Überleben 🌼

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[Dieses Kapitel ist das Anschlusskapitel an das mit dem Titel 'Kämpfen 🌼']

Handlungsstrang: 🌼

Die Tage nach Sherlocks Krankenhauseinweisung waren pure Qual für mich gewesen und ich hatte es keine einzige Unterrichtsstunde geschafft, auch nur mitzubekommen, um welches Fach es sich gerade handelte, geschweige denn, worum es ging.
Greg stand mir die ganze Zeit beiseite, sorgte dafür, dass ich aß und duschte und ließ mich über sein Handy mit Mycroft telefonieren, wann immer dieser anrief, um mögliche Neuigkeiten von Sherlock zu Erfahren.

Die Nachricht, dass er schon im Krankenwagen wiederlebt wurde, brachte zwar für einen Moment Erleichterung, allerdings lag Sherlock danach mit kritischem Zustand auf der Intensivstation und befand sich stündlich zwischen Leben und Tod.
Zwar gab es auch für Heroin-Überdosis Gegengift, doch dieses wurde mehrmals am Tag gespritzt und löste angeblich starke Entzugserscheinungen aus, weshalb mir erst erlaubt wurde, Sherlock endlich zu besuchen, als er nach 11 Tagen für stabil erklärt und in eine spezialisierte Klinik überwiesen wurde.

Nun stand ich unschlüssig im Flur und drückte mich vor Sherlocks Zimmertür herum, nicht wirklich wissend, wie ich ihn begrüßen sollte, wie es ihm tatsächlich ging und ob er mich überhaupt sehen wollte.
Greg hatte mich hergefahren, wartete momentan jedoch im Eingangsbereich mit Mycroft, der seinen Bruder zuvor besucht hatte.
"Kann man ihnen behilflich sein ?", wurde ich dann freundlich von einer Krankenschwester angesprochen, die im hellblauen Kittel an mir vorbeilief und beobachtete, wie ich mich herumdrückte.
"Äh, nein, danke... Ich... traue mich nur nicht wirklich, reinzugehen", murmelte ich peinlich berührt und schloss meine Hände zu Fäusten, nur um sie direkt darauf wieder zu öffnen.

"Das geht vielen am Anfang so. Mach dir keine Gedanken, er ist seit Beginn seines Aufenthaltes sehr ruhig.", erklärte sie zwinkernd, fast so, als könne sie direkt durch mich hindurchsehen und erkennen, wie viel Sherlock mir bedeutete.
Als sie weiterging, biss ich mir kurz auf die Unterlippe, dann gab ich mir einen Ruck, klopfte zwei mal kräftig an die Tür und öffnete diese dann vorsichtig, um mich langsam durch den Türspalt zu schieben.
"Darf ich reinkommen ?", fragte ich leise, bevor ich den scheußlich weißen Raum komplett betreten hatte, als ich schon Sherlocks raue Stimme vernahm:" Du bist doch schon drin."

Wäre dieser Satz nicht von einem kurzen Lachen begleitet gewesen, das nur durch einen trockenen Hustenanfall abriss, wäre ich ohne ein weiteres Wort wieder verschwunden.
Reiß dich zusammen, John.
So schob ich mich schließlich ganz durch die Tür und zog diese hinter mir wieder zu, um in dem lichtdurchfluteten Raum zu landen.
Er war nicht wirklich groß, doch das Fenster befand sich direkt neben Sherlocks Bett, das an eines aus den Krankenhäusern erinnerte und eine kleine, weiße Kommode stand an der Wand, die zum Fußende des Bettes zeigte.

"Hey", war erst einmal alles, was ich dann herausbrachte, als ich Sherlocks schmalen Körper erblickte, der in dem dunkelblauen Klinikanzug unter der schneeweißen Bettdecke fast zu versinken schien.
Unter seinen matten Augen lagen dunkle Ringe und eine Infusion tropfte stetig Flüssigkeit in Sherlocks linken Unterarm, während er halb aufgerichtet in seinem Bett saß und nicht wirklich beschäftigt schien.
"Hey", murmelte mein Freund als Antwort, ein schräges Grinsen versuchend, was seine Augen jedoch nicht erreichte.

"Es tut mir leid, Sherlock", murmelte ich daraufhin nur, als dieser Anblick mir einfach zu viel wurde.
Ich hätte das verhindern können.
Erneut drohten mich meine Emotionen zu überwältigen und ich kämpfte mit mir selbst, als Sherlock nur aus dem Fenster sah und nicht antwortete.
Unschlüssig stand ich etwas verloren in der Mitte des Raumes, nicht sicher, wie ich mit Sherlock umgehen sollte.
Ich wusste nicht, ob er reden wollte, ob ich still sein sollte, wusste nichtmal, wie es ihm im Moment ging.
Letzteres konnte ich jedoch herausfinden, beschloss ich, weshalb ich schließlich vorsichtig fragte:" Wie geht es dir ?"

Einen Moment fürchtete ich, Sherlock würde mich weiterhin ignorieren, dann jedoch sah er mich wieder an:" Beschissen."
Dieses Mal war sein Grinsen echt.
Unwillkürlich musste ich auflachen, dankbar für seine plötzliche Ehrlichkeit.
"Wenn ich den ganzen Tag nur weiß sehen würde, würde es mir mit Sicherheit auch so gehen", gab ich lachend zurück, woraufhin sich Sherlocks Blick jedoch wieder etwas verdunkelte.
Du bist bescheuert, John.
"Letztes Mal war es schlimmer. Da hing ein Spiegel an der Wand, der das Sonnenlicht direkt auf das Kopfkissen geworfen hat", murmelte er dann jedoch und ich schluckte.
Letztes Mal.

Es war also tatsächlich nicht das erste Mal gewesen, dass Mycroft seinen Bruder so vorgefunden hatte.
Allerdings schien Sherlock mir nicht böse zu sein und langsam hielt ich es nicht mehr aus, ihm nun gleichzeitig so nah und doch so fern zu sein. Daher wagte ich es, ein paar Schritte auf sein Bett zuzugehen und vorsichtig nach seiner schmalen Hand zu greifen.
Kurz erschrak ich wegen ihrer Kühle, doch dann verschränkte ich Sherlocks lange Finger mit den meinen und sah auf die Kanüle hinab, die den Schlauch in seinen Arm führte:" Schickes Teil."

"Rot. Hab ich mir ausgesucht.", antwortete Sherlock müde lächelnd und drückte kurz meine Hand, was mir endlich einen Teil der Kraft zurückgab, die ich auf der Party mit ihm verloren hatte.
Er lebt.
Er lebt und ich darf bei ihm sein.
In diesem Moment war das alles, was für mich zählte.
An diesem Tag sprachen wir nicht mehr viel, doch danach besuchte ich Sherlock, wann immer es mir möglich war.
Manchmal ging es ihm besser und wir redeten über alte Geschichten, manchmal starrte er einfach nur die Wand an, während er abwesend meine Hand hielt.

Doch es war okay, denn jede Minute, die ich mit ihm verbringen konnte, gab mir das Gefühl, dass ich es wieder gut machen konnte, dass dies unsere Chance war, mehr zu tun, als zu überleben.
Als ich ein paar Wochen später wieder auf Sherlocks Bettkannte saß, richtete er sich mit funkelnden Augen neben mir auf.
Er hatte wieder etwas zugenommen und seine natürliche Blässe war zurückgekehrt, was ihn lebendiger wirken ließ, als zuvor.
"Übermorgen gehe ich nach Hause, John", verkündete er dann stolz lächelnd, woraufhin ich ihn direkt in eine Umarmung zog und ihn eine ganze Weile nicht mehr losließ.

"Das ist gut", flüsterte ich liebevoll in seine Haare und drückte ihm einen sanften Kuss auf seine wilden Locken.
Vorsichtig löste er sich dann jedoch von mir und sah mich schräg an, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt.
"John, weißt du...", begann er dann und kurz fürchtete ich, dass er wieder abwesend werden würde, als ich verstand, in welche Richtung das Gespräch gehen würde, doch als er dann einfach weitersprach, während er mit seinen Fingern über meine Handfläche strich, entspannte ich mich wieder.

"Es war nicht deine Schuld. Ich hätte es dir erzählen sollen, damals, in dieser Nacht. Ich wusste einfach nicht, wie", erklärte er weiterhin und ließ mir keine Möglichkeit, ihn zu unterbrechen," Ich hatte zu viel Angst vor deiner Reaktion. Ich dachte, wenn ich es dir erzähle, werde ich in deinen Augen auch zum Freak."
"Oh Sherl-", begann ich mit großen Augen, du wirst niemals ein Freak für mich sein, doch er sah mich mahnend an und legte mir vorsichtig den Finger auf die Lippen:"Shh, lass mich ausreden. Worauf ich eigentlich hinauswollte... es ist nicht das einzige, was ich dir viel früher hätte sagen sollen."

Irritiert sah ich ihn an, als er plötzlich wieder aufsah und seine Hand von meinen Lippen an meine Wange wandern ließ.
"Ich liebe dich, John", hauchte er dann in die Stille hinein und bevor ich etwas erwidern konnte, spürte ich seine Lippen so sanft auf den meinen, dass ich das Gefühl hatte, zu fliegen.
Seine Worten hatten ein unglaubliches Kribbeln in meinem Unterleib ausgelöst und für den Moment schien die Anspannung der letzten Wochen vollkommen zu verschwinden.
Als er sich wieder von mir löste, bemerkte ich, dass seine Augen so hell  leuchteten, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte und in diesem Moment erkannte ich, dass ich Recht gehabt hatte.

Das hier war unsere zweite Chance.
Es war Sherlocks Leben.
"Ich liebe dich auch, Sherlock.", flüsterte ich zurück und als wir uns erneut küssten, atmete ich den Duft seines neuen Shampoos ein, während ich die Hände in seinen dunklen Locken vergrub.

The end

Girlfriend ? Not really my areaWhere stories live. Discover now