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WINCENT

Schlagartig bleibe ich wie angewurzelt stehen und bewege mich nicht mehr. Was hat sie da eben gesagt? Ich muss mich verhört haben. Das kann doch unmöglich wahr sein. Das darf nicht wahr sein! Habe ich wirklich richtig gehört?

Sie ist schwanger?

In meinem Kopf überschlagen sich meine Gedanken. Was soll ich denn jetzt machen? Einfach zu ihr nach Oben laufen? Erst mal die Flucht ergreifen und versuchen einen klaren Gedanken fassen zu können?

Ich weiß ja gar nicht, ob sie die Wahrheit sagt. Vielleicht erfindet sie das ja auch nur, um mich bei ihr zu halten?

Nein! Das würde Kat auf keinen Fall machen, niemals. Wobei mein Manager immer schon gesagt hatte, dass ich bei eventuellen One-Night-Stands tierisch aufpassen soll, dass mir ja kein Fan ein Kind anbinden kann. Sascha hat das schon vor längerer Zeit zu mir gesagt. Damals hatte ich keine One-Night-Stands, weil ich immer nur mit Kat geschlafen habe. Aber das wusste er natürlich nicht - jedenfalls nicht offiziell. Wenn, dann hatte er das nur vermutet, wie viele Andere auch. Aber keiner hatte bisher die Eier mich oder Kat direkt danach zu fragen. Meines Wissens nach wussten davon nur Samira und Marco, also ihre beste Freudin und mein bester Freund. Den Blicken und Kommentaren nach haben aber auch die Jungs aus meiner Band oder auch Kevin vermutet, dass da etwas mehr als nur normale Freundschaft passierte. Ich bin aber auch froh, dass mich nie jemand danach gefragt hat, denn ich weiß immer noch nicht, was ich darauf antworten würde.

Das Licht im Treppenhaus geht plötzlich wieder an, was darauf schließen lässt, dass Kat sich bewegt und damit den Bewegungsmelder ausgelöst hat. Ich höre, dass sie langsam ein paar Stufen nach Unten geht. Will sie etwa zu mir kommen?

"Wincent?", höre ich sie ganz leise sagen.

Ich weiß nicht, ob sie so leise spricht, weil sie sich selbst nicht sicher ist, ob sie wirklich nach mir rufen möchte, oder ob sie so leise ist, weil sie im Moment nicht lauter sprechen kann. Ihre Stimme hört sich nämlich so an, als müsste sich mit den Tränen kämpfen.

Als sie mir heute Morgen geschrieben hat, habe ich mich zwar sehr darüber gefreut, hatte aber auch Angst. Ich wusste nicht, wieso sie mich sehen wollte. Ich vermutete, dass sie sich mit mir versöhnen wollte. Ich hatte nichts gegen eine Aussprache, aber weiterhin Kontakt halten hatte ich nicht vor. Das würde mich nur noch kaputter machen, als es die Situation ohnehin schon tut. Kat fehlt mir unbeschreiblich! Nichts in der Welt würde ich lieber, als mich mit ihr zu versöhnen und da weiter zu machen, wo wir aufgehört hatten. Aber das geht nicht. Ich habe eine Entscheidung getroffen und damit muss ich nun klarkommen.

Ich überlege, ob die Art, wie ich eben in ihrer Wohnung mit ihr gesprochen habe, vielleicht doch zu hart war. Ich wollte ihr auf keinen Fall in irgendeiner Weise Hoffnung machen. Lieber soll sie wütend auf mich sein. Dann tut sie sich leichter damit abschließen zu können.

Tatsächlich hätte ich sie natürlich am liebsten in meine Arme geschlossen, mich für all das entschuldigt und ihr gesagt, dass ich sie nachwievor liebe. Aber das hätte ihr Herz gebrochen. Und wenn ich mir eines geschworen habe, dann, dass ich nie wieder Kats Herz brechen werde!

Das Licht im Treppenhaus geht wieder aus, nur um Sekunden später wieder zu leuchten. Ich höre, dass Kat sich wieder bewegt. Ich kann nicht sagen, ob sie die Stufen weiter nach Unten oder wieder zurück nach Oben geht. Erst als ich höre, wie eine Tür zufällt, weiß ich, dass sie zurück gegangen und in ihrer Wohnung verschwunden ist. Sie denkt ich bin gegangen. Kennt sie mich etwa so wenig, dass sie denkt, ich würde jetzt einfach gehen ohne mit ihr darüber zu reden?

Aber vielleicht hat sie auch Recht. Vielleicht wäre genau das die richtige Entscheidung. Erst einmal gehen, sodass wir uns beide in Ruhe Gedanken darüber machen können, wie es nun weitergehen soll. Oder hat sie sich schon Gedanken darüber gemacht? Vermutlich. Sie wird nicht erst seit gestern wissen, dass sie schwanger ist. Sie hat sich selbst bestimmt schon die Zeit genommen, sich Gedanken darüber zu machen, was sie will. Jetzt muss sie mir diese Zeit auch zugestehen!

Ich raufe mir verzweifelt die Haare. Was ist die richtige Entscheidung? Nach Oben gehen und mit ihr gemeinsam darüber zu reden wie es jetzt weitergeht? Oder erst mal für mich sein und mir alleine Gedanken zu machen?

"Ist alles in Ordnung bei Ihnen?", werde ich aus meiner Gedankenwelt gerissen.

Erschrocken zucke ich zusammen und fahre herum. Ein älterer Mann steht plötzlich neben mir, in seiner Hand hält er einen leeren Wäschekorb. Ich sehe an ihm vorbei und bemerke, dass die Wohnungstür hinter ihm offen ist. Ich habe gar nicht bemerkt, dass sie geöffnet wurde.

"Ähm... Ja, vielen Dank.", stammle ich und stoße mich von der Wand ab, an welche ich mich gelehnt hatte.

Der Mann nickt, winkt mir kurz und verschwindet dann in den Keller. Vermutlich ist er auf dem Weg in den Waschraum, um seine Wäsche zu holen.

Mittlerweile ist es bestimmt zehn Minuten her, dass Kat mir diese Worte hinterher gerufen hat. Was sie wohl gerade denkt? Weint sie? Ist sie wütend? Vermutlich beides.

Schließlich greife ich entschlossen nach der Türklinke und drücke sie herunter. Ich öffne die Eingangstür und trete hinaus. Ehe ich es mir anders überlegen kann, schließe ich die Tür hinter mir und atme tief durch.

Auf halbem Weg - WincentWeiss (Teil 2)Where stories live. Discover now