht im Weg standen.
Die Kartons waren also eine Sackgasse. Als nächstes wollte Joseph sich daher zwei Koffer vornehmen, die er in einer Ecke hatte stehen sehen.
Doch noch ehe er damit beginnen konnte, rief Albert ihm laut zu: "Ich hab's. Komm mal her!"
Joseph stellte die Koffer wieder zur Seite und ging zu Albert.
"Auf allem, was hier herumsteht, ist eine dicke Staubschicht. Aber jetzt schau dir mal diese Kommode an!", führte Albert sofort aus. Er zeigte auf eine Holzkommode, die in einem dunklen Winkel des Dachbodens stand.
"Die ist neu! Die steht noch nicht lange hier oben", stellte Joseph gleichsam erschrocken wie erfreut fest.
"Entweder das, oder sie ist mit Absicht entstaubt worden. Jedenfalls wollte jemand, dass uns diese Kommode auffällt.", entgegnete Albert.
"Na los, worauf wartest du? Schau rein!", wies Joseph seinen Freund an.
Die Kommode hatte vier Schubladen. Albert öffnete alle vier, doch nur eine hatte einen Inhalt. In dieser befanden sich einige alte Decken, die so rochen, als wären sie noch nie gewaschen worden. Joseph konnte den Geruch jedoch gut ignorieren und drückte Albert, der sich bereits die Nase zuhielt, zur Seite. Joseph holte die Decken aus der Schublade und legte sie auf den Boden. Dann entfaltete er eine nach der anderen; zunächst ergebnislos. Doch dann, als er die letzte der Decken auseinander faltete, flog ihm ein Stück Papier entgegen. Joseph griff sofort danach und las mit Erschrecken, was darauf stand:

"Egal, was sie dir erzählen: Ich lebe noch!
J.H."

Zwischen alten Decken Where stories live. Discover now