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WINCENT

Ich lenke mein Auto in die einzige freie Parklücke vor dem Haus, in dem Kevins Studio ist, und steige aus. Ich bin nervös. Dabei weiß ich gar nicht wieso. Noch werde ich es ihm nicht erzählen. Kat hatte mir gestern Abend noch erklärt, dass man sagt, die ersten 12 Wochen einer Schwangerschaft seien immer etwas kritisch und man solle diese in der Regel lieber noch abwarten, ehe man alle möglichen Leute darüber in Kenntnis setzt. In diesem Zusammenhang habe ich dann auch erfahren, dass sie aktuell in der siebten Schwangerschaftswoche ist. Sie hat versucht es mir zu erklären, dass man die Schwangerschaftswochen nicht anhand des vermuteten Zeugungstages errechnet, sondern anhand der letzten Perdiode. Da ihre allerdings wohl schon mehrere Wochen zuvor ausblieb, sei das mit der Berechnung etwas schwieriger.

Ich gehe auf die Haustür zu und drücke auf das Klingelschild. Zwei Sekunden später ertönt das Surren des Türöffners und ich betrete das Haus.

"Hey, alles klar?!", begrüßt mich Kevin, während wir uns abklatschen und kurz umarmen.

"Sicher.", nicke ich.

Einen Moment sieht Kevin mich verdutzt an, mustert mich von Oben bis Unten und schließt dann die Tür hinter mir.

Ich kann es ihm nicht verübeln, dass er verwundert ist. Die letzten Wochen, seit Kat und ich aus dem Urlaub zurückgekommen waren, war ich stets mies gelaunt und eigentlich zu nichts wirklich zu gebrauchen. Kevin hatte mich nie direkt danach gefragt, was in Griechenland passiert ist. Ich glaube, dass das, was er in der Presse gesehen hat, und meine anschließende Laune, ihm das meiste von alleine erklärt hat. Dass ich nun wieder gut drauf bin, muss ihn dementsprechend überraschen.

"Gibt es Neuigkeiten bei dir?", will er mit zusammengekniffenen Augen wissen.

Beinahe hätte ich direkt mit 'nein' geantwortet. Doch das wäre eine Lüge. Und ich möchte meinen Freund und Produzenten nicht anlügen. Also wähle ich einen Mittelweg.

"Nichts spruchreifes. Du wirst es erfahren, sobald es soweit ist.", nicke ich ihm zu.

Wir gehen ein paar Schritte weiter in den kleinen, wohnzimmerähnlichen Bereich. Auf dem Sofa sitzt bereits Fabi - ein weiterer Künstler, der von Kevin produziert wird. Wir haben uns bereits vor ein paar Monaten kennengelernt und sind seit dem in regelmäßigem Kontakt. Fabi macht ähnliche Musik wie ich, ist im Moment aber noch ziemlich unbekannt - was sich meiner Meinung nach definitiv noch ändern muss und wird. Der Junge hat echt was drauf.

Nachdem auch wir uns begrüßt haben, quatschen wir eine Runde. So starten wir meistens in die Studiotreffen. So erfährt Kevin was in unseren Leben gerade so abgeht, was uns beschäftigt, was Stoff für neue Songs bieten könnte. Dieses mal halte ich mich sehr zurück, da ich nichts verraten möchte und auch meine Versöhnung mit Kat vorerst nicht thematisiert werden soll.

Während Fabi von einer gescheiterten Datephase berichtet und was ihn letztendlich daran gehindert hatte, die Beziehung einzugehen, schweifen meine Gedanken mal wieder ab. In meinem Kopf bastel ich bereits an neuen Songs. Neue Songs über Kat und mich, über unsere kleine Familie.

"Wince?", holt Fabi mich aus meiner Gedankenwelt zurück. "Hörst du zu?"

"Sorry, war gerade wo anders.", gebe ich betreten zu und schüttel den Kopf, als wäre es so einfach all die Gedanken los zu werden. "Jetzt bin ich ganz bei dir."

Da Fabi noch etwas unerfahrener im Schreiben ist, bittet er mich stets um meinen Rat und meine Unterstützung. Da ich ihn mittlerweile auch zu einem meiner engsten Vertrauten und Freunde zähle, mache ich das natürlich nur zu gerne. Ich würde mich tierisch freuen, wenn ich ihm zu seinem verdienten Erfolg verhelfen kann.

Ein paar Stunden später haben wir zwei Songs für Fabi geschrieben und bereits die Rohfassung recorded.

Kevin merkt mir an, wie gedankenversunken ich heute bin, und versucht daher erst gar nicht mich zum Schreiben oder Aufnehmen zu überzeugen.

Während er sich schließlich auf den Weg macht unser Abendessen abzuholen, setzen Fabi und ich uns nach Draußen auf den Balkon. Es ist zwar Mitte November, aber in der Sonne heute trotzdem noch richtig angenehm warm.

"Wie läuft die Wohnungssuche?", beginne ich das Gespräch.

"Zäh.", entgegnet Fabi mürrisch. "Da ich kein festes Einkommen habe, will mir kaum jemand eine Wohnung vermieten. Noch dazu sind einige auch viel zu überteuert oder haben beschissene Lagen. Gestern erst habe ich mir eine in Pasing angesehen. Die ist wirklich schön, gute Lage und preislich auch noch erschwinglich. Aber ohne festem Einkommen oder einem größeren Vermögen habe ich da keine Chance. Dabei wäre das sogar eine Dreizimmer-Wohnung mit super Schnitt."

Während Fabi von der Wohnung erzählt, habe ich eine spontane Idee. Ohne groß darüber nachzudenken, unterbreche ich ihn.

"Was wäre denn, wenn wir eine WG aufmachen und ich einfach mit einziehe?"

Er dreht sich sofort zu mir um und sieht mich überrascht an.

"Wie? Echt jetzt?", meint er perplex.

Bisher hatte ich noch überhaupt nicht mit dem Gedanken gespielt, zurück nach München zu ziehen. Doch jetzt, wo Kat schwanger ist und ich am liebsten 24/7 in ihrer Nähe wäre, ist es doch perfekt. Denn ein Zusammenziehen mit Kat kommt ja wohl vorerst noch nicht in Frage.

"Klar. Wäre doch ideal, oder nicht? Ich habe ein gewisses Vermögen mittlerweile, da sollte es für uns ein Einfaches sein, die Wohnung zu bekommen.", nicke ich.

Fabi lässt nachdenklich den Blick über die umliegenden Gebäude schweifen.

"Ich wollte eigentlich endlich mal alleine wohnen.", gibt er zu bedenken. "Allerdings bist du bestimmt sowieso die Hälfte des Jahres nicht da. Oder?"

Unter normalen Umständen müsste ich ihm da defintiv zustimmen. Vermutlich sogar mehr als die Hälfte des Jahres. Aber jetzt wird sich einiges ändern. Ich muss zumindestens ansatzweise mit offenen Karten ihm gegenüber spielen, damit wir in ein paar Monaten, wenn alles offiziell wird, keinen Streit haben.

"Ich will ehrlich zu dir sein.", beginne ich und hole tief Luft. "Kat und ich nähern uns gerade wieder an. Ich weiß im Moment noch nicht, wie das Ganze weitergeht. Könnte mir aber durchaus vorstellen, dass die WG gar nicht von allzu langer Dauer wäre."

"Ah, okay.", nickt Fabi und grinst, da er schlagartig versteht wieso ich heute so gedankenversunken bin. "Das heißt also sie hängt dann ständig bei uns ab?"

"Das weiß ich nicht.", lache ich und zucke mit den Achseln. "Immerhin hat sie ja auch noch eine eigene Wohnung."

"Na gut, aber kein Rumgevögel auf dem Sofa!"

Wir lachen einen Moment, ehe die Stimmung wieder ernster wird.

"Ich überlege es mir, okay? Es klingt wirklich nach einem guten Plan. Ich werde es dem Vermieter mal vorschlagen und dir dann Bescheid geben, ja?", stimmt Fabi zu.

Ich nicke zufrieden.

Auf halbem Weg - WincentWeiss (Teil 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt