11 - Die weiße Frau

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Sie badete, als Orpheus hereinkam.

Lange, weiße Strähnen drifteten durch das von duftenden Ölen milchige Wasser, wickelten sich umeinander und umrahmten ihr helles Gesicht.
Ihr Körper war unter trübem Wasser verborgen, aber das sanfte Glühen des Caz Kristalls in ihrer Brust sickerte durch die Flüssigkeit.
Sie hatte die glatte Länge ihrer Beine auf den Rand der Wanne gelegt, elegant ohne es zu wollen.
Schlanke Finger liebkosten den Rand der Metallwanne.
Ganz objektiv betrachtet war sie schöner als ein Traum.
Er wandte sich halb ab, räusperte sich und sah doch zu, wie sie zusammenfuhr.

„Was macht ihr hier?", fauchte sie ihn an, zog die Beine so schnell zurück ins Badewasser, dass ein paar Tropfen über den Rand spritzten und auf den Boden niederregneten.

„Verzeihung", entschuldigte er sich unwillig, „Ich wollte Euch nicht stören."

„Ach ja? Raus hier, sofort!"

Er hielt ihrem Blick stand, obwohl er sich schuldig fühlte, dass er sie so überrumpelt hatte. Unfreiwillig so weit in ihre Privatsphäre vorgedrungen war.
Bei allem, was sie war, war sie immer noch eine junge Frau, die hier gefangen gehalten wurde.
Er sollte nicht hier sein.
Orpheus senkte letztendlich den Kopf, damit sie sich nicht angestarrt fühlte.

„Ich muss mit Euch reden. Jetzt."

„Ich rede nicht mit Lustmolchen."

„Lustmolchen?"

Sein Schnauben war so amüsiert, dass sie rot wurde. Er sollte das wirklich nicht tun.

„Ich warte auf Euch", verabschiedete er sich und ging zurück in den kühlen Hauptraum.
Man hatte May Silencia in einer der Villen eingesperrt, die sich wie eine Bordüre aus alter Baukunst an den Hängen um die Stadt herum hinaufzogen. Sie war vor dem Auge der Öffentlichkeit verborgen worden, da die Politik seines Vaters im Moment am seidenen Faden hing. Eine Hohe in der Stadt ohne Sonne würde ihnen allen den Todesstoß versetzen.
Ganz davon abgesehen, dass May Silencia in der Arena wahrscheinlich noch seine ganze Familie umbringen könnte, bevor sie starb.
Sie war gefährlicher, als sie aussah, mächtiger, als sie zugab und dabei doch nur jemand, den man weit entfernt von seiner wohlbehüteten Kindheit und der Sicherheit der weißen Türme gefangen hielt.

Er hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt, starrte vor sich hin und wartete. Er hörte, wie sie das Becken verließ, tropfnass über die Fliesen ging und sich im Vorraum des Bades abtrocknete. Sie ließ ihn lange zappeln, viel zu lange, für die Manieren einer Ordensdame.

Er wusste natürlich, dass sie ihn nicht mochte.
Wenn er die Wahl hätte, hätte er sich zu den Patrouillen oder sogar in die Stadtwache versetzen lassen, aber das hier war nicht seine Entscheidung, sondern ein direkter Befehl seines Vaters. Hades wollte ihn dafür büßen lassen, dass er sich und alle Valeria vor dem gesamten Rat blamiert hatte. Und seine Strafe bestand darin, eine Frau zu bewachen, die ihn wegen seiner Farblosigkeit verachtete.
Eine Frau, die ihn in jedem Moment umbringen konnte, wenn sie selbst bereit war, zu sterben.
Reizend.
Aber irgendwie würden sie miteinander auskommen müssen, wenn das hier nicht in unnötiges Drama ausarten sollte.

Als die Hohe letztendlich auftauchte, waren ihre Wangen immer noch gerötet, aber ihr Blick kühler als die Luft in den Venusgrotten.
Sie war so groß, wie keine andere Frau, die er kannte. Überragte ihn noch mehr als Aeneas, was ihm nicht gerade gefiel.

Er entschuldigte sich nicht noch einmal, sondern kam direkt zum Punkt.

„Der Kronprinz wird hingerichtet werden."

May Silencia warf die nassen Haare in den Nacken und begann so schallend zu lachen, dass ihre Schultern auf und ab zuckten wie Schiffe auf rauer See. Ein Wassertropfen traf ihn ins Auge.

„Das ist nicht Euer Ernst", kicherte sie, scheinbar völlig durchgedreht.

Er wurde einfach nicht schlau aus dieser Adligen. Er hatte sich auf einen Wutanfall gefasst gemacht, auf ein paar bittere Tränen für einen Freund oder sogar Geliebten, aber nicht auf Schadenfreude.
Kichernd wandte sie sich ab.

Kopfschüttelnd und verwundert wandte sich Orpheus zum Gehen, da sie keine weiteren Fragen mehr stellte. Außerdem hatte er kein gesteigertes persönliches Interesse daran, weiter in der Gegenwart einer halb wahnsinnigen Sternenpriesterin zu bleiben.

„Natürlich richtet ihr ihn hin", rief sie ihm hinterher, während das Lachen aus ihrer Stimme verblasste, „Den Menschen, der alles darangesetzt hat, den Anschlag zu verhindern. Der als einziger im Kern davon Wind bekommen hat, dass da etwas geplant wird. Nicht Hekate. Nicht der König. Nein, Julian. Er hat riskiert, dass ich ihn verrate. Rick hat ihn verraten. Er hat mit einer Farblosen – mit dem Schattenvogel selbst, zusammengearbeitet, um Euch den Hintern zu retten. Und jetzt wollt ihr ihn hinrichten? Julian, diesen verdammten Heilligen? Das ist ein sternenverdammter Witz."

Er hatte immer noch die Hände hinter dem Rücken verschränkt.

„Ich fälle das Urteil nicht."

„Das ist mir klar, mein Lieber, so tief ist dieses System dann doch noch nicht gesunken."

Er blinzelte, während sie sich das feuchte, schneeweiße Haar über die Schulter strich, ohne ihn anzusehen.

„Wann richten sie ihn hin?"

„Morgen."

Ungläubiges Kopfschütteln. Aufgewühlte, viel zu helle Augen schienen ihm die seinen auszustechen schienen.

„Er will mit Euch sprechen, bevor er stirbt", hängte Orpheus an, „In einer Stunde ist er hier."

Sie erwiderte nichts, also wandte er sich wieder zum Gehen. Er hatte schon die Hand auf dem Türknauf, als sie zu sprechen begann.

„Wenn ihr Julian d'Alessandrini-Casanera hinrichtet, wird Cress Cye Euch nacheinander die Kehle aufschlitzen. Wenn ihr ihn hinrichtet, wird seine Schwester eure Stadt dem Erdboden gleich machen. Orpheus Valeria, ihr schaufelt Euch Euer eigenes Grab, wenn Ihr ihn umbringt."

„Ein Mensch kann keine Stadt zu Fall bringen", entgegnete er, „Ihr könnt es nicht, ich kann es nicht und ein Mörder mit blauem Blut kann es auch nicht. Ihr habt zu viel Zeit mit den Liedern und Sagen in Euren Büchern verbracht, Hohe."

Er ging.

Die zweite Hohe der letzten Stadt starrte ihm hinterher, völlig durch den Wind. Sie ließ sich auf die Bank sinken, die am Fenster stand und schüttelte nur immer wieder den Kopf.

Die Welt hatte vollkommen den Verstand verloren.

Smokehands (Skythief pt. 2)Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon