April

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Ich schleppe ein paar Tüten mit Einkäufen bei Julian die Treppe hoch und muss sie, bevor ich oben ankomme, kurz absetzen. Jedes Mal das Gleiche. Ich schleppe mir immer einen ab, anstatt einfach zwei Mal zu laufen. Und muss dann wirklich auch jedes Mal kurz Pause machen. Als ich gerade die zweite Tüte erneut hochhebe geht hinter mir eine Tür auf. Innerlich verdrehe ich die Augen, weil ich mir denken kann, wer das jetzt wieder ist.

Daher drehe ich auch mich auch nicht mal um und laufe einfach weiter. Aber wie sonst auch... die Hexe lässt es sich nicht nehmen und versprüht ihr Grift. „Sieh an, sieh an... die kleine Läuferin. Darfst du Julians Einkäufe schleppen, ja? Bist du jetzt schon seine Haushälterin? Ich musste niemals für ihn einkaufen gehen..."

Atmen Cara, einfach nur Atmen. Lass dich nicht provozieren. „Sag bloß du bist immer noch beleidigt, wegen der Sache mit Julian? Ich meine, du wolltest doch, dass wir miteinander reden... Das haben ja auch getan. Sehr intensiv sogar... Deshalb finde ich es wirklich sehr schade, dass du nicht merkst, wie er dich ausnutzt. Ich meine sieh dich an... du trägst ihm seine Sachen nach... Denk doch mal lieber an dich..."

Mir reicht es jetzt. Ich stelle ruckartig die Tüten auf die Stufe vor mir und drehe mich um. Ich weiß genau, dass sie das will, aber ich bin die letzten Wochen so oft an ihr vorbei gelaufen und habe die Klappe gehalten. Jetzt ist Schluss.

„Weißt du, ich denke an mich. Und Julian tut das auch. Das macht er übrigens ständig. Und weißt du warum das so ist? Weil wir uns lieben. Da macht man sowas. Man hilft und unterstützt sich gegenseitig. Und deshalb bin ich heute für unser Abendessen einkaufen gegangen, während sich Julian um meine beiden Patenkinder kümmert, die zu Besuch sind. Was bedeutet, dass Julian nicht wie du denkst oben rumliegt und sich die Füße krault. Nein, er spielt mit meinen Patenkindern, damit ich in Ruhe einkaufen gehen konnte, um alles für einen wundervollen Abend zu besorgen. Und er macht das gerne. Aber das verstehst du ja nicht... Weil du keine Ahnung hast, wie es ist, wenn dich jemand liebt. Vor allem hast du keinen blassen Schimmer wie es ist, wenn dich Julian liebt. Denn so wie du eure Beziehung hier darstellst, weißt du überhaupt gar nichts. Also halt doch einfach die Klappe und geh wem anders auf den Wecker."

Damit drehe ich mich um, hebe ich meine Tüten wieder hoch und werfe, bevor ich weiter laufe noch einen Blick zurück. Valerie steht mit hochrotem Kopf im Treppenhaus und ihr Mund öffnet und schließt sich wieder. Aber es kommt kein Ton raus. Im Hintergrund steht ihre Freundin Ronja, die krampfhaft versucht ihr breites Grinsen zu verstecken. Als sie bemerkt, dass ich sie ansehe, dreht sie sich schnell um und geht zurück in die Wohnung. Und ich setze meinen Weg nach oben fort.

Diese blöde Kuh hat doch wirklich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Das ist doch unglaublich... Mir ist klar, dass das keine Glanzleistung von mir war. Ich hätte mich im Griff haben müssen... Ich seufze und stelle vor der Tür noch einmal die Tüten ab und krame in meiner Tasche nach dem Wohnungsschlüssel.

Julian hat mir auch seinen Wohnungsschlüssel anvertraut, damit ich kommen und gehen kann, wie ich möchte. Alledings nicht den, den Valerie hatte. Sicherheitshalber hat Julian nämlich das Schloss der Tür auswechseln lassen. Der irren Hexe ist alles zu zutrauen und wir hatten beide keine Lust, dass Valerie plötzlich, mit einem heimlich nachgemachten Wohnungsschlüssel, doch nochmal bei uns im Schlafzimmer steht.

Ich lächle leicht, als ich den Anhänger am Schlüssel, den mir Julian geschenkt hat, betrachte. „Mein Zuhause bist du" steht dort geschrieben und es sagt damit alles, was gesagt werden muss.

Normalerweise hatte ich erwartet, dass mir jetzt wildes Geschrei entgegen kommt, aber es ist totenstill in der Wohnung. Als ich meine Schuhe ausgezogen und die Tüten in der Küche abgestellt habe, sehe ich auch wieso.

Julian liegt mit den zwei Mäusen auf dem Sofa. Beide kuscheln sich an meinen Freund an und schlafen, so wie es aussieht, tief und fest. Ein liebevolles Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, während ich leise auf meine drei Lieblingsmenschen zugehe. Vor dem Sofa bleibe ich stehen und sehe den dreien einfach nur beim Schlafen zu, bevor ich mir die Decke vom Fußende schnappe und über ihnen ausbreite.

So leise wie möglich gehe ich zurück und packe meine Einkäufe in den Kühlschrank und in die Schränke. Normale Menschen wären sicherlich aufgewacht, aber wenn Julian schläft kann eine Bombe hochgehen und er bekommt nichts mit. Bei Hannah und Mia ist es das Gleiche.

Trotzdem will ich nichts riskieren und gehe nach oben und ziehe mir eine Jogginhose an. Ich nehme mein Buch mit nach unten und setze mich auf die andere Seite des Sofas zu den drei Schlafmützen. Spielen macht wohl ziemlich müde.

Nach einiger Zeit, regt sich die kleine Mia und kratzt sich leicht an der Nase. „Tanti?", nuschelt die Kleine leise. „Ja Maus?", antworte ich in der gleichen Lautstärke. „Kommst du auch kuscheln?", im Halbschlaf streckt Mia ihre kleine Hand nach mir aus und ich lege mein Buch zu Seite. Vorsichtig krabbele ich hinter sie und bin in diesem Moment froh, dass man die Couch auf diese Breite ausziehen kann. Sonst hätten wir jetzt wirklich ein Platzproblem.

Mia zupft an der Decke und ich hebe sie an, lege mich hinter die Kleine und rutsche so nah wie möglich an sie heran. „Als ich meinen Kopf auf Julians Arm lege, wird er kurz wach und lächelt mich verschlafen an. „Ich hab euch lieb", grummelt Mia jetzt leise, bevor sie wieder einschläft. „Ich euch auch", antworte ich und sehe Julian zu, wie er ebenfalls wieder ins Reich der Träume verschwindet.

Ein ganzes Jahr - Kurzgeschichte zu Winter SongWhere stories live. Discover now