zweiundzwanzig.

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Verwundert trifft Cara auf ihren Sohn, der auf der untersten Treppenstufe zum Hauseingang sitzt, als sie nach Hause kommt. „Hallo, mein Schatz. Ist dein Date schon vorüber?"

Ashley blickt zu seiner Mutter auf, ohne etwas zu sagen. Er fühlt sich, als wäre er unter einen Zug gekommen. Nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Alles tut ihm weh und sein Kopf lässt ihn kläglich im Stich. Weder kann er begreifen, was geschehen ist, noch ist er in der Lage, das Wort an seine Mutter zu richten. Er sitzt einfach nur da, schaut in die Nacht hinein und versucht, zu erfassen, was in Dreiteufelsname am See mit ihm passiert ist. Im Grunde weiß er, was mit ihm passiert ist. Schließlich ist er kein Dummkopf. Es geht darum, dass er nicht glauben kann, was passiert ist. Sich in einen Wolf zu verwandeln ist nichts, was er zwischen High School Dramen und Pubertät mal eben so wegstecken kann. Ein gottverdammter Wolf! Wie zur Hölle ist es möglich? Verzweifelt sucht er nach Alternativen, was ihm widerfahren sein könnte. Doch jede andere Option, die gegen eine Verwandlung spricht, läuft darauf hinaus, dass er nicht alle Tassen im Schrank hat. Ein waschechter Irrer. Vollkommen übergeschnappt. Vom Wahnsinn zerfressen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist die Sache mit dem Wolf vielleicht doch nicht die schlechteste Option. Lieber ab und an ein Wolf, als permanent ein durchgeknallter Spinner sein. Seine Gedanken drehen sich im Kreis. Das eine schließt das andere nicht aus. Er ist ein vom Wahnsinn zerfressener, durchgeknallter Spinner-Wolf. Himmel! Wann genau ist sein Leben eigentlich derart aus den Fugen geraten?

„Ashley?", macht Cara auf sich aufmerksam. „Ist alles in Ordnung, mein Schatz?"

„Mum, ich bin achtzehn geworden. Meinst du nicht, dass es nicht länger passend ist, mich Schatz zu nennen?" Er verkneift sich den Zusatz, dass er sich in einen furchteinflößenden, zähnefletschenden, klauenschwingenden Wolf verwandeln kann, der weit davon entfernt ist, ein Schatz zu sein.

Cara lächelt verhalten. „Vermutlich werde ich eine Weile brauchen, um mir das abzugewöhnen."

„Wo ist Dad?", fällt Ashley erst jetzt auf.

„Seine Arbeit", antwortet sie knapp, aber aussagekräftig.

„Ein weiteres Opfer?", vermutet Ashley.

„Du weißt, dass dein Vater nicht darüber sprechen darf, aber wenn ich seinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet habe, als er den Anruf erhalten hat, dann würde ich sagen: Ja", mutmaßt Cara.

Mit einem Mal wird es Ashley noch schwerer ums Herz, als ohnehin schon. All die Toten. Die Verletzungen, bei denen von einem wilden Tier ausgegangen wird. Einem Wolf vielleicht? Einer Bestie? Ihm wird schlecht. Er hat das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Es bleibt nicht länger bei einem Gefühl. Eine beachtliche Menge Erbrochenes landet direkt zwischen seinen Füßen, auf dem gepflasterten Weg, der zum Haus führt, abgesehen von den Irrläufern, die seine Lieblingsturnschuhe besprenkeln.

Cara weicht zurück. „Damit ist es wohl unnötig, dich erneut zu fragen, ob alles in Ordnung ist."

„Das ist meine Schuld, Miss Wolferton", meldet sich Lizzy aus dem Hintergrund zu Wort. „Ich habe Ashley dazu angestiftet, Alkohol zu trinken. Zur Feier des Tages habe ich meinem Vater eine Flasche Bourbon geklaut. Es tut mir leid."

Nur allzu gerne würde Cara den beiden sagen wollen, wie dumm dieses Verhalten gewesen ist. Doch sie kann es nicht. Die Tatsache, dass der achtzehnte Geburtstag ihres Sohnes ganz und gar nicht nach seinen Vorstellungen verlaufen zu sein scheint, hält sie davon ab, eine Moralpredigt zum besten zu geben. „Nun, somit habe ich das Opfer gefunden, das sich um diese Schweinerei und meinen Sohn kümmern wird." Innerlich triumphierend, bestreitet Cara den Weg ins Haus.

„Natürlich", entgegnet Lizzy gering begeistert.

Als Miss Wolferton die Tür hinter sich zugezogen hat, richtet sich Lizzy an ihren besten Freund, oder was auch immer er sein mag. „Du gehst jetzt duschen und ich werde mit dem Gartenschlauch euren Hof von dieser erdrückenden Beweislast befreien! Danach treffen wir uns in deinem Zimmer! Wir müssen reden!"

unleASH the WOLFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt