Das Schicksal trifft manchmal seltsame Entscheidungen

34 4 0
                                    

Kapitel 16

Shay sah sie aber immer noch fragend an. „Wenn es doch nur um einen Abend ging, dann hättet ihr doch einfach fragen können.“ Nein, das hätte sie nicht. Denn eine Antwort hätten weder ICH noch Shay ihr gegeben, das wusste der Ire auch.  „Da habt ihr nicht ganz unrecht, aber jetzt denkt mal darüber nach. Ich komme hier an und klopfe an eurer Tür und stelle Fragen! Hättet ihr mir diese wirklich beantwortet? Ich glaube kaum. Zumal ich eigentlich auch nicht auffallen wollte.“ Sie wollte nicht auffallen? Das ist ihr gründlich misslungen, denn die Jackdaw war mehr als auffällig. Und meine Meinung tat ich jetzt auch kund. 

„Ja, das ist mir jetzt auch bewusst. Aber ich wollte sie einfach auch mal wieder auf dem Meer sehen. Sie ist nun mal einfach wunderschön und sieht mit vollen Segeln umwerfend aus!“ Mit einem Mal sah ich, wie die beiden leuchtende Augen bekamen, als die Rede von Schiffen auf hoher See war. Sie liebte diese Brig wirklich, das wurde mir klar und eigentlich war die Jackdaw doch in guten Händen, aber warum fiel es mir so schwer, loszulassen?

Die Erklärungen wurden immer phantastischer, aber nicht im Sinne von großartig, sondern absonderlich und mir schwirrte allmählich der Kopf. Denn sie versuchte zu erklären, warum sie nur auf der Suche nach Bruchstücken der Geschichte war und nicht nach dem großen Ganzen! Es scheint in ihrer Zeit einen Moment gegeben zu haben, wo die Welt kurz vor dem Untergang stand. Aber irgendein Mann konnte das mithilfe von MEINEM Amulett verhindern? Sie nannte sogar ein Datum. Den 21.12.2012. Das klang so... weit weg. Ich konnte mir das nicht vorstellen. 

Alex erzählte auch noch von einer anderen Möglichkeit, die Zeiten zu bereisen, aber das verstand ich überhaupt nicht. Es sei, als würde man ein Buch lesen und könne sich in dieser Geschichte selber bewegen. 

„Ich bin aus freien Stücken hier. Es gibt nichts, was euch misstrauisch werden lassen sollte. Dass die Jackdaw natürlich die Aufmerksamkeit erregt, hätte mir bewusst sein sollen. Aber ich habe nicht darüber nachgedacht!“ Der letzte Satz kam kleinlaut aus ihrem Mund, also hatte sie eine weitere Lektion gelernt. Wie schön. Da fiel mir wieder ein, dass sie ja meine Unterrichtsstunden als eine Qual oder Strafe bezeichnete. Als ich nachhakte, sah ich in ihren Augen nur Erstaunen. 

„Haytham, es fühlte sich so an, ja! Denn ihr habt mir gegenüber keinerlei Respekt gezeigt. Im Gegenteil, ihr habt mich spüren lassen, dass ihr ja ach so privilegiert seid und ich euch nicht ansatzweise das Wasser reichen könne.“ Sie tat es schon wieder. Ich musste mich immer noch stark konzentrieren, damit ich nicht wieder laut wurde. Aber als ich sie nur fragte, ob ich das wirklich getan habe, kam endlich noch eine Erläuterung, die mir ein wenig mehr auf die Sprünge half. 

„Verdammt noch mal, JA! Aber ich habe versucht euch etwas beizubringen. Wir gerieten in  eine Situation, wo ich mit euch draußen war, in welcher ihr euren Sinn testen solltet. Erinnert ihr euch nicht? Der Moment in dem kleinen Park vor dem Anwesen am Queen Anne´s Square. Ihr habt diese rote Aura ebenfalls bei diesem Mann erkannt!“ Ich ging immer davon aus, dass ich das nur geträumt hätte. Ich hatte wirklich keine echten Erinnerungen an diese Zeit, wer konnte es mir verübeln. 

„Master Kenway, es tut mir leid, aber es war wirklich real. Ich habe versucht, euch damit vertraut zu machen. Aber... ich habe es leider nicht so ernst genommen. Da ich schon wusste, dass ihr dem Orden beitretet, habe ich das Ganze leider auch nur halbherzig durchgeführt.“ Es wurde wieder grotesk. Jetzt musste ich mir auch noch anhören, ich sei es nicht wert gewesen, diese Fähigkeit auszubauen und etwas darüber zu erfahren? Ich spürte diesen Zorn wieder in mir. 

„Nein, das meinte ich so nicht. Aber... Der Adlerblick wird eigentlich nur bei Assassinen weitergegeben. Und... Ich wollte einfach nicht, dass ihr mehr wisst und könnt, als unbedingt nötig. Verdammt noch mal, ihr seid Templer. Was wollt ihr denn hören? Es ist schon schlimm genug, dass Reginald euch jahrelang im Unklaren gelassen hat. Er hätte euch weit mehr erklären und beibringen können, aber er tat es nicht!“ All diese Erklärungen trafen bei mir auf taube Ohren. Ich wollte nichts mehr hören. Diese Nacht war die schlimmste, die ich seit Langem erlebt habe und ich war müde. Ich fühlte mich regelrecht erschlagen, ob der ganzen Informationen. Ich tat meinen Unmut kund, indem ich sagte, dass das zu nichts mehr führen würde und ging zu meinem Bett.

