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WINCENT

Fünf Wochen ist es jetzt schon her, dass ich Kat das letzte mal gesehen habe. Immer noch habe ich die letzten Minuten ganz genau im Kopf. Wie traurig und verletzt sie mich am Flughafen in Griechenland angesehen hat. Wie gerne ich sie in den Arm genommen und mich für all das, was ich ihr angetan habe, entschuldigt hätte. Aber das hätte alles nur noch viel schlimmer gemacht. Es hat mir auch so schon das Herz zerrissen, sie da so stehen zu lassen. Immer wieder denke ich an unsere gemeinsame Zeit im Urlaub zurück und es zaubert mir auf der einen Seite jedes mal ein Lächeln ins Gesicht, auf der anderen tut es aber auch unheimlich weh.

Jedes mal, wenn ich auf Instagram eines ihrer neuen Bilder sehe, versetzt es mir einen Stich. Sie scheint darüber hinweg zu sein. Sie strahlt, lächelt und lacht bei jedem neuen Bild mehr in die Kamera als bei dem zuvor. Ich bin froh, dass es ihr scheinbar so gut geht. Und doch bin ich auch ein wenig gekränkt, denn mir geht es alles andere als gut damit. Ich vermisse sie, wie ich noch nie zuvor jemanden vermisst habe. Es vergeht kein Tag an dem ich nicht an sie denke. Eigentlich vergeht keine Stunde, in der nicht wenigstens einmal meine Gedanken an sie abschweifen.

Mein Umfeld bemerkt das natürlich. Immer wieder werde ich gefragt, was denn mit mir los sei. Denn ich habe niemandem von den Geschehnissen im Urlaub berichtet. Natürlich haben sie alle über die Presse mitbekommen, dass da etwas zwischen Kat und mir war. Und natürlich merken sie, dass ich jetzt nicht glücklich verliebt bin. Also ist ja klar, dass etwas passiert ist. Aber ich habe niemandem auf die Fragen nach dem Grund geantwortet. Nur Marco, mein bester Freund seit wir klein sind, habe ich ein bisschen was davon erzählt. Er meinte, dass ich die falsche Entscheidung getroffen habe. Aber er kennt Kat nicht so gut wie ich. Ich weiß, dass sie an dem Druck zerbrochen wäre. Und ich weiß, dass sie es mich erst merken hätte lassen, wenn es schon zu spät gewesen wäre. Sie ist ohnehin eine Person, die nicht besonders selbstbewusst ist, obwohl sie allen Grund dazu hätte. Wenn sie tagtäglich mit all diesem Hate umgehen müsste, würde es sie innerlich zerfressen. Das kann ich ihr nicht antun!

Marco meinte auch, dass er mich dafür bewundert, dass ich ihre Gefühle über meine stelle. Wie schön wäre es, wenn das Kat genauso sehen würde. Ich glaube sie weiß gar nicht, wie schwer mir diese Entscheidung gefallen ist. Sie ist sich nicht dessen bewusst, wie viel sie mir bedeutet. Sie bedeutet mir alles, mehr als alles andere zusammen!

Natürlich hatte mich Marco dann auch gefragt, ob sie mir denn mehr bedeutet als meine Karriere. Diese Frage kann ich klipp und klar mit JA beantworten. Aber an meiner Karriere hängt ja nicht nur meine aktuelle Existenz. Da hängt so viel mehr dran. Meine Band, mein Manager, meine Tourmanagerin, meine Buchhaltung und so weiter. Meine Zukunft mit Kat über all deren gesicherte Jobs zu stellen - das wäre dann doch zu viel.

Vor einer Woche war es ungewöhnlich ruhig auf Kats Insta-Profil, woraufhin ich zum ersten Mal wieder ihrer Mama geschrieben hatte. Ich wollte nur sicher gehen, dass es ihr gut ging. Sie antwortete mir, dass ich mir keine Sorgen machen bräuchte. Allerdings bekam ich keine Antwort darauf, ob es ihr denn gut ging. Mittlerweile hat sie wieder ein paar Storys hochgeladen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass irgendetwas nicht stimmt. Irgendetwas ist geschehen. Immer wieder bin ich kurz davor sie anzurufen oder ihr zu schreiben. Doch m was ist, wenn ich mich täusche? Wenn alles in bester Ordnung ist? Ich könnte verstehen, wenn sie dann genervt von mir wäre. Immerhin war es ja meine Entscheidung, das Ganze mit uns zu beenden. Da steht es mir eigentlich nicht zu, sie zu fragen, wie es ihr geht.

Seufzend drehe ich mich um, greife nach meinem Handy und öffne Instagram. Kat hat ein neues Bild gepostet. Es zeigt sie, wie sie auf einer Treppe sitzt und den Blick senkt. Auf mich wirkt das Bild nachdenklich, beinahe traurig. Ich scrolle nach Unten, um den Text darunter zu lesen.

Es kommt nicht darauf an, was einem im Leben passiert. Es kommt nur darauf an, wie man darauf reagiert.

Aber was ist ihr denn nur passiert? Ist ihr überhaupt etwas passiert oder ist es nur ein belangloser Spruch unter einem Bild? Vielleicht bezieht sie den Spruch auch immer noch auf das, was mit mir passiert ist. Beschäftigt sie das doch noch? Habe ich mich etwa geirrt und sie ist nicht über mich hinweg? Unwillkürlich schleicht sich bei dem Gedanken, dass sie vielleicht doch noch an mich denken muss, ein Lächeln auf mein Gesicht.

"Woran denkst du?"

Ich spüre eine Hand, die mir sanft über meinen nackten Rücken streichelt. Schnell mache ich das Display meines Handys aus, lege das Gerät weg und drehe mich um.

"Muss ich mir etwa Sorgen machen?", fragt sie lachend, sieht mich dabei aber ernst an.

"Quatsch.", winke ich ab.

Sie muss sich keine Sorgen machen, denn ich werde Kat das nicht antun. Ich werde nicht wieder Kontakt mit ihr aufnehmen, denn ich weiß, dass das alle Wunden wieder aufreißen würde. Bei ihr, aber genauso auch bei mir. Sind meine Wunden denn überhaupt annähernd verheilt? Oder habe ich mich nur an den Schmerz, sie nicht bei mir zu haben, gewöhnt?

"Dann ist ja gut."

Sie legt mir ihre Hand in den Nacken und zieht mich zu sich heran. Unsere Lippen treffen aufeinander und ich warte auf die Gefühlsexplosion in mir - aber da kommt nichts. Seit Kat habe ich bei keiner Berührung mehr etwas gefühlt. Vielleicht bin ich gefühlskalt geworden. Vielleicht ist das die Strafe dafür, wie sehr ich sie verletzt habe. Aber wenn sie dafür ein normales Leben führen kann, ist das immer noch ein guter Tausch.

"Soll ich dich auf andere Gedanken bringen, Baby?", flüstert sie mir ins Ohr.

Ich verdrehe innerlich die Augen, während ich mir nach Außen nicht anmerken lasse, wie sehr sie mich mit ihrer Anhänglichkeit nervt. Ich weiß, dass sie denkt, dass ich etwas für sie empfinde. Doch das ist nicht der Fall. Ich mache bloß mit ihr rum, um mich wenigstens ein bisschen von Kat abzulenken.

Das funktioniert nur leider kein bisschen. Kat ist immer in meinem Kopf. Ganz egal wie sehr ich mich auch anstrenge, sie aus meinen Gedanken zu verbannen!

Auf halbem Weg - WincentWeiss (Teil 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt