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Sie lag auf dem Bauch und ihre bleiche Haut hob sich kaum vom Sand ab, sodass ich zuerst dachte, es wäre einfach nur ein Sandhügel. Doch dann bewegte der Wind ihre Haare und es wirkte fast so, als würde sie mir dadurch zuwinken. Auch wenn es völlig irrational und unlogisch war. Erst jetzt erkannte ich zwei paar Beine, die ausgestreckt auf dem nassen Sand lagen, die Arme hatte sie angewinkelt über ihrem Kopf. Ich rannte auf sie zu. "Hallo?! Können Sie mich hören?" Natürlich antwortet sie nicht. Ich wusste, dass ich mit dem was ich jetzt tat, vielleicht Spuren verwischen konnte. Trotzdem siegte schließlich meine Neugierde und ich drehte sie auf den Rücken. Ich taumelte zurück, als ich ihre Augen sah. Sie waren tiefblau mit hell grünen Schlieren. In ihnen lag ein Ausdruck unbeschreiblicher Lust, die Lippen hatte sie leicht geöffnet und ich sah, wie kleine Wasserrinnsale aus ihrem Mundwinkel liefen. "Scheiße" flüsterte ich lautlos. Dann rief ich die Polizei.

Der Strand wimmelte nur so von Männern und Frauen in dunkelblauen Uniformen, die alles weiträumig absperrten und versuchten die wenigen Schaulustigen in Schach zu halten. Ein Polizist mittleren Alters kam auf mich zu. Ohne eine Begrüßung oder zu sagen wer er war, ratterte er die Standartfragen hinunter. Bei der Frage ob mir irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen war dachte ich kurz an die merkwürdige Augenfarbe, war aber dann der Meinung, dass die Polizei auch noch was zu tun brauchte und verschwieg die merkwürdige Augenfarbe. Davon, dass ich die Leiche bewegt hatte sagte ich nichts. Schließlich hatte mich das der unfreundliche Polizist auch nicht gefragt. Danach verfrachtete er mich zu seiner Kollegin ins Auto, damit ich auf der winzigen Polizeistation das Protokoll unterschreiben konnte. Ich fragte mich wirklich woher die ganzen Polizisten kamen. Der letzte Tote, der hier nicht eines natürlichen Todes gestorben war, war eine ältere Witwe gewesen. Wobei sich der vermeintliche Mord schlussendlich doch als Unfall entpuppte. Aber dass das hier auf jeden Fall kein Unfall war erkannte ich auch ohne Polizeiausbildung.

Mir gingen ihre Augen nicht mehr aus dem Kopf. Blau mit hellgrünen Schlieren. Es sah gruselig aus, unnatürlich. Nach dem ich die Polizeistation verlassen hatte, lief ich nach Hause. Ich lief absichtlich einen Umweg über den Strand, da ich keine Lust hatte meiner Großmutter sofort alles haarklein zu berichten. Die Insel war klein, da sprach sich eine Tote am Strand und die Finderin (also ich) schnell herum. Die Wellen peitschten an die steilen Felswände und ich musste aufpassen nicht von der nächsten Welle ins Meer gerissen zu werden. Trotzdem erreichte die Gischt mich und ich war auf halbem Weg schon total durchnässt. "Das war wirklich eine Schnapsidee" grummelte ich. "Bei dem Wind und dem Seegang über den Strand zu laufen. Wahrscheinlich wird man mich morgen genauso Tod auffinden, wie ich die junge Frau." Ich schauderte. Erst jetzt viel mir auf, dass die junge Frau keine Kleidung anhatte. Im Sommer hätte mich das nicht gewundert. FKK-Urlaub und Nacktbaden gehörte hier inzwischen schon zum normalen Strandbild. Aber jetzt war es Herbst und das Wasser hatte allerhöchstens 10 C°. Wenn überhaupt. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie keine Einheimische war. Wenn man sein ganzes Leben auf dieser winzigen Insel verbrachte, kannte man hier irgendwann jeden Einwohner. Die nächsten salzigen Tropfen der Gischt spritzten mir ins Gesicht. Inzwischen klebten meine Haare Salz verkrustet an meinem Kopf und meine Augen brannten vom Salz an meinen Wimpern. Ich blieb stehen und blickte aufs Meer. Es tobte, als würde sich in der Tiefe ein Sturm zusammenbrauen. So langsam aber sicher wurde mir doch ein bisschen mulmig. Ich wandte meinen Blick vom tobenden Wasser ab und lief mit schnellen Schritten über den Strand in Richtung Promenade. Die Geschäfte hatten geschlossen. Die Touristen-Saison war seit fast zwei Monaten vorbei. So unbelebt wirkte die Promenade trist und leblos. Im Sommer tummelten sich hier die Touristen in den kleinen Cafés mit Blick aufs Meer. Jetzt peitschte der Wind über die Markisen der Cafés und riss sie beinahe mit sich. Diesmal blickte ich nicht noch einmal zurück, sondern rannte schon beinahe nach Hause.

Ich brauchte drei Anläufe, bis ich endlich den Schlüssel ins Schloss gesteckt und die Haustüre aufgeschlossen hatte. Um meine Füße sammelten sich Pfützen, da es kurz vor dem kleinen Haus meiner Oma, auch noch angefangen hatte wie aus Kübeln zu schütten. Bibbernd hängte ich meine Jack in den Heizungsraum und stellte meine durchgeweichten Schuhe an die Heizung. Wenn ich Pech hatte konnte ich die wegschmeißen. "Kind! Du bist ja klitschnass! Bist du nach Hause geschwommen?" Omi kam aus der Küche gerannt. "Wie man's nimmt" Trotz der Kälte musste ich Grinsen. "Bin am Strand gelaufen und dann hat es kurz vor der Haustüre auch noch angefangen zu schütten." Omi schüttelte nur den Kopf. "Zieh erst mal die nassen Sachen aus, sonst holst du dir noch den Tod und dann geh Duschen." Energisch schob die kleine Frau mich zu der uralten Treppe, die nach oben in den ersten Stock führte. Im Badezimmer schälte ich mich aus meinen nassen Klamotten, die wie eine zweite Haut an mir klebten und stellte mich unter die Dusche. Das heiße Wasser, das über meinen Körper prasselte tat mir gut und taute meine eingefrorenen Glieder wieder auf. Ich schäumte meine Haare und meinen Körper großzügig ein. Nach dem ich den Schaum abgeduscht hatte und abgetrocknet war, wickelte ich mich in meinen kuschelig weichen Bademantel und tapste in mein kleines, aber gemütliches Zimmer. Hier war gerade so Platz für ein Doppelbett, einen kleinen Schrank und meinen Schreibtisch. Aber ich hatte Blick auf das Meer, das tosend über die rauen Steinklippen schoss. Der Himmel am Horizont war gelblich. Ich hatte schon des Öfteren Herbststürme erlebt, aber das was sich da draußen abspielte, hatte ich noch nie gesehen. Immer wieder peitschte eine weitere Windböe den Regen prasselnd gegen die Fensterscheibe. Schließlich trat ich vom Fenster weg, föhnte meine roten Locken und schlüpfte danach in meinen Kuschelpulli und Leggins.

Aus der Küche hörte ich bereits meine Oma werkeln und der Geruch nach Apfelpfannkuchen schlug mir entgegen. "Jetzt siehst du wenigstens nicht mehr ganz so erfroren aus." Omi nickte zufrieden und verfrachtete den letzten Pfannkuchen auf dem Teller. Dann stellte sie die Pfanne vom Herd und stellte den Berg Apfelpfannkuchen vor mir auf den Tisch. "Für innere Wärme" meinte sie zwinkernd. Ich kicherte, wurde dann aber sehr schnell wieder ernst. "Ich habe heute Mittag am Strand eine Leiche gefunden." Ich wusste nicht, warum ich das ausgerechnet jetzt sagte und ich wusste auch nicht, warum mir das so locker über die Zunge kam. Aber irgendetwas sagte mir, dass ich es meiner Großmutter erzählen musste. Sie schwieg und für einen kurzen Moment bekam ich Panik, ich hätte sie durch diese Aussage zu sehr erschrocken. Doch dann hörte ich sie flüstern: "Das letzte Mal war vor 20 Jahren." Etwas verdutz schaute ich sie an. "Was war vor 20 Jahren?" hackte ich nach. Omi seufzte. "Dass man tote junge Frauen und Mädchen am Strand fand. Immer am Strand auf Höhe vom Meer und fast immer nackt. Und mit..." "...mit dunkelblauen Augen mit grünen Schlieren." Beendete ich den Satz und schauderte. Wieder senkte sich schweigen über den Tisch. So richtig Appetit hatte ich jetzt nicht mehr. Irgendetwas sagte mir, dass meine Großmutter mehr darüber wusste, als sie sagen wollte. Immerhin lebte ich hier bei ihr, seit ich ein Baby war. Meine Eltern hatten sich aus dem Staub gemacht und bei Oma abgesetzt. Seitdem war sie meine Familie.

Nach dem Essen half ich ihr den Tisch abzudecken und das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine zu packen. Über die Tote, die ich am Strand gefunden hatte, sprachen wir nicht mehr. Ich verzog mich auch relativ schnell wieder in mein Zimmer und schmiss mich auf mein Bett. Der Wind hatte sich gelegt und als ich einen Blick aus dem Fenster warf, lag das Meer ruhig und glatt wie ein Spiegel da. Es war fast schon unheimlich. Nur der Regen hatte noch nicht nachgelassen. Schließlich fischte ich mein Handy aus meiner Tasche, das zum Glück keinen Wasserschaden hatte. Ein neues konnte ich mir auf keinen Fall leisten. Ich stöpselte meine Kopfhörer rein und scrollte meine Playlist hinunter. Schließlich blieb ich bei London Grammer hängen und döst ein bisschen vor mich hin.

Es war die Stille, die mich weckte. Mein Handy war aus und meine Kopfhörer hatten sich in meinen Haaren verheddert. Verschlafen rieb ich mir die Augen. Irgendetwas war merkwürdig. Mein Handy schaltete sich nicht von alleine aus und normalerweise ließ es sich auch problemlos wieder einschalten. Aber als ich den Knopf drückte, tat sich gar nichts. "Na super" stöhnte ich. "Also doch der Wasserschaden." Jetzt bemerkte ich auch, was mich geweckt hatte. Es war viel zu hell. Scheinbar hatten wir Vollmond und ich hatte vergessen meine Vorhänge zu schließen. Mit einem kleinen Seufzer schwang ich die Beine aus dem Bett und tappte hinüber zum Fenster. Gerade als ich den Vorhang schließen wollte, stach mir etwas am Horizont ins Auge. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte die Schemen genauer zu erkennen. Es sah aus wie...Köpfe, die auf dem Meer trieben und eine Gestalt, die sich langsam in Richtung Wasser begab. Ich musste blinzeln und als ich die Augen wieder aufmache, waren die Schemen verschwunden. "Klarer Fall von Schlafmangel" diagnostiziere ich und ging zurück zum Bett. Dort kuschelte ich mich in die Decke und schlief sofort ein. Das Letzte was ich hörte bevor mich der Schlaf holte, war wunderschöner, gedämpfter Gesang.

Siren CallWhere stories live. Discover now