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Ich saß da, wie erstarrt. "Es tut mir leid, Alina. Ich hätte es dir viel früher sagen sollen. Aber ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht und als du alte genug warst, wusste ich nicht wie ich dir sagen soll, dass du nie deine Eltern besuchen werden kannst." Die Augen meiner Oma waren glasig und eine erste Träne löste sich aus ihren Augenwinkeln. Energisch wischte sie sie weg. Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. Da war...nichts. Eigentlich hätte ich Schmerz verspüren müssen, vielleicht sogar Verrat. Aber da war nichts, rein gar nichts. Nur eine Frage schwebte durch meinen Kopf: "Wie?" fragte ich schließlich. Oma schluckte und Celia drückte ihre Hand. "Ich glaube, es ist am besten, wenn sie die ganze Geschichte erfährt, Maria." Celia sah meine Großmutter ernst an. "Sie hat ein Recht darauf es zu erfahren." Fahrig fuhr sich Oma über das Gesicht. "Vielleicht hast du Recht" und zu mir gewandt meinte sie "Ich bin kurz nach dem Tod deines Großvaters mit deiner Mutter auf die Insel gezogen. Sie war damals 17 und verkraftete den Verlust ihres Vaters nur sehr schwer. Ich dachte, wir könnten hier ein neues Leben anfangen ohne dass sie oder ich an den Vater und geliebten Ehemann erinnert werden." Nun flossen die Tränen aus den Augen meine Großmutter unaufhörlich. "Alles schien gut zu sein, ich fand einen neuen Job und Emilia, deine Mutter, lebte sich auch gut ein. Sie fand neue Freunde und soweit ich das als Mutter beurteilen konnte fühlte sie sich wohl." Oma schniefte so herzzerreißend, dass mir selber die Tränen in die Augen stiegen. Ich hatte meine Omi noch nie so aufgelöst gesehen. Sie war immer die Starke von uns beiden, mein Fels in der Brandung. "Und dann lernte sie IHN kennen. Er hieß Valentin und deine Mutter verliebte sich Hals über Kopf in ihn. Ich war glücklich, dass sie glücklich war." Ihre Stimme hörte sich jetzt seltsam an. So, als hätte sie damals einen