Kapitel 3

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Jakub Zjawinski ging seinem Job nach. Das, was er hier tat, war sicher nicht falsch. Es musste gemacht werden. Er war nur der einzige, der das begriffen hatte.

Schon seit Wochen hatte er seinen Kollegen erklärt, dass die Überwachung dieses Hauses oberste Priorität haben sollte. Immer wieder hatte er seinen Vorgesetzten und Kollegen gesagt, dass dieses Haus der Schlüssel wäre, um den Fall endlich zu knacken. Er hatte sie so lange bearbeitet, bis man ihm schließlich genehmigt hatte, Verstärkung für seine Observationen hinzuzuziehen.
Das hatte er getan. Fünf weitere Kollegen hatte er in sein Team beordert. Das Haus wurde von diesem Zeitpunkt an vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage pro Woche observiert.

Zuvor hatte Jakub das Haus wochenlang alleine observiert. Gauner und Kleinkriminelle tummelten sich dort wie Ameisen in ihren Bauten. All diese Leute ordnete Jakub der Gruppe Gniew-Osiem zu. Ein Bündnis von Kriminellen, das immer wieder für Aufsehen sorgte. Es gab kaum Straftaten, die man ihnen nicht zuordnen konnte. Ihre Akte war gefüllt mit Morden, Anschlägen, Überfällen, Geiselnahmen und vielem mehr. Was dabei das eigentliche Ziel der Gruppe war, war gar nicht so klar. Die Theorien stützten sich eher auf Mutmaßungen. Einige Menschen dachten, sie wollten Einfluss auf die Politik nehmen. Andere dachten, ihre Taten beruhten auf rassistischen Hintergründen.

Das ist die heiße Spur, nach der wir alle gesucht haben, hatte Jakub gedacht, als er zugehörige der Gruppe bei seinen Observationen gesehen hatte. Eigentlich mussten sie nur noch den endgültigen Beweis liefern, dass in diesem Haus tatsächlich kriminelle Dinge vor sich gingen. Dazu war es einfach nötig gewesen, sein Team zu vergrößern. Das hatte er schließlich auch getan. Von diesem Zeitpunkt an hatten Jakub und seine Kollegen Tag und Nacht das verdächtige Gebäude observiert.

Und es war rein gar nichts passiert.

Anfangs hatte er seinen Kollegen gesagt, dass sie einfach ein wenig Geduld haben sollten. Es würde sich sicher bald wieder was in dem alten Haus regen und dann hätten sie die eine große Spur, die sie direkt zur Lösung des Falles führen würde.
Zunächst hatten seine Kollegen ihm geglaubt und erstaunlich viel Geduld gezeigt, doch nach Wochen der ergebnislosen Observationen, hatten sie alle das Vertrauen in Jakubs Worte verloren und sein Team verlassen. Jetzt wurde er in der Zentrale nur noch belächelt.
Es hielt sich das Gerücht, er habe nur 'einmal in seinem Leben den Chef spielen wollen'. Dass er ein 'Wichtigtuer' sei, hatte er Kollegen hinter seinem Rücken sagen hören.
Er selbst wusste jedoch, dass er genau das nicht war. Und das würde er den anderen beweisen. Er würde die Spur finden, die er in dem alten Gebäude vermutete.

Und so war er jetzt auf Spurensuche. Alleine. Er würde die Sache jetzt auf eigene Faust angehen.
Von außen schien das Haus leer zu stehen. Durch die Fenster, die er alle kontrolliert hatte, hatte er niemanden sehen können und der Rasen vor und hinter dem Haus stand ihm bis zu seinen Waden.
Hier war tatsächlich schon seit längerem niemand mehr gewesen.
Doch vielleicht musste ja auch niemand dort sein, damit er die nötigen Beweise finden könnte.
Jakub begab sich zur Hintertür des Hauses. Schlösser zu knacken war eine seiner leichtesten Übungen. So brauchte er nur wenige Augenblicke und die Tür ließ sich problemlos öffnen. Mit dem Ellbogen stieß er sie auf und warf einen Blick in das Haus. Die Küche, in die er gleich eintreten würde, wirkte alt, aber dennoch nicht so, als wäre sie häufig genutzt worden. Die Griffe der Türen und Schubladen waren nicht abgegriffen, der Tisch hatte keine Kratzer oder Flecken. Mehr konnte er auf den ersten Blick nicht feststellen.
Bevor er schließlich eintrat, um sich genauer im Haus umzusehen, griff er nach seiner Waffe.
Sicher ist sicher.
Er lud sie und streckte sie vor seinen Körper. Er war bereit, falls sich doch jemand in diesem Haus befinden würde. Langsam tastete er sich Schritt für Schritt in den Raum hinein und schaute sich um. Zuerst blickte er in alle Ecken. Er wollte sich von nichts und niemandem überraschen lassen. Doch in der Küche befand sich niemand.
Jakub ließ die Arme sinken und legte seine Waffe auf dem Küchentisch ab. Er wollte systematisch vorgehen. Daher begann er an der Tür, durch die er reingekommen war. Gleich daneben befand sich ein Schrank, in dem er einen Besen, ein Kehrblech, einen Handfeger und ein paar Putzeimer fand.
So öffnete er nach und nach jede Schranktür und jede Schublade. Nirgends konnte er ein spektakuläreren Fund machen. Nichts außergewöhnliches befand sich in diesem Raum.

Doch Jakub gab so leicht nicht auf. Schließlich hatte das Haus noch deutlich mehr Zimmer, die er durchsuchen konnte. Er würde seine Spur hier finden; da war er sicher.
Als nächstes ging er ins Wohnzimmer. Seine Waffe hatte er wieder in die Hände genommen und hielt sie gerade vor sich. Langsamen Schrittes betrat er das Zimmer und blickte sich kurz um.
Nichts auffälliges auf den ersten Blick.
Also bedurfte es einer genaueren Kontrolle. Wieder startete er diese mit der obligatorischen Kontrolle der Ecken. Ebenso sah er hinter den Schränken und unter den Sofas nach. Wie er so den Raum abcheckte wurde ihm erst klar, dass er dies eigentlich hätte machen sollen, bevor er die Küche auf den Kopf gestellt hatte. Hätte sich hier jemand versteckt gehalten, dann hätte er jetzt bewusstlos in der Küche liegen können. Vielleicht sogar tot.
Jakub war es nicht gewohnt, dass er die anderen Räume kontrollieren musste, wenn er sich auf Spurensuche begab. Jeder im Team übernahm normalerweise ein Zimmer pro Etage. Aber hier war kein Team. Hier war nur er - und zwar alleine.
Er verwarf diesen Gedanken schnell wieder. Er hatte schließlich Glück gehabt. Niemand hatte im Wohnzimmer auf ihn gewartet. Allerdings überprüfte er nun zunächst jeden Raum, bevor er sich an die detaillierte Suche nach Hinweisen machte. Er wollte sich das unbehagliche Gefühl nehmen, das sein kurzes Gedankenspiel ihm bereitet hatte. So überprüfte er also jedes Zimmer strukturiert und genau. Er war alleine. Niemand anderes war mit ihm im Haus. Das beruhigte ihn. Er konnte die Waffe wieder beiseite legen und sich an die Arbeit machen.
Er ging also zurück ins Wohnzimmer. Durch die großen Fenster drang das Tageslicht in das geräumige Zimmer und ließ den Staub in der Luft tanzen. Wirklich bewohnt sah auch dieser Raum nicht aus. Jakub fühlte sich eher in einen Horrorfilm versetzt, in dem zwei leichtsinnige Teenager ein verlassenes, altes Haus fanden, in dem ihnen das schlimmste Ereignis ihres Lebens bevorstand.
Bei diesem Gedanken lief es Jakub kalt den Rücken hinunter. Er zwang sich, seine Horrorvorstellungen auszublenden und sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er war schließlich ausgebildeter ABW-Agent. Er war für die Sicherheit des ganzen Landes mitverantwortlich. Er wäre sicherlich dazu in der Lage, es mit allem aufzunehmen, was ihn hier erwarten könnte.
Er machte sich also an die Arbeit. Jeder Schrank und jede Schublade wurde von ihm genauestens unter die Lupe genommen.

Doch plötzlich ein lauter Schlag gegen die Fensterscheibe, die sich in seinem Rücken befand.
Jakub erstarrte und hob intuitiv die Hände, um zu signalisieren, dass er unbewaffnet war. Er saß noch auf seinen Knien, denn er war gerade dabei, die unterste dreier Schubladen zu durchsuchen. Langsam erhob er sich. Er traute sich allerdings nicht, sich umzudrehen. Er wollte warten, bis er eine Anweisung seines Angreifers erhielt. Seine Hände fingen an zu schwitzen, sein Herz begann zu rasen und seine Zähne schlugen schnell und feste aufeinander. Er hatte begonnen, zu zittern. Er hoffte nur, dass sein Angreifer es nicht merken würde. Er fragte sich, ob derjenige von außen oder von innen an die Scheibe geklopft hatte. Womöglich stand er direkt hinter ihm und könnte ihm jeden Moment eine Kugel durch den Kopf jagen.

Jakub bekam Angst, jetzt wo er dem Tode geweiht war. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Angstbewältigung. Das war ein Thema, das er in seiner Ausbildung ständig hatte behandeln müssen. Er hatte alle möglichen Techniken dafür auswendig lernen müssen. Die Auszubildenden waren damals sowohl schriftlich als auch mündlich zu dem Thema getestet worden. Man hatte ihnen jedoch nicht beigebracht, wie man die Techniken zur Angstbewältigung abruft und umsetzt, wenn jemand eine Waffe auf einen richtet, das Gehirn in den Horrormodus schaltet und dabei 101 verschiedene Arten eines qualvollen Todes durchdenkt.

Er musste sich konzentrieren. Er musste herausfinden, wie nah sein Angreifer ihm schon war.
"Wer sind Sie? Und was wollen Sie?", fragte Jakub zögerlich.
Keine Antwort.
"Ich bin unbewaffnet und will Ihnen nichts Böses. Das schwöre ich Ihnen!"
Keine Antwort.
"Ich werde mich jetzt langsam umdrehen. Dann können wir uns über alles vernünftig unterhalten."
Wieder bekam Jakub keine Antwort. Vielleicht hatte der Angreifer doch von außen an die Scheibe geklopft und konnte ihn gar nicht hören.
Langsam drehte Jakub sich um.

Niemand war da. Weder im Zimmer, noch draußen. Der Angreifer war weg.

Zwischen alten Decken Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt