eins.

586 41 41
                                    

Ashley Wolferton schlendert durch die Flure der High School und hofft, dass er von niemandem beachtet wird. Er versteckt sich hinter seiner Unscheinbarkeit, um so wenig Aufsehen zu erregen, wie möglich. Im Gegensatz zu den beliebten Teens der Schule wird er mit keiner ausgelassenen High Five begrüßt oder gefragt, wie sein Wochenende gewesen ist. Bei ihm wird davon ausgegangen, dass seine schulfreien Tage sterbenslangweilig sind. Ohne Partys. Ohne Alkohol. Ohne Exzesse. Was zu hundert Prozent zutrifft.

Die einzige Aufmerksamkeit, die ihm erwiesen wird, sind dämliche Sprüche seiner Mitschüler. Die Tatsache, dass er lieber Zeit in der Natur verbringt, als sich sinnlos zu besaufen, wird nicht unbedingt als cool angesehen. Genauso wenig, dass er gute Noten schreibt, anstatt mit Nachsitzen zu veranschaulichen, was für ein rebellischer Badboy er doch ist. Ashley gehört nicht zum Footballteam. Somit besitzt er kein Trikot, das er sich nach Spielende vom Leib reißen könnte, um mit seinem trainierten Oberkörper beim weiblichen Geschlecht ordentlich Eindruck zu schinden. Generell ist er besser beraten, seinen Oberkörper nicht zur Schau zu stellen. Seine Hühnerbrust eignet sich nicht, um damit anzugeben. Bei ihm sind Muskeln Mangelware. Ebenso Brusthaare, die seines Erachtens, im Alter von siebzehn Jahren, längst sprießen sollten. Von dem Fluch, fehlender Behaarung, wird auch sein Gesicht heimgesucht. Während die Schwerenöter der Schule, dank männlicher Bartstoppeln, ihren Freundinnen beim Küssen wunde Lippen verpassen, ist Ashleys Flaum weit davon entfernt, Markierungen dieser Art zu setzen. Um etwas Derartiges bewerkstelligen zu können, bräuchte er nicht nur einen kräftigen Bartwuchs, sondern auch eine Freundin.

Ashley ist Single. Das ist nie anders gewesen. Seine erste Erfahrung, in Sachen Bienchen und Blümchen, hat er mit seiner besten Freundin Lizzy gemacht. Im Alter von fünf Jahren, in Form von neugierigen, dennoch harmlosen Doktorspielen. Es ist das einzige Mal gewesen, dass er ein Mädchen nackt gesehen hat. Nennenswerte, sexuelle Aktivitäten hat er bisher lediglich mit seiner rechten Hand gesammelt. Immerhin kann er dadurch einen festen Händedruck vorweisen.

Er atmet tief durch und bestreitet den Weg zu seinem Schließfach, vorbei an den Lästerschwestern.

The LASH-es, wie sie sich selbst nennen, zusammengesetzt aus den ersten Buchstaben der Vornamen aller Mitglieder und dem Verweis auf ihren ausgeprägten Make-up-Fimmel.

Innerlich verdreht Ashley die Augen über dermaßen viel Geltungsbedürfnis und erbärmlicher Kreativität.

„Oh mein Gott, schaut euch an, wer sich heute wieder ganz besonders in Schale geschmissen hat", lässt Summer Mitchell, ironisch wie immer, über den Außenseiter verlauten. Summer ist das Oberhaupt der LASH-es. Sie hat hüftlange, blonde, leicht gewellte Haare. Es ist die perfekte Farbabstufung von Blond. Weder zu gelb noch zu aschig. Dafür nimmt sie stundenlange Frisörbesuche auf sich. Ihre Fingernägel sind meisterhaft manikürt und ihre Klamotten nicht von der Stange. Um dem Klischee die Krone aufzusetzen, ist sie Captain der Cheerleader.

Ashley kommt aus dem innerlichen Augenverdrehen überhaupt nicht mehr heraus. Es ist eine Schande, dass dieser vielsprechende Vorname an eine Oberflächlichkeit wie Summer Mitchell verschwendet wurde. Sie hat absolut nichts mit einer lauen Brise, gemischt mit dem Duft nach frischen Blumen, gemein, sondern versprüht nordische Eiseskälte mit einem Hauch von arktischem Schneesturm. Er hat keine Ahnung, was an einer Jeans und einem grauen T-Shirt verkehrt sein soll. Vermutlich fehlt der Name eines Designers, der, in den Augen der LASH-es, darauf prangen muss. Ashley kann sie nicht ausstehen. Keine davon. Nicht nur, weil sie ihm das Leben an der High School unnötig schwermachen, sondern auch deren Geistlosigkeit und Behauptungsdrang stoßen ihm sauer auf. Aber er hat es aufgegeben, ihnen genau dies erklären zu wollen. Es ist Energie- wie Zeitverschwendung, die er lieber für andere Dinge nutzt. Sinnvollere Dinge. Sie würden es ohnehin nicht verstehen. Viel zu überzeugt sind sie von dem, was sie tun und sind. Stillschweigend lässt er ihre Hetztiraden über sich ergehen und denkt sich seinen Teil. Je weniger er darauf reagiert, desto schneller lassen sie ihn wieder in Ruhe und halten Ausschau nach einem anderen Opfer.

unleASH the WOLFWhere stories live. Discover now