5 - Richter

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„Du weißt, dass der Junge sterben muss."

Hades wandte sich Persephone zu. Ihr weißer Kragen strahlte in der Düsternis zwischen den alten Bäumen. Leise glühende Schmetterlinge flatterten durch die Düsternis des Lichterwaldes, reflektierten sich in der Halbmondbrille der Richterin, wie trudelnde Sternschnuppen.

„Natürlich weiß ich, dass er sterben muss", erwiderte er, „Ich wünschte, es wäre anders."

„Das habe ich mir schon gedacht", sie wirkte müde, nicht bereit, mit ihm zu diskutieren, „Du warst einmal genau wie er."

Er runzelte verstimmt die Stirn.

„Ein junger, mutiger Idealist, der noch an Gerechtigkeit glaubt."

Sie sah kopfschüttelnd zu ihren Advokaten hinüber, die sich im Moment normalerweise anschreien würden, um über das Schicksal des Angeklagten zu entscheiden.

Heute war es still auf Justizias Platz. Die kältesten Rechtsvertreter der Stadt schrieben Protokolle, unterhielten sich leise oder korrigierten die Arbeiten ihrer Studenten. Die Stimmung unter den Juristen war gedrückt. Verständlich, wenn das Urteil, dass sie sprechen würden, von vorneherein festgestanden hatte. Egal, was sie sich selbst und der Welt auch weißmachten.

Persephone war die leitende Hand hinter diesem Prozess. Dass sie hier stehen und sich mit Hades unterhalten konnte, war nur möglich, weil die Verhandlung mit ihren Advokaten nicht einmal zehn Minuten gedauert hatte.

Denn wie auch immer sie sich entscheiden würden, es war unwichtig.

Letztendlich würde man hier unter der Wage der alten Göttin, zu keinem Entschluss kommen. Es gab zu wenige unbelastete Zeugen, um sauber zu arbeiten. Keine, um genau zu sein.

Sie ließ den Blick schweifen, niedergeschlagen und erschöpft.

„Du weißt, dass es keinen Ausweg gibt", erinnerte sie ihn streng, „Selbst, wenn wir für ihn stimmen. Dann werden sie ihr Veto geltend machen. Und obendrein werden wir – und vor allem deine Familie – unsere Glaubwürdigkeit verlieren. Wenn sich die Callera auch noch von uns abwenden, wird deine Position irreversibel geschädigt. Wir haben schon jetzt viel zu wenige Unterstützer."

Er seufzte. „Ich weiß, meine Liebe, ich weiß. Aber ich würde ihn nicht hinrichten, wenn ich die Wahl hätte."

Sie hob die Augenbrauen, ein Gesichtsausdruck, der die Verteidigung in den Wahnsinn getrieben hatte, als sie noch selbst Advokatin war.

„Obwohl er Blau ist?"

„Er ist nicht nur blau, er ist ein Prinz. Der Kronprinz der letzten Stadt."

„Verbessere mich nicht, Hades."

Er warf ihr einen Blick zu, der schon fast als amüsiert gelten konnte.

„Der Junge hat Feuer, Persephone. Nicht dasselbe Feuer, wie Aeneas. Er ist nicht geschaffen worden für Schlachtfelder. Sondern für die Schlachtreden davor. Reden, die Männer mit Begeisterung in ihren eigenen Tod rennen lassen werden."

Sie hatte den Blick auf das Gras unter ihren Füßen gesenkt.

„Wäre er doch für die Schlachtfelder geschaffen worden."

Stille legte sich über den Platz. Sie wussten, dass sie ihn nicht bemitleiden sollten. Und doch kamen sie nicht umhin, die Wehrlosigkeit zu bedauern, mit der ein einziger Mann der Meinung des Volkes gegenüberstand. Hades seufzte noch einmal, diesmal noch tiefer.

„Ich sage dir, sein Tod ist Verschwendung."

„Nicht, wenn die Bürger dadurch zufriedengestellt werden."

„Und wir verlieren auch hier potentielle Verbündete."

„Ach ja?", fragte sie, „Welche der Familien plädiert für den Prinzen?"

Hades schnippte einen der Schmetterlinge von seinem Ärmel.

„Keine einzige."

„Du meinst sie?"

Er nickte.

„Wir wissen nicht, ob sie je wieder richtig gesund wird."

„Sie hat es nach zwei Wochen schon geschafft, meinem Sohn fast die Kehle durchzuschneiden."

Sie verzog den Mund: „Zum Glück hast du mehr als einen Sohn. Und zum Glück sind die anderen ihr nicht so restlos ausgeliefert. Stationiere Aeneas bei ihr, wenn du dir Sorgen machst. Er hat sie unter Kontrolle."

„Ich würde mich wohler fühlen, wenn sie nie von unserem Zuhause erfahren hätte."

Persephone schüttelte langsam den Kopf. „Es wäre so viel angenehmer, wenn wir sie hinrichten müssten und nicht ihn. Es wäre gerecht, sie hinzurichten."

„Aber so soll es anscheinend nicht sein."

Selbst hier konnten sie sie hören. Noch war es ein fernes Gewitter.
Aber der Donner schien schon bedrohlich nahe. 

Smokehands (Skythief pt. 2)Where stories live. Discover now