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Multiple Persönlichkeiten bzw Dissoziative Identitätsstörung

Okay, ich habe eigentlich noch andere Kapitel vorbereitet und wollte hier auch über COVID-19-Quarantäne und die Probleme mit der Psyche schreiben, aber da ich die letzte Woche meinen Youtube-Feed nicht mehr von dem Internet-Drama rund um dieses Video und Trisha Paytas befreien kann, will ich dazu ein paar Worte verlieren. Vor allem auch, weil es eine Krankheit ist, die hier auf Wattpad sehr gerne missinterpretiert und falsch dargestellt wird.

Kurz vorweg: ich bin kein Experte auf dem Gebiet und ich habe KEINE "multiplen Persönlichkeiten"  – oder wie es klinisch genannt wird – eine dissoziative Identitätsstörung (dissociative identity disorder – kurz DID). Aber wer mein Kapitel über "Mein PTSD" gelesen hat, weiß dass ich dissoziative Epidosen habe und aufgrund meiner genauen Geschichte mit meinem Trauma etc bin ich auf DID getestet worden. Wie gesagt, ich habe es nicht. Aber ich halte mich für semi-informiert darüber. Wer sich eingehender damit befassen möchte, dem lege ich – obwohl in englischer Sprache – dieses Video und allgemein die Videos von dissociaDID nahe!

Warum ich dennoch darüber schreibe? Weil diese Krankheit mit so vielen Stigmas verbunden ist, glorifiziert und extrem verzerrt wird, was einfach aufhören muss. Ein positiver Dialog über psychische Krankheiten wird von falschen Informationen verzerrt – und auch Geschichten hier auf Wattpad, die mit dieser Krankheit spielen ohne sie zu verstehen, tragen ihren Teil zu diesem falschen Bild bei.

BEGRIFFLICHKEITEN

Dass "multiple Persönlichkeiten" und Schizophrenie nicht das gleiche sind, ist bei den meisten mittlerweile angekommen. Dass der Begriff "multiple Persönlichkeit" bzw "multiple Persönlichkeitsstörung" als Diagnose seit mehr als 20 Jahren veraltet ist, eher nicht. Diese Krankheit wird korrekterweise als dissoziative Identitätsstörung bezeichnet und ist KEINE Persönlichkeitsstörung.

Persönlichkeitsstörungen sind eine eigene Klasse an Krankheiten, die durch starke Ausprägungen gewisser Persönlichkeitsmerkmale gekennzeichnet sind. Dazu gehören Dinge wie die narzistische Persönlichkeitsstörung oder dissoziale Persönlichkeitsstörungen (landläufig als Soziopathen oder wahlweise Psychopathen bezeichnet), aber auch zwanghafte oder paranoide Persönlichkeitsstörungen. Diese haben alle ihre eigenen Ursachen bzw sind teilweise angeboren. Die meisten von uns haben von einigen dieser Diagnosen bereits gehört.

DID ist hingegen eine Identitätsstörung. Das heißt, es ist etwas beim Formen der Identität "schief" gegangen – und zwar in der frühesten Kindheit vor sich im Alter von 7 bis 9 Jahren die Persönlichkeit wirklich formt. Drei Merkmale müssen für DID erfüllt sein: sich wiederholendes Trauma in der Kindheit vor diesem Stadium der endgültigen Identitätsbildung, die Fähigkeit zu dissoziieren und eine schlechte bis gestörte Bindung zu deinen wichtigesten Bezugspersonen (Eltern, Zieheltern, Babysittern – wer auch immer sich in diesem Alter am meisten auf das betroffene Kind kümmert bzw für es verantwortlich ist).

Das ist alles nu kurz unterschieden, aber ich glaube die letzten 3 Dinge erklären schon, dass es definitiv keinen schönen Gründe sind warum sich diese Krankheit bildet.

Was ist Dissoziation?

Das habe ich in meinem Kapitel "Mein PTSD" bereits angeschnitten und will es hier wieder aus meiner eigenen Erfahrung tun. Dissoziation (und auch Derealisation) ist ein Mechanismus, den der Körper in Gefahrensituationen nutzt, um sich als Person aus der Situation zurückzuziehen, um sich selbst zu schützen. Das sind oft die Gefahrensituationen, in denen man so unter Stress steht, dass alles nur noch auf Autopilot läuft und man danach oftmals nicht mehr sagen kann, was da wirklich passiert ist, oder alles etwas verzerrt ist (Derealisation). Vielen haben diesen Zustand schon mal erlebt, wenn es um extreme Stress- und Gefahrensituationen ging. Wo Dissoziation "krankhaft" wird, ist wenn diese dissoziativen Episoden in Situationen passieren, in denen es eigentlich keine Gefahren gibt bzw in Kombination mit Trauma durch etwas ganz Banales – wie eine gewisse Wortkombination, eine Berührung an der Schulter o.ä. – getriggert werden. Diese dissoziativen Zustände halten auch länger an, als diese einmaligen Stresssituationen und sind teilweise auch von teilweiser oder kompletter Amnesie begleitet. Sprich es fehlen einem einfach Teile der Erinnerung. Ich hatte es zum Beispiel schon öfters, dass ich dissoziiert habe und nicht mehr wusste, wie ich und wann ich nach Hause gekommen bin. Oder in die Uni oder Schule gegangen bin, meine Zeit dort abgesessen habe, aber am Ende nichts mehr wusste – vom Unterricht oder von meinen Interaktionen oder Nicht-Interaktionen mit Menschen.
Vielleicht konkreter: Stell dir vor, du kommst aus heiterem Himmel zu dir, sitzt irgendwo, weißt nicht, wie und weshalb du dorthin gekommen bist oder was du die letzte halbe Stunde (und das ist ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum) gemacht, getan oder gesagt hast. Hast du irgendetwas peinliches getan oder gesagt? Hast du jemanden beleidigt, verletzt oder ähnliches? Ist etwas mit dir passiert? Wenn ja was? (auf Parties oder ähnlichem unangenehm, wenn du plötzlich der Gedanke aufkeimt, jemand hätte dir KO-Tropfen ins Glas getan)
Ich glaube, ich brauche nicht sagen, dass dieser Zustand nicht lustig ist und einem gewaltig Angst machen kann. Wenn ich "aufwache", bin ich oft so durcheinander und verängstigt, dass ich nur mehr heule und total zittrig bin. Ich kann mir in vielerlei Hinsicht selbst nicht vertrauen.

Der Schritt von Dissoziation zu DID

So, jetzt stell dir das vor und multiplizier das ins Zigtausendfache und füge dann noch hinzu, dass eine Person, die du nicht wirklich kennst und komplett konträr zu dir sein kann, in dieser Zeit dein Leben übernimmt und du nicht weißt, was die Person mit deinem Leben macht. Es ist beängstigend und führt zu allerhand unangenehmen Situationen.
Bei DID hat das Gehirn durch das frühkindliche Trauma, Teile von sich "abgespalten" um gewisse Erinnerungen abzuschotten und die Person vor sich selbst und ihren nicht aushaltbaren Erinnerungen zu schützen. Im Grunde ist es eine Krankheit, die oft erst sehr spät diagnostiziert wird, weil das ganze Krankheitsbild darauf ausgerichtet ist, sich nicht an gewisse Dinge zu erinnern, sich nicht mit dem Trauma (und allen Situationen, die dem ähneln oder als Gefahr wahrgenommen werden) zu erinnern.
Dabei gibt es selten soetwas wie diese komplett durchgedrehte "Killer-Persönlichkeit", wie es Hollywood so gerne darstellt bzw wie es oftmals in den Köpfen der Leute verankert ist, sondern einfach nur Teile einer Identität die sich mit ihren verschiedenen Erinnerungen und durch diese verschiedenen Erinnerungen unterschiedlich geformt haben. 

Achja, nochetwas: Es gibt bei DID nicht soetwas, wie die "originale Person", weil die Abspaltung in einem Stadium der Entwicklung entstanden ist, als diese Person noch keine echte Identität und Selbstwahrnehmung hatte bzw sich diese erst formte. Alle Identitäten sind irgendwo sie selbst und haben ganz unterschiedliche Erinnerungen, aber alle wurden vom gleichen Körper erlebt. Nur wer zuerst da war, kann man nicht sagen.

Um es in Nins (die Betreiberin des dissociaDID-Channels) Worten zu sagen: Wenn du eine Glasschüssel zerbrichst, welches Stück ist die ursprüngliche Schüssel?

Noch mal zusammengefasst: (und auch ein kleiner Aufruf an alle Autoren – hier auf Wattpad und anderswo)

"Multiple Persönlichkeitsstörung" gibt es offiziell nicht mehr bzw ist ein veraltetes Wort für die Diagnose Dissoziative Identitätsstörung.
Die Krankheit entsteht durch Kindheitstrauma. Amnesie zwischen den Idenitäten ist normal und sogar eine wichtige Komponente für die Diagnose DID.
Und es gibt kaum jemanden mit DID mit einer wirklich "bösen" Identität. Traumapatienten haben eine höhere Wahrscheinlichkeit erneut zum Opfer zu werden, als selbst zum Täter zu mutieren.

Tragt zu einem positiven Diskussion über die Krankheit bei, indem ihr euch über meine kleine (und sehr vereinfachte) Erklärung hinaus über die Krankheit informiert. Wenn ihr darüber schreiben wollt, lasst euch nicht von Popkultur, Medien und Hollywood verleiten, sondern stellt dieses Krankheit dar, als was sie ist: Das Produkt schrecklicher Kindheitserinnerungen, die eine Person alleine nicht aushalten kann. Ein Selbstschutzmechanismus des Gehirns. Ungewissheiten und Ängsten, die man so kaum nachvollziehen kann. Und definitiv kein einfaches Leben!