55. Crescendo

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 Die Exorzisten, die in Kalilas Nähe gestanden hatten, stürzten nun in Azraels Richtung davon. Es brauchte ein paar Momente, bis sie sich ebenfalls in die Realität zurückriss. Die Ablenkung war ihre Chance. Sie sah sich um. Zwischen den im Wind flatternden Kutten erkannte sie Samuel. Sie nickte Amir zu und gemeinsam quetschten sie sich durch das allgemeine Durcheinander, bis sie ihn erreicht hatten.

Samuels Gesicht war kreidebleich. Unentwegt starrte er zu Azrael hinüber, der mit mehren Exorzisten gleichzeitig kämpfte.

Kalila legte Samuel eine Hand auf die Schulter und schüttelte ihn. »Du musst hier weg!«

Erst jetzt bemerkte er sie. »Was tust du denn hier?«

»Euch von hier wegbringen.« Samuels einzige Chance, zu verschwinden, bestand solange sein Dämon abgelenkt war. »Lauf, bevor Azrael bemerkt, dass du weg bist«, wies sie ihn an und zeigte in den Wald.

»Aber was ist mit-«

»Lauf einfach!«, rief sie und hob den Dolch in ihrer Hand. »Wir halten dir den Rücken frei.«

Samuel nickte noch einmal, dann wandte er sich um und lief davon.

»Jetzt müssen wir noch die anderen finden«, sagte Amir.

In dem Moment hallte ein gellender Schrei über die Lichtung. Sie liefen zurück ins Schlachtgetümmel, schleuderten einige Exorzisten, die sich ihnen in den Weg stellten, davon.

Plötzlich packte Amir sie am Arm. »Delia!«, rief er und zeigte an den Exorzisten vorbei auf eine kleine Gestalt. Diese lag am Boden und krümmte sich. Kalila wollte auf sie zulaufen, doch Amir hielt sie zurück. Ein weiterer Schrei entfuhr Delia und nun sah auch Kalila, was mit ihr passierte: Ihre zuvor grünen Augen hatten sich dunkel gefärbt. Zwei gewundene Hörner ragten zwischen ihren Haaren hervor, ihre Haut hatte die Farbe von Eisen angenommen. In wilden Zuckungen kauerte sie am Boden. Sie war besessen.

Kalila konnte die Augen nicht von ihr abwenden. »Wir müssen den Kerl aus ihr herausholen!« Wenn Lucien von ihr Besitz ergriffen hatte, mussten sie handeln, bevor es zu spät war.

Amir schüttelte den Kopf. »Wir können nichts mehr für sie tun.« Er zog sie von dem Geschehen weg. »Für die anderen beiden ist es vielleicht noch nicht zu spät.«

Kalila riss sich von ihm los. »Nein!« Sie waren nicht gekommen, um Delia ihrem Schicksal zu überlassen. Langsam näherte sich Kalila ihr.

Amir kam hinterher. »Du weißt, was Hartley gesagt hat! Ihre Seele wird in ihrem eigenen Körper zurückgedrängt.«

»Er hat Recht!«, kreischte Delia. Sie sah zu Amir auf; offenbar hatte sie alles gehört. »Verzieht euch!«

Erst erschrak sie darüber, dass Delias menschliche Ohren sie über die Entfernung hinweg hören konnten, dann rief sie sich in Erinnerung, dass sie nicht sie selbst war. Es war Lucien, der mit ihrer Stimme sprach.

Kalila klemmte sich ihren Dolch in den Gürtel und holte ihre Münze hervor. Diese erkannte Delias Anwesenheit und glühte. Dann muss ihr Vertrag also noch intakt sein, dachte sie. Vielleicht bedeutete es, dass Delia doch noch irgendwo in ihrem Körper schlummerte.

»Verschwinde, bevor ich dir den Schädel spalte!«, spuckte Lucien ihr entgegen. Trotz der Worte hielt er sich den Leib, als hätte er unfassbare Schmerzen.

»Baraka«, flüsterte sie. Ihr Geist konzentrierte sich darauf, die Münze in ihrer Hand mit Amirs Kraft aufzuladen, bis sie heiß wurde. Bisher hatte sie das nur mit Alltagsgegenständen getan, allerdings lief ihnen die Zeit davon. Sie wusste nicht, ob ihr Vorhaben funktionieren würde, aber sie hatte keine andere Wahl, als ihr Glück zu versuchen.

Kalila Edward - DämonenpaktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt