8 - Spion

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Sie hatten nichts in dem Zimmer gelassen, was man als Waffe verwenden konnte.
Keine Klingen, Scheren, keine Krüge, die sie zerbrechen konnte.
Die Kerzenständer waren schmiedeeisern und so schwer, dass Cress es nicht schaffte, sie zu heben. Die Kerzen selbst hatte noch nie jemand für sie angezündet.
Vielleicht hatten sie Angst, dass sie irgendetwas in Brand stecken würde, um in dem folgenden Chaos zu entkommen.
Diese Angst war nicht unberechtigt.

Als man sie hier eingesperrt hatte, hatte sie eine solche Panikattacke bekommen, dass sie kaum noch Luft bekommen hatte.
Noch nie hatte man sie so lange eingesperrt.
Sie hatte Kissen zerrissen, die Bilder an der Wand angeschrien und gehungert, bis man sie zum Essen gezwungen hatte. Zu dritt waren sie gewesen, alle in voller Rüstung.

Hades war intelligent.
Er hatte sie so sorgfältig eingekerkert, dass sie kurz davor war, zu verzweifeln.

Cress Cye saß in der Ecke des ausladenden Apartments, in dem man sie gefangen hielt und starrte durch die unverglasten Torbögen, die hinaus auf den Balkon führten, auf die Minarette der farblosen Stadt hinaus. Spiegelscherben lagen um sie herum, ein umgekehrter Bronzerahmen zu ihren Füßen.
Das Glas war in so viele winzige Teile zersprungen, dass sie keines davon gebrauchen konnte.

Sie wusste nicht, wie spät es war, weil es hier unten keine Sonne gab.
Nur dieses seltsame Zwielicht, das von den einzelnen, hell erleuchtete Plätzen, Fenstern und Booten heraufstrahlte und die Konturen der Möbel nachfuhr, wie ein Liebender das Gesicht seines Geliebten.
Sie befand sich hundert Meter über den Dächern, eingesperrt und aufs Schärfste bewacht.
Dreimal hatte sie versucht, zu entkommen.
Dreimal hatte man sie geschnappt, bevor sie zehn Meter weit laufen konnte und sie an einem anderen Ort eingesperrt, sodass sie die Orientierung völlig verloren hatte. Das Donnern eines Wasserfalls ließ ihre Zähne Tag und Nacht vibrieren. Man hatte ihr Wachs gebracht, damit sie es sich in die Ohren kleben und trotz des Lärms schlafen konnte.
Aber es war nicht das Wasser, das sie wach gehalten hatte.

Aeneas hatte ihr fast den Arm gebrochen, als er seinen Bruder vor ihr gerettet hatte. Es war pure, brutale Stärke gewesen, die Sam oder Orpheus, wie sie ihn nannten, gerettet hatte. Sie konnte die Gewalt des ältesten Valeria Bruders immer noch in ihren Knochen spüren.
Ihre Gedanken huschten in der Dunkelheit hin und her wie Gespenster.

Sie würden Julian umbringen.
Wenn sie das nicht schon längst getan hatten.
Der einzige Mensch in dieser Stadt, der das verhindern wollte, war sie. Doch sie kauerte nur in einer Ecke, weil sie in dem viel zu großen Bett nicht schlafen konnte, hatte den Kopf in die Hände gestützt und wusste nicht, was sie tun sollte.

Sie hatte mit allem gekämpft, was sie hatte. Es war nicht genug gewesen. Denn sie war ein Wrack, völlig am Ende, obwohl sie es sich nicht eingestehen wollte.
Als es klopfte und die Wachen die schwere Tür aufsperrten, leuchtete kurz und blutrot der dreiköpfige Höllenhund auf der Brust des Wachpostens auf, das Wappen des Mannes, der sich Hades nannte.

Als die Tür ins Schloss gefallen war, schlug der Neuankömmling seine Kapuze zurück und Cress fror mitten in der Bewegung ein, die viel zu kleine Glasscherbe immer noch hinter ihrem Rücken verborgen.
Was machte er denn hier?

„Täubchen", grüßte Walsh, seufzte laut und zog eine Weinflasche unter dem Umhang hervor, „Sieht so aus, als hätten wir eine Menge zu besprechen."

Cress konnte es nicht fassen.
Sie schloss die Finger so fest um die Scherbe, dass sie sich schnitt.

„Du auch?", zischte sie, während der Tänzer die Weinflasche abstellte und zwei Gläser aus seinem Umhang hervorzauberte.

„Was genau meinst du?", fragte er und hatte dabei die Nerven, ihr den Rücken zuzuwenden.
Cress spielte mit dem Gedanken, ihn als Geisel zu nehmen, entschied sich dafür und straffte sich.
Doch genau in diesem Moment schlug Walsh unbeteiligt seinen Umhang zurück, um den Korken aus der Flasche zu ziehen. Ein Dolch, der so lange war, wie Cress Oberschenkel, kam zum Vorschein.

Smokehands (Skythief pt. 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt