elf.

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Ohne Aussicht auf Schlaf liegt Ashley in seinem Bett und starrt im Schein des Mondlichts, das durch das Fenster bricht, die Zimmerdecke an. All die Ungereimtheiten der letzten Tage geistern durch seine Gedanken und vernichten gewissenhaft jede Hoffnung auf erholsame Nachtruhe. Immer wieder fragt er sich, ob er etwas mit Camerons Tod zu tun hat. Beziehungsweise, ob all das ebenfalls passiert wäre, wenn er ihn nicht mit voller Wucht gegen diesen Baum geschmettert hätte? Von Schuldgefühlen zerfressen, hält er sich vor Augen, dass es nicht in seiner Absicht lag, Cameron derart hart anzupacken. Er war selbst vollkommen überrascht von der Kraft, die plötzlich über ihn gekommen ist.

All die Veränderungen, die ihm in letzter Zeit widerfahren, werfen unendlich viele Fragen auf. Da er hier und jetzt nicht die Antworten findet, nach denen er verzweifelt sucht, lenkt er seine Gedanken in eine andere Richtung. Unerwünschterweise landen diese bei Simmens und seinen testosterongesteuerten Angriffen auf Aideen. Gerechterweise muss er zugeben, dass es nicht Simmens ist, der ihn am meisten daran stört, sondern dass Aideen empfänglich für diesen Blödsinn zu sein scheint. Die Vorstellung, dass sich zwischen den beiden etwas entwickeln könnte, passt ihm nicht. Die Untertreibung des Jahrhunderts. Es wühlt in dermaßen auf, dass sogar sein Körper beginnt, Reaktionen zu zeigen. Die Bilder, die er sich ausmalt, brennen sich so sehr in seinen Augen ein, dass er fürchtet, es nicht länger mit Augäpfeln, sondern mit zwei glühenden Kohlenstücken zu tun zu haben. Seine Venen sind deutlich hervorgetreten. Das Rauschen seines Blutes dröhnt ihm in den Ohren und beschwört seinen ganz persönlichen Sturm herauf. Indem er die Kieferknochen fest aufeinanderpresst, versucht er diesem markerschütternden Lärm entgegenzuwirken. Doch anstatt Ruhe mischt sich ein weiteres Geräusch unter. Das Knacken seines Kiefers.

„Argh", raunt er gequält. Um den unerklärlichen Schmerz in seinem Gesicht zu kontrollieren, ballt er die Hände zu Fäusten. Ein neuer Schmerzimpuls bricht über ihn ein, ausgehend von den Handinnenflächen. Ohne sich bewusst darüber zu sein, blähen sich seine Nasenflügel bebend auf und er zieht den Geruch nach Blut in sich auf. Antwortsuchend löst er seine Fäuste und hält sich seine Innenflächen vor das Gesicht. Trotz der Dunkelheit erkennt er mehr, als ihm lieb ist. Blutige Einstichstellen. Doch das schockiert ihn nur zweitrangig. Sein Fokus liegt auf seinen Fingernägeln. Hornige Krallen, an denen das Blut der Wunden haftet, die er sich selbst zugefügt hat. Seine Atmung ist nicht mehr als ein flaches Japsen. Er dreht seine Hände und blickt auf unendlich viele Haare. Fell. „Verdammte Scheiße!", grollt er durchs Zimmer. Panisch presst er die Augen zusammen, wie ein Kleinkind, das hofft, abscheuliche Dinge würden verschwinden, wenn es die Augen nur lange genug davor verschließt.

Doch sein Drang, herauszufinden, was zum Henker mit ihm geschieht, ist größer. Vorsichtig hebt er die Lider wieder an. Gegen jede Erwartung blickt er auf zwei stinknormale Hände. Seine Atmung geht noch immer stoßweise, findet aber langsam in den gewohnten Rhythmus zurück. Erleichtert wie ebenso misstrauisch dreht und wendet er seine Hände in Endlosschleife. Keine Krallen, kein Fell, lediglich dunkelrot gefärbte Punkte, die seine Handinnenflächen zieren und nach und nach verschwinden. Was zum Henker?

Plötzlich lacht er, wie ein Irrer, über sich selbst. Er hat doch tatsächlich geglaubt, dass er auf wolfsähnliche Pfoten ... Hände ... was auch immer geblickt hätte. Himmel! Allmählich verliert er seinen Verstand. Hastig setzt er sich auf und schaltet die Nachttischlampe an. Wieder wirft er einen Blick auf seine Handinnenflächen. Von den Einstichen ist nichts mehr zu sehen. Stattdessen zittern seine Hände wie Espenlaub. Sein kompletter Körper ist schweißgebadet. Das Herz schlägt ihm bis zum Hals. Es muss ein Traum gewesen sein. Alles andere würde keinen Sinn ergeben. Träume können sich verflucht real anfühlen. Nicht bereit, einen anderen Gedanken zuzulassen, knipst er die Lampe wieder aus. Er lässt sich zurück ins Kissen sinken und richtet seinen Blick aus dem Fenster. Vielleicht findet er im Schein des Nachthimmels die Ruhe und Entspannung, die ihm beim Einschlafen hilft.

unleASH the WOLFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt