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KAT

Mit aufgerissenen Augen starre ich Wincent an. Was hat er da eben gesagt? Ich muss mich verhört haben. Das kann doch nicht...

"Ich liebe dich.", wiederholt er sich. "Und es tut mir schrecklich leid."

Er steht auf und kommt langsam auf mich zu. Direkt vor mir bleibt er stehen und legt mir sanft seine Hände auf meine Schultern. Er sieht mir tief in die Augen und ich sehe, dass er es ernst meint. Es ist die Wahrheit, die er da gerade sagt. Er liebt mich wirklich. Es tut ihm wirklich leid. Aber macht das alles wieder gut?

"Wincent, ich...", bringe ich stammelnd hervor.

Ich schiebe mich an ihm vorbei und entferne mich wieder ein paar Schritte von ihm. Wir müssen Abstand zwischen uns halten.

Schweigend stehen wir im Raum und sehen uns an. Ich weiß, dass er eine Antwort von mir erwartet, aber die kann ich ihm nicht geben. Er kann mich doch nicht abservieren, sich wochenlang nicht bei mir melden, einfach abhauen, nachdem ich ihm gesagt habe, dass ich schwanger bin, und jetzt erwarten, dass alles vergeben und vergessen ist.

"Sag doch etwas.", flüstert er und kommt einen Schritt auf mich zu.

Sofort gehe ich wieder einen Schritt zurück. Überrascht sieht er mich an. Er scheint nicht damit gerechnet zu haben, dass ich eher auf Abstand gehe als ihm jetzt um den Hals zu fallen.

"Bitte.", sagt er leise.

"Ich weiß nicht, was du jetzt von mir erwartest.", meine ich.

"Ich erwarte gar nichts, außer, dass du mir glaubst."

"Das tue ich.", bestätige ich. "Aber das alleine macht doch nicht alles wieder gut, was die letzten Wochen war. Mir ging es richtig dreckig. Nicht nur, weil du mich verletzt hattest, sondern auch, weil ich von allen Seiten damit konfrontiert wurde. Amelie hat mich in der Arbeit ständig danach gefragt. Ich habe diverse Anfragen von Zeitungen bekommen, um ein Statement abzugeben. Ich wurde unzählige Male auf Instagram angeschrieben. Immer wieder wurde ich damit konfrontiert, wie weh du mir getan hast. Und dann habe ich auch noch erfahren, dass ich schwanger bin. Denkst du all das ist vergeben und vergessen, nur weil du jetzt vielleicht merkst, dass du mich doch liebst? Noch vor etwas mehr als zwei Stunden hast du mir gesagt, dass das Vergangenheit ist und du mich zwar vor fünf Wochen geliebt hast, aber jetzt nicht mehr. Und jetzt änderst du plötzlich deine Meinung? Im Ernst, Wincent. Was erwartest du bitte von mir?"

Mit erschrockenen Augen sieht er mich an.

"Mir war nicht bewusst wie sehr dich die letzten Wochen mitgenommen hatten.", sagt er nachdenklich. "Ich habe zwar davon gehört, dass einige Zeitungen und Zeitschriften dich um ein Statement gebeten hatten, aber habe ehrlich gesagt nicht weiter darüber nachgedacht. Für mich ist das ja ganz normal, für dich natürlich nicht. Und auch, dass du viele Nachrichten auf Instagram bekommen has

t, hätte mir eigentlich klar sein müssen. Allerdings hatte ich keine Sekunde darüber nachgedacht. Dabei war genau das doch der Grund wieso ich mich gegen eine Beziehung mit dir entschieden hatte."

Jetzt bin ich es, die ihn überrascht ansieht. Er hat sich also so wenig Gedanken darüber gemacht wie es mir in der Zeit ergangen ist?

"Versteht das bitte nicht falsch.", greift er meine Gedanken sofort auf. "Ich habe sehr viel an dich gedacht. Aber ich habe versucht so wenig Gedanken an dich zuzulassen wie möglich."

Ich gehe noch einen Schritt weiter zurück und lehne mich an die Wand. Das ist alles ein wenig viel für mich. Dieses Gefühlschaos, gepaart mit meinen Schwangerschaftshormonen, lässt mich beinahe Durchdrehen.

Ich spüre, wie sich mein Magen wieder umdreht und eile schnell zur Toilette. Wincent versteht sofort und  ist sogleich bei mir. Er öffnet den Toilettendeckel für mich, kniet sich neben mich und hält mir die Haare aus dem Gesicht.

Während ich meinen Magen erneut entleere, fange ich auch an zu weinen. Ich versuche noch es zurückzuhalten, doch es funktioniert nicht. Die Tränen kullern mir über das Gesicht.

Wincent schnappt sich das Handtuch neben dem Waschbecken, macht es kurz nass und wischt mir damit über mein Gesicht.

"Geht's wieder?", fragt er fürsorglich, als ich meinen Kopf aus der Schüssel hebe.

Ich rutsche ein Stück von ihm weg und lehne mich schwer schnaufend an die Wand. Er fährt mir mit dem nassen, kalten Handtuch noch einmal über die Stirn, um mich zu beruhigen.

Er steht auf, schließt den Toilettendeckel und betätigt die Spülung. Dann wirft er das Handtuch in meinen Wäschekorb und setzt sich neben mich.

"Geht es dir gut?", fragt er und sieht mich sorgenvoll an.

Ich nicke leicht und seufze. Wincent ist der Papa meines Babys. Ich sollte aufhören gegen ihn und unsere Gefühle zu kämpfen.

Langsam senke ich meinen Kopf und lasse ihn auf Wincents Schulter sinken.

"Es gab also wirklich nur diesen Grund?", frage ich ihn.

Die ganzen Wochen über war ich mir nicht sicher, ob ich ihm das glauben konnte. Ob es nicht doch noch einen anderen Grund dafür gegeben hat, dass er uns eine Chance verwehrt hat.

"Ja, natürlich.", sagt er und greift nach meiner Hand.

Dieses mal blocke ich die Nähe nicht wieder ab, sondern lass sie zu.

"Nichts anderes hätte mich davon abgehalten bei dir zu bleiben, als dein Schutz. Ich wollte nur das Richtige tun und dich vor all dem Hate und Druck beschützen. Aber wenn genau dasselbe auch passiert, wenn wir gar nicht zusammen sind, was spricht denn dann noch gegen eine Beziehung?"

Auf halbem Weg - WincentWeiss (Teil 2)Where stories live. Discover now