Shay verstand sofort und ging ebenfalls in sein Zimmer. Und wieder stand diese Frau völlig verloren dort und machte nichts. Sie sah mich an, als würde sie auf etwas warten. Also erinnerte ich sie an ihre Pflichten. Sie half mit den Schuhen und den Kissen. Halt das übliche. Als ich endlich lag, fielen mir einfach die Augen zu. Und dann spürte ich wieder ihre Lippen auf meiner Stirn und... weinte sie etwa? Ich fühlte wie mir eine ihrer Tränen übers Gesicht lief, aber ich ließ mir nichts anmerken. Bei dem nächsten Satz musste ich mich aber zusammenreißen, sie nicht einfach in den Arm zu nehmen. „Es tut mir alles furchtbar leid für euch und das meine ich auch so! Ich würde gerne so einiges ungeschehen machen!“ Ich fühlte ihre Anwesenheit noch ein Weile und dann ging sie leise hinüber. Vorsichtig richtete ich mich auf und lauschte. Und ich vernahm ein heftiges Schluchzen, anscheinend war ich nicht der einzige hier, der von Trauer, Wut und Zorn übermannt wurde. 

Ich versuchte wenigstens noch ein wenig Schlaf zu bekommen, auch wenn die Angestellten bereits alle schon auf den Beinen waren.

Es war ein unruhiger Schlaf und ich hatte Bilder von Mrs. Frederickson im Kopf, die nicht dorthin gehörten! Sie raubte mir förmlich den Schlaf. Nach einigen Stunden, stand ich resigniert auf, wusch mich und zog nur meine Hosen über. Ich hatte einen Entschluss gefasst.

Wenn alles im Leben schon vorherbestimmt ist, dann würde ich nichts falsch machen, wenn ich dieser Frau meine Zuneigung zeigte. Ich hatte gerade die Nachricht erhalten, dass man die Jackdaw gefunden hat und sie in ein paar Stunden hier im Hafen anlegen wird. 

Mein Entschluss stand fest. Ich wollte sie. Ich wollte diese manchmal so nervtötende Frau einfach um mich haben. An ihren Manieren konnte man ja noch arbeiten, aber ich würde sie nicht kampflos aufgeben! Die Erkenntnis, dass sie recht hatte, traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Denn es hätte nicht verhindert werden können und als ich jetzt so darüber nachdachte, hatte ich ihr wirklich unrecht getan. Ich hatte sie beschuldigt, nur wegen der Brig uns verraten und gleichzeitig den Tod meines Vaters verschuldet zu haben!

Ich hatte vieles letzte Nacht gesagt, was mir jetzt ein schlechtes Gewissen bereitete. Ich wollte es wieder gut machen!

Leise öffnete ich die Tür zum Ankleidezimmer und sah auf die schlafende Mrs. Frederickson. Sie hatte ein rotes Gesicht und man sah, dass sie geweint hatte. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich so dastand und sie betrachtete, aber sie schien meine Anwesenheit zu spüren und schrak hoch. „Verzeiht, habe ich etwas vergessen? Braucht ihr etwas?“ Ich grinste in mich hinein. Sie hatte sofort im Kopf, wenn sie mich sah, dass sie etwas vergessen hatte? 

Aber ich konnte sie beruhigen und sagte das auch. Ich zog sie hoch und ihr stieg diese Röte ins Gesicht, das stand ihr gut zu Gesicht. Ich schlang meine Arme um ihre Taille und zog sie an mich. Es war nicht, weil ich ein Verlangen nach ihr hatte, aber ich hatte nicht vergessen, wie es sich anfühlte, sie im Arm zu haben. Wie ich mich beruhigte und sie sich ebenso. Und dann legten sich ihre Hände etwas unbeholfen auf meine Brust, ebenso lehnte sie ihren Kopf daran und wir standen eine gefühlte Ewigkeit so da... Bis wir aus dieser tröstlichen Umarmung gerissen wurden durch mehrmaliges Klopfen. 

Es war Master Cormac, der sich verabschiedete. Er lobte die Kochkünste meiner Haushälterin und war der Meinung, sie sich zu holen, wenn seine Köchin einmal krank war. Ich würde Sybill ganz bestimmt nicht gehen lassen, sie ist schon eine gefühlte Ewigkeit in meinen Diensten. Als er gegangen war, drehte ich mich zu Mrs. Frederickson, sie stand immer noch, nur mit ihrem Nachthemd in der Tür. Wie sollte ich sie jetzt davon überzeugen, dass sie mit mir gemeinsam zum Hafen kommt? Etwas unverfängliches musste her. Also fragte ich einfach, was WIR denn mit diesem angebrochenen Tag machen sollten.

Ihre Augen wurde groß und sie fing an zu stottern. Anscheinend hatte Alex mit allem gerechnet, nur nicht mit dieser Frage. Ich konnte mir ein breites Grinsen nicht verwehren. „Ich, ähm... ich weiß es nicht, Master Kenway. Ich denke, ich werde in der Küche gebraucht und...“ nein, ich ließ sie nicht ausreden! 

Ich schlug ihr vor, wenn sie sich angezogen hat, dass ich ihr New York ein wenig zeigen würde. Denn Ablenkung wäre für uns BEIDE gerade ganz gut! Dieser Mund mit diesen feinen Lippen öffnete und schloss sich etwas undamenhaft und sie fing wieder an zu stammeln. Doch entschlossen drehte sie sich um und schloss die Tür.

Ich konnte nicht an mich halten, anscheinend hatte ich eine sehr eigene Wirkung auf diese Frau. Ich fühlte mich ein wenig geschmeichelt.

Die Tagebücher des Haytham E. Kenway - Die verlorenen Seiten - Part 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt