Mein PTSD

44 4 7
                                    

Posttraumatische Belastungsstörung (kurz PTBS oder englisch PTSD) haben viele schon ein Mal gehört. Oftmals wird es mit Ex-Soldaten, Gewalt- und Vergewaltigungsopfern assoziiert. Es ist meiner Meinung nach eine der wenigen Diagnosen, die man nennen kann, ohne all zu schräg angesehen zu werden. Man ist eben das Opfer seiner Umstände (auch das kann schwierig sein, aber dass vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt).

Aber was heißt das wirklich? Was umfasst diese Diagnose eigentlich?
Mal wieder einen Regenbogen an Auswirkungen und Problemen, die sich sehr individuell zusammensetzen, weil es gerade bei dieser Diagnose oft sehr stark mit den Erlebnissen zusammehängt. Ich gehe daher nur auf die Dinge ein, mit denen ich persönlich Erfahrung gemacht habe - sollte jemand etwas hinzufügen wollen, bitte gerne :)

Flashbacks und Albträume
Ganz häufig bei PTSD sind Albträume, in denen man sein persönliches Trauma, manchmal in verzerrten Varianten, wieder und wieder durchlebt.
Manchmal sind die Albträume besser und ich habe wochenlang nichts. Dann habe ich wieder Phasen, in denen ich täglich damit kämpfe. Manchmal erinnere ich mich an jedes Detail, manchmal nur an dieses Gefühl. An manchen Tagen komme ich besser damit zurecht und an anderen Tagen wache ich auf und bin wie gelähmt und in einem andauernden Panikzustand. In letzterem schaffe ich es kaum aus dem Haus - zumindest nicht ohne starke Beruhigungsmedikamente (ja, ich rede hier von Benzodiazepinen).
Flashbacks sind hingegen unregelmäßig. Je besser man seine Trigger kennt und weiß, was diese auslöst, desto eher kann man sie vermeiden, aber manchmal erwischt es einen einfach und eine simple Berührung oder eine Aussage versetzt einen zurück in eine Situation. Manchmal sind es Fetzen, manchmal ein Kinofilm, manchmal ein Gefühl. Aber es macht einem Angst und versetzt einem in Panik, weil es einen zurückversetzt in seine persönliche Hölle.

Depression und Selbstwert
PTSD ist oft begleitet von Depressionen. Albträume fördern Schlaflosigkeit, Angstzustände und die Angst vor der Angst ("es könnte ja xyz passieren und dann habe ich wieder eine Panikattacke") legen einen im täglichen Leben lahm und schlagen einem negativ auf die Stimmung. Ich glaube, dazu gibt es nicht viel zu sagen, außer dass Erinnerungen einfach immer etwas mit einem machen. Je negativer diese sind, desto eher kommt man in einen negativen Gedankenkreislauf. Sätze wie "ich bin es nicht wert", "ich bin für nichts gut" oder "du schaffst eh nichts" haben sich bei mir eingehämmert. An guten Tagen ist das kein Problem, aber wenn Misserfolge im täglichen Leben passieren, kommen diese Glaubenssätze und Selbstkonzepte schnell zum Vorschein und dann kann eine Kleinigkeit eine Teufelsspirale an negativen Gedanken auslösen.

Dissoziation
Das ist für viele vielleicht neu oder kein Begriff, aber damit kämpfe ich persönlich sehr. Auch Dissoziation kann durch Trigger hervorgerufen werden und bei mir kann es von ein paar Minuten bis zu mehrere Tage andauern. Es ist eine Art Delirium. Ich erlebe es unterschiedlich und unterschiedlich intensiv. Manchmal stehe ich wort-wörtlich neben mir und sehe meine Handlungen nur mehr von außen, manchmal kommt es mir vor, als ob alles ganz weit weg ist oder ich unter Wasser wäre. Die Welt wirkt in diesem Zustand surreal, fast traumgleich, man ist nicht ganz man selbst und man reagiert verzögert auf Dinge bis hin zu es läuft alles ferngesteuert ab.
Etwas passiert dabei, dass die Wahrnehmung verzerrt. In der Situation des Traumas ist das oft notwendig, um damit fertig zu werden und es zu ertragen. Nur erlernt man dabei diese Mechanismen und das Unterbewusst greift bei "Gefahr" darauf zurück. Darüber wird von Betroffenen selten gesprochen, weil es einfach verrückt klingt. Als ich zum ersten Mal meiner Therapeutin von diesen Zuständen erzählt habe, hatte ich solche Angst, dass ich nie mehr aus der Psychiatrie raus darf, weil es für mich auch heute noch die Definition von "etwas ist nicht richtig mit deinem Kopf" ist. Aber stattdessen hat sie mir gesagt, es gäbe ein Wort dafür. Es sei bei Traumapatienten normal. So dumm es auch klingt, das tat gut.
Dissoziative Zustände haben mich schon in so manche seltsame und teils nicht ungefährliche Situationen gebracht. Harmlos klingt es dabei noch, wenn man fast schlafwandelnd von der Schule oder Uni nach Hause wankt und am Ende keine wirkliche Ahnung mehr hat, wie man von A nach B gekommen ist (ergo sich auch nicht daran erinnert, wie aufmerksam man im Straßenverkehr war). In einer Situation bin ich auf einer Party plötzlich zu mir gekommen, war den Tränen nahe und hatte keine Ahnung, was die letzte halbe Stunde bis Stunde so passiert ist (da sonst alles an mir normal war und ich alle auf der Party kannte, sind KO-Tropfen und ähnliches ziemlich sicher auszuschließen). Manchmal verliere ich auch einfach die Kontrolle über mich selbst und habe keine Möglichkeit auf meine Außenwelt richtig zu reagieren. Beispiel: Ich habe einen Zwischentest zurückbekommen und dann hatten wir das Thema Pro- und Contra-Zwangseinweisung. Ich bin dann nur mehr stumm dagesessen, mir sind die Tränen runtergeronnen und ich habe nichts tun können. Ich weiß noch, dass mich eine Kollegin angeredet hat, aber ich nichts sagen konnte und als ich meine Hand bewegen wollte, habe ich zwar meine Hand gesehen, aber hatte das Gefühl ich könne sie nicht steuern. Ich bin dann irgendwann draußen zu mir gekommen (die Kollegin, die mich angesprochen hat, hat mich nach draußen gebracht). Ich war zittrig und panisch, brauchte eine Weile bis ich wieder wusste, wo ich war, und hatte einfach dieses Gefühl von kompletten Kontrollverlust, dieses Gefühl nicht ich selbst zu sein.
Solche Zustände sind die häufigsten und das panische etc legt sich dann nach einer Zeit wieder, aber es ist ermüdend und einfach dieses Bewusstsein zu haben, man kann sich selbst nicht mehr steuern, ist nicht mehr Herr seines Körpers und seiner Sinne, ist kaum in Worte zu fassen.

Übrigens: genau diese Mechanismen werden in erweiterter Form zu einer Dissoziativen Persönlichkeitsstörung und kann zur Bildung von multiplen Persönlichkeiten führen. Vereinfacht gesagt.

Die ganzen zwischenmenschlichen Probleme
Trauma verändert einen, wie alle Erfahrungen im Leben. Für viele bedeutete es aber auch, dass einem "normale" Dinge schwer fallen.
Ich kann zum Beispiel schwer Umarmungen zu lassen, habe Probleme wenn es darum geht, tiefere Bindungen aufzubauen und wenn es um Intimität geht, bin ich ein Wrack. Auch Menschenmassen sind für mich ein Problem.
Dabei fällt es mir nicht schwer mit Leuten in Kontakt zu kommen. Ich bin nicht scheu, wenn es darum geht, Gespräche anzuzetteln, habe kein Problem damit vor Leuten zu reden oder dergleichen. Die meisten würden  mich wahrscheinlich als offenen Menschen beschreiben. Das bin ich aber nur solange es nicht um mich selbst geht. Ich kann stundenlang über sozio-ökonomische Probleme diskutieren, in verrückten Eskapaden Geschichten entwickeln und über gewisse Themen fachsimpeln. Wenn es aber um Vergangenheit, Kindheit, mein Innenleben oder Dinge, die auch nur annähernd damit zu tun haben (siehe Zwangseinweisung), geht, mache ich dicht und lasse damit wirkliche Freundschaften und ähnliches gar nicht erst zu. Auch das ist zu einem großen Teil auf mein Trauma zurückzuführen und ich arbeite hart daran, das zu ändern. Nur ist es eben auch Teil meiner Realität. Und ja, dieses mich selbst verleugnen ist ein großer Teil meiner Motivation für dieses Buch. Ich will das nicht mehr. Ich will mich nicht mehr von meinen Ängsten bestimmen lassen und nicht darüber zu reden hat mich bis jetzt nicht weiter gebracht.

Let's talk - Du bist nicht allein!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt