Scham

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Psychische Krankheiten sind mit Stigma verbunden, aber gleichzeitig auch mit viel Scham, sich selber verstecken und sich bloß nichts anmerken lassen.

Warum verstecken es so viele?

Ein Teil davon ist sicher, dass psychische Krankheiten in der breiten Bevölkerung immer noch etwas schräg angesehen werden. Depression und Burnout sind mittlerweile vielen ein Begriff, PTSD sagt auch den meisten etwas (und fiel mir persönlich leichter zu sagen als Depression), aber wenn man in Richtung bipolare Störung, Derealisation, dissoziatives Verhalten, Dissoziative Persönlichkeitssorung (landläufig als multiple Persönlichkeit bekannt) oder gar schizoaffektive Störungen gehen, dann hat man schnell den Stempel "Irrer" aufgedrückt.

Leute distanzieren sich von einem. Nicht unbedingt nach dem Motto "damit will ich nichts zu tun haben", sondern oftmals aus Hilflosigkeit oder weil sie nicht wissen, wie damit umgehen. Oftmals weil sie nicht wissen, was so eine Krankheit bedeutet. Hier herrscht zu wenig Aufklärung, zu wenig Wissen in der Bevölkerung. Aber genau dafür schreibe ich das hier.

"Mir geht's gut."
Wie viele Leute antworten auf die Frage "wie geht's dir?" ehrlich? Selbst wenn man keine tiefergehenden Probleme oder einfach mal nen schlechten Tag hat, antwortet man schnell mit "ja, ganz gut". Weil es einfach ist. Man muss nicht erklären, mag in dem Momemt vielleicht nicht reden, und hat keine Lust gerade dieser Person das Herz auszuschütten. Oder man hat ein Gesicht zu wahren, hat eigentlich alles und hat offiziell keinen Grund, unglücklich zu sein.
Ich glaube, damit können sich viele identifizieren - vor allem in Zeiten, in denen auf Social Media jeder das perfekte Leben führt.
Aber genau das schafft Barrieren. Wenn man plötzlich von jemanden angezickt wird, hat man oft keine Ahnung, warum - wobei es der Person höchstwahrscheinlich einfach nicht gut geht.
Wenn jemand einen Nervenzusammenbruch hat, hat es oft keiner kommen sehen oder – schlimmer – die Person übertreibt "wegen so einer Kleinigkeit". Wir alle verstecken die Symptome und machen es für Außenstehende unmöglich, früh genug einzugreifen und bekommen so erst recht keine Hilfe. Meistens sind es gerade Kleinigkeiten, die das Fass zum überlaufen bringen.
Wir verstecken uns vor der Welt, weil wir uns schämen, weil es uns gut gehen muss, weil wir nicht als kaputt angesehen werden wollen, weil wir kein Mitleid wollen.

Warum sabotieren wir uns selbst?

Die Antwort lautet Scham und Angst. Es ist oftmals schwer zuzugeben, was gerade falsch läuft, sogar vor einem selber. Das kann wieder damit zusammenhängen, das Image zu wahren. Nicht zuzugeben, wenn man mal etwas nicht erreicht oder geschafft hat. Noch schwerer ist es zuzugeben, wenn einen das eigene Gewissen plagt. Wir schämen uns dafür, wie düster es in uns selbst aussieht und wie weit wir von unserem Image entfernt sind. Wir schämen uns dafür, nicht der Norm zu entsprechen. Wir schämen uns für jede Kleinigkeit, die schief läuft.

Dann ist da noch Angst. Wenn man vermeintliche Schwächen zugibt, wird man angreifbar. Wenn man zugibt, was gerade falsch läuft, tuscheln am Ende alle darüber. Oder die persönliche Nemesis haut es einem im nächsten Wortgefecht entgegen. Alles schon gesehen, alles schon passiert.
Während Schwächen uns oft näher aneinander rücken und menschlich erscheinen lassen (wie sehr sympathisieren wir mit "Influencern", wenn sie Alltagsprobleme ehrlich zugeben?), muss ich aus eigener Erfahrung leider sagen, dass diese Ängste oftmals nicht unbegründet sind. Manche Aussagen sind nicht so gemeint, manchmal wird der Ernst der Lage nicht begriffen, es gibt ständig Missverständnisse. Aber jede Kleinigkeit führt zu einer kleinen Verletzung, diesen fiesen Stich im Herz, den man immer wieder spürt, wenn man an die Situation zurückdenkt, obwohl sie vielleicht schon als Missverständnis aufgeklärt wurde. Jeder, der solch eine Erfahrung ein Mal gemacht hat, wird tunlichst vermeiden, sie zu wiederholen. Wir wollen uns selber vor diesen kleinen Stichen schützen.
Die Folge: man kapselt sich ab, versteckt seine Schwächen und versteckt sich vor der Welt.

Dafür gibt es keine Lösung, weil es ein Teufelskreis ist. Jeder macht schlechte Erfahrungen und diese fördern gewisses Verhalten. Unsere Zeit macht es schwer, der Realität ins Auge zu blicken. Echt zu sein. Menschlich zu sein. Aber um das Breite Spektrum an psychischen Krankheiten erträglicher zu machen, braucht es meiner Meinung nach genau das: Schwächen zulassen.

Ein Teil davon ist aber auch, die Arten von "Mir geht's gut" kennen zu lernen. Wenn ein guter Freund oder ein Familienmitglied sagt "es sei nichts" oder ähnliches, wissen wir meistens genau, ob etwas nicht stimmt oder nicht. Ich wäre schon froh darüber, wenn wir alle in unserer Umgebung manchmal etwas genauer hinschauen und vielleicht das ein oder andere Mal mehr nachfragen. Ich glaube das würde uns allen das Leben – auch Menschen, die keine psychischen Probleme haben – um ein Vielfaches einfacher machen.

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