Kapitel Dreizehn

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Joyce

In bedrückender Stille fuhr ich mit meinem Bruder wieder nach Hause. Dieser Tag hatte so einige Spuren hinterlassen und ich konnte noch immer Debras lautes Weinen in meinem Kopf hören.

Wir hatten heute unsere Mutter beerdigt. Nun ja, so zu sagen. Laut meiner Schwester, war es schon immer ihr Wunsch gewesen eingeäschert und in der Wüste verstreut zu werden. Das hatte wir dann auch getan.

Ich musste zugeben, dass es auch mich etwas mitgenommen hatte, denn seit so vielen Jahren, waren ihre Kinder wieder alle bei ihr gewesen. Ohne Streit, ohne Vorwürfe an sie. Doch Debbie traf es am meisten. Wirklich, ich konnte es noch immer nicht begreifen wieso sie so sehr an dieser Frau hing. Wieso sie so viele Tränen vergossen hatte und beinahe einen Zusammenbruch erlitten hatte.

Natürlich hatte es mich auch nicht kalt gelassen. Doch nachdem der Schock über die Nachricht abgeklungen war, empfand ich nur noch Mitleid für sie. Dass sie ihr ganzes Leben nur vergeudet hatte. Dass sie es nur wegen ihrer eigenen Habgier so ruinieren musste. Sie hatte ihre Kinder - ihre Familie im Stich gelassen, nur um dann im Gefängnis zu landen. Mit ihrer Sturheit und sich in Dinge einzumischen, die sie nichts angingen, hatte sie sich vor langer Zeit ihr eigenes Todesurteil unterschrieben.

>>Kommst du?<<, hörte ich Regi neben mir fragen.

Tief atmete ich durch und sah zu meinem Haus rüber. Aber ich hatte nicht wirklich Kraft, um aus dem Auto zu steigen. >>Geh schon mal vor. Ich komm gleich nach.<<

Mit einem Kopfnicken stieg er aus und ließ mich alleine. Als er die Tür zuknallte, öffnete sich gleichzeitig die Klappe des Handschuhfaches.

Schwer seufzend starrte ich das dämliche Ding an und lehnte mich auf dem Sitz zurück. Ich hatte schon ganz vergessen, das Teil endlich zu reparieren.

Mir mit den Fingern durch die Haare fahrend, wollte ich die Klappe wieder schließen, als mir dabei etwas auffiel. Ein weißer Umschlag ragte aus dem Handschuhfach hervor. Der Umschlag, den ich damals von Barbara bekommen und ihn nie geöffnet hatte. Den hatte ich auch vollkommen vergessen. Es hieß ja nicht umsonst: aus den Augen, aus dem Sinn.

Langsam streckte ich meine Hand nach dem Umschlag aus und nahm ihn an mich. Eigentlich hatte ich nie vorgehabt ihn zu lesen. Doch jetzt, wo Barbara nicht mehr da war, war meine Entscheidung diesbezüglich eigentlich vollkommen irrelevant. Es waren ihre letzten Worte an uns und ich war dann doch neugierig darauf, war sie uns zu sagen hatte. Auch, wenn es vielleicht nur die Worte einer Drogendealerin und nicht die einer Mutter waren.

Doch allein schon bei den ersten, geschrieben Worten, merkte ich, wie sich meine Brust zusammenzog. Ob nun im guten oder schlechten Sinne..

Meine Kinder..

Ich weiß nicht, ob ihr diesen Brief lesen oder ihn verbrennen werdet. Vermutlich eher letzteres. Aber, falls ihr ihn doch noch lesen solltet, will ich euch sagen, dass ich die alleinige Schuld an allem trage, was euch bisher passiert war. Ich habe viele Entscheidungen getroffen und viele Fehler begannen, für die ich mich auch nicht entschuldigen möchte.
Joyce.. Ich habe dir und deinem Bruder immer deutlich gemacht, dass eure Geburt ein Fehler war, dass ihr gar nicht erst auf diese Welt kommen solltet. Ich weiß auch, wie sehr ihr mich dafür hasst und das verstehe ich. Aber das alles, habe ich nur gesagt, weil ich bereits Debra zur Welt gebracht hatte und ich mich nicht einmal um sie kümmern konnte. Ich war nie eine Mutter zu euch gewesen, das gebe ich zu und ihr habt das gute Recht dazu mich für alles verantwortlich zu machen.
Aber um eines möchte ich euch bitten. Ich weiß, dass ich nie hier rauskommen werde. Ich weiß, dass ich hier drin irgendwann sterben werde. Doch ich möchte, dass ihr euch um euren Vater kümmert. Er soll endlich ein anständiger Mann werden. Alles was er getan hat, hat er nur getan, weil ich es ihm gesagt habe. Ich weiß, dass er mich liebt, dass er alles für mich tun würde. Und auch ich liebe ihn, aber ich habe seine Gutmütigkeit auch für meine Zwecke ausgenutzt. Doch jetzt ist Schluss damit. Er muss sich von mir lösen. Er muss mich vergessen. Ich war diejenige, die ihn von Anfang an in diesen Abgrund gezogen hatte. Ohne mich, wäre er nie so geworden. Und auch, wenn es ihn schwer treffen wird, weiß ich, dass er noch immer euch haben wird. Ihr werdet ihn schon wieder auf den richtigen Weg lenken.
Also bitte kümmert euch um ihn und bewahrt ihn vor seinen Dummheiten, denn ich möchte nicht länger, dass er so endet, wie ich.

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