vierzig.

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Aideen rennt und rennt und rennt, ohne ein Ziel vor Augen zu haben. Alles, was sie will, ist, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und ihren Freund ... Exfreund ... zu bringen. In ihrem Leben sind ihr schon etliche Menschen in den Rücken gefallen, doch nichts davon hat sie jemals derart hart getroffen, wie der Verrat, den Ashley begangen hat. Zusammen mit Summer. Dieser Name sorgt für ein Kribbeln in ihren Handflächen. Summer Mitchell, die Verdorbenheit in Person! Aideen beschleunigt ihre Schritte. Sie braucht Abstand. Sie braucht Ruhe. Vor allem braucht sie einen Ort, an dem sich ihre Hände abreagieren können. Obwohl ihre Lungen brennen, rennt sie weiter. Den ganzen Weg über wird sie von Eric begleitet. „Geh weg! Hau endlich ab!", lässt sie ihre Wut, die sie in Bezug auf Ashley fühlt, an der Krähe aus. Tränen laufen unaufhörlich über ihr Gesicht und hinterlassen schwarze Schlieren des Mascaras, der den feuchten Boten ihres Schmerzes nicht gewachsen ist. Letztendlich findet sie sich am Ufer des Sees, der direkt neben dem Wald liegt.

Erschöpft und niedergeschmettert lässt sie sich auf den Boden sinken. „Warum?", sucht sie nach einer Antwort und blickt auf die Wasseroberfläche, in der sich das Licht des Mondes spiegelt, wie auch ihr verschwommenes Ich. Ihre verheulte Erscheinung gleicht eher einem Geist, als einer achtzehnjährigen jungen Frau, die in der Blüte ihres Lebens stecken und nicht von einer Katastrophe in die nächste katapultiert werden sollte.

Sie hält ihre Handflächen über den See und lässt Feuerbälle auf ihre Reflexion niedersausen. Sie kann den Anblick ihres gequälten Ichs nicht länger ertragen. Die lodernden Kugeln landen mit einem Zischen im Wasser und zerfallen zu Rauch. Ebenso wie ihre Beziehung. „Du Idiot", beschimpft sie Ashley, auch wenn sie weiß, dass er sie nicht hören kann. „Du riesengroßer, verdammter Vollidiot", schmückt sie ihre Beschimpfung aus, streckt ihre Arme von sich und schickt Feuerbälle weit über den See. „Warum tust du mir das an?" Letztendlich bricht sie erschöpft im Gras zusammen. Unaufhörlich macht sich ihr Handy bemerkbar. Nachdem sie es eine Weile zu ignorieren versteht, greift sie letztendlich doch danach. Sieben Anrufe von Ashley. Ebenso fünf Textnachrichten. Ohne diese zu lesen, wirft sie das Handy in hohem Bogen in den See. Ruhe. Endlich Ruhe. Erst jetzt fällt ihr auf, dass noch nicht einmal mehr das Krähen dieses nervtötenden Vogels zu hören ist. „Du kannst deinem Herrchen ausrichten, dass er zur Hölle fahren soll!", ruft sie dem Gefiederten hinterher, auch wenn er längst verschwunden ist. „Mitsamt seiner verdorbenen Gespielin!"

„Das klingt nach einem ziemlich beschissenen Tag", ertönt eine tiefe Stimme hinter ihr.

Erschrocken dreht sie sich um und blickt auf einen Mann, schätzungsweise Mitte zwanzig. Er ist nicht nur groß, sondern auch hübsch anzusehen ist. Hellbraune Haare, die er lang und offen bis zu seiner Schulter trägt, große, ernste Augen, Bartstoppeln und ein verwegenes Lächeln auf den Lippen. Trotz seines ansehnlichen Äußeren lässt Aideen Vorsicht walten. Erst jetzt wird ihr bewusst, wie bescheuert es war, unter den gegebenen Umständen, ausgerechnet hierher zu kommen. Allein. „Ähm, ...", sucht sie nach passenden Worten, während sie sich aufrichtet. „... ja, keiner meiner besten", bestätigt sie.

„Ich will ganz sicher nicht wie der Spielverderber oder der übertrieben, besorgte Fremde klingen, aber ich finde, dass es keine gute Idee ist, dass du dich, derzeit, allein hier herumtreibst", sagt er freundlich. „Hier sind schlimme Dinge passiert."

Sie beäugt den unbekannten, hübschen Kerl skeptisch und versucht, abzuwägen, ob sie ihm trauen kann oder nicht. „Das Gleiche habe ich mir auch gerade gedacht", spielt sie auf sein Erscheinen an.

„Es liegt mir fern, dir Angst zu machen." Um seiner Aussage mehr Ausdruck zu verleihen, hält er seine Hände wie ein Abwehrschild vor sich und geht drei Schritte zurück. „Ich laufe hier, fast jeden Abend, spazieren. Eine Routine, die ich mir meines Hundes wegen angewöhnt habe."

unleASH the WOLFWhere stories live. Discover now