79 - Mit Zähnen und Krallen

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Als die Königin auf ihrem Hengst verschwunden war, ließ sie gebrochene Augen und blutende Körper zurück. Cress riss sich den Dolch aus der Brust und brach ächzend auf dem Pflaster zusammen. Blut strömte über ihre Hände, tropfte von ihrer Brust auf den Stein des Platzes. Verschwommen nahm sie die Leichen um sich her wahr. Die Ritter, Helenas Amazonen, die Zivilisten ... Die Leichen der Valeria waren unzeremoniell dort liegen gelassen worden, wo man sie ermordet hatte. Farblose waren es schließlich nicht wert, bestattet zu werden. Hades Bruder, seine Söhne, seine gesamte Familie. Der zarte Dichter, der Hüne, die Richterin, Orpheus. Cress bekam keine Luft mehr, als sie sich nach links wandte und feststellte, dass der Herr der Unterwelt die Stufen hinuntergeworfen worden war.

Nur noch ein paar Minuten.

Sie sank neben seinem leblosen Körper zusammen. Hades starrte mit weit geöffneten Augen hinauf an den felsigen Himmel, der schwer über seinem Reich hing. Der Herr der Toten hatte einen milden Ausdruck der Überraschung auf dem Gesicht, als könne er nicht fassen, dass jemand die Macht hatte, sein Volk wirklich in eine Schar aus körperlosen Seelen zu verwandeln.

Cress presste sich seinen Umhang gegen die Brust, so fest sie konnte, um die Blutung zu stoppen. Blut auf den Pflastersteinen, ihren Händen, überall. Die beiden Wachen, die Dominique auf sie angesetzt hatte, kamen ihr hinterher. Einer lachte hämisch, der andere trug eine versteinerte Miene zur Schau, während er zusah, wie Cress sich unter Schmerzen auf dem Boden zusammenkrümmte.

Dass sie anscheinend wirklich nicht sterben konnte, machte die Schmerzen nicht etwa besser, sondern nahm ihr nur die Hoffnung, dass sie je wieder aufhören würden. Cress hatte nicht einmal die Kraft zu fluchen, als sie halbtot unter den Valeria lag, einmal mehr Gefangen zwischen Leben und Tod. Unfähig, sich zu bewegen und genauso hilflos, als würde sie wieder zwischen den Wolkenkratzern hängen, während der Nebel sich seinen Weg durch den farblosen Bezirk fraß.

„Hübsches Ding."

Der Mann mit dem sadistischen Grinsen ging vor ihr in die Hocke. Cress Fingernägel brachen ab, als sie versuchte, sie in den Stein zu graben, um von ihm weg zu robben. Er streckte ganz langsam die Hand nach ihr aus, ergötzte sich an ihrer Panik, bevor er die Hand auf ihren Oberschenkel fallen ließ und zupackte. Alles in ihr zog sich zusammen, als der Grüne sie über das Pflaster zu sich zurückzog. Ihr Keuchen wurde abgehackt, als er sie auf den Rücken drehte.

„Schade eigentlich", er ließ seine Finger über ihre Hüfte streifen und sie trat mit letzter Kraft nach ihm. Doch es brachte den Fremden nur zum Lachen. Er senkte seinen Blick auf ihren Körper und Cress wünschte sich, sie könnte mit den Steinen des Platzes versinken. Sie wünschte sich, sie hätte sich totgestellt. Er griff wieder nach ihr, so fest, dass es sicher einen blauen Fleck auf ihrem Bein hinterlassen würde.

Das Lachen aus seinem Mund klang so vergnügt, so unschuldig. Es erstarb auf seinen Lippen, als die Spitze eines Messers aus seiner Brust auftauchte. Gold blitzte in Cress Augenwinkel auf. Der Soldat hatte einen milde überraschten Ausdruck auf dem Gesicht, als er vorneüber auf Cress kippte. Sie erschauderte unter dem noch warmen Körper. Gabriel Walsh kickte den Toten von ihr herunter, steckte seinen Dolch weg und sah auf Cress hinab. Blut klebte in seinem Haar, doch es schien nicht sein Eigenes zu sein.

„Schnell", er beugte sich zu ihr herunter, „Bevor sie uns bemerken."

Selbst als Julians Feuer den Platz vor dem Amphitheater erhellt hatte, hatte sie Gabriel Walsh nicht so angsterfüllt gesehen. Er trug sie die paar Meter zum Fluss hinunter, rannte und sprang über Körper wie über lästige Baumwurzeln. Als Hufe über den Asphalt klapperten, duckten sie sich ächzend hinter eine Mauer, bevor Walsh ein Gitter im Boden in die Höhe stemmte. Der Schacht war so schmal, dass Cress geradeso hindurch passte. Sie riss sich beim Klettern die Ellenbogen auf und landete letztendlich unelegant in einem Tunnel unter den Straßen.

Walsh hatte sich mit einer Hand hinunter gehangelt, weil er die andere brauchte, um zu verhindern, dass sie abstürzte. Am unteren Ende der Leiter wartete der letzte Mensch, von dem Cress gedacht hatte, dass er das Massaker überleben würde – Achill Valeria. Alle Farbe wich aus dem Gesicht des Valeria Erben, als er Cress sah. Sie sah an sich hinunter und wischte sich ungeduldig die blutigen Hände an der Tunika ab. Achill öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen.

„Nicht so schlimm wie es aussieht", ächzte Cress, „Ich werde es überleben."

Sie duckten sich in einen weiteren Tunnel, während der blonde Valeria die Diebin immer noch fassungslos anstarrte. Walsh riss einen Streifen Stoff von seiner Tunika und band ihn sich um seinen blutenden Arm. Anscheinend war es doch nicht alles das Blut von Dominiques Soldaten.

„Du hast mich gerettet", sagte der Valeria, „Du hast mich gerettet."

„Wir wissen beide, dass ich momentan nicht besonders leicht umzubringen bin", stöhnte sie, während der Tänzer auch ihre Wunde notdürftig bandagierte.

„Was soll das heißen? Meiner Ansicht nach stirbst du gerade", Walsh zog seinen improvisierten Verband fest, was Cress beinahe in Ohmacht fallen ließ. Sie sah durch verschwitzte schwarze Strähnen zu ihm auf.

„Ich bin unsterblich."

Der Tänzer war keine Sekunde beeindruckt.

„Natürlich bist du das."

„Sie ist wirklich unsterblich", bestätigte Achill leise, „Zumindest momentan."

Der Tänzer zögerte, hob die Augenbrauen und schüttelte dann den Kopf.

„Es wäre ja nicht mein Leben, wenn ich nicht alle drei Meter in einen Halbgott hineinlaufen würde", knurrte er.

„Walsh, ich ...", setzte Cress an, doch er winkte ab.

„Alles nebensächlich. Bewegung jetzt", bellte Walsh, „Ich weiß, wie wir aus der Stadt kommen, aber wir haben nicht viel Zeit."

Immer noch pochte die Stelle an ihrem Oberschenkel, wo der Soldat sie begrabscht hatte. Seine Hände auf ihr ... sie hätte sich gerne übergeben vor Ekel. Der einzige Mensch, der sie so anfassen durfte, war Julian. Julian. Wo bei den Sternen war Julian?

„Julian", wimmerte sie, „Wir können nicht ohne ihn gehen."

Walsh packte sie am Hemd und zog sie so nahe zu sich, dass Cress einen verwirrten Moment lang dachte, er wolle sie küssen.

„Du blutest wie ein Schwein. Ob du unsterblich bist oder nicht, in ein paar Minuten bist du ohnmächtig und dann muss ich dich durch die Tunnel schleifen", sein Blick wurde sanfter, „Du kannst nichts für ihn tun. Nicht jetzt. Was du tun kannst und musst, ist dich selbst zu retten. Kapiert?"

Er ließ sie los und sie wäre beinahe zusammengesackt.

„Ich hasse dich so sehr", ächzte Cress.

„Kannst du gerne tun, solange du dich bewegst", gab er zurück.

Der Tänzer und der farblose Fürst nahmen beide einen von Cress Armen und zu dritt hinkten sie den Tunnel hinunter, während Dominiques Soldaten über ihnen in die Stadt einfielen. 

Smokehands (Skythief pt. 2)Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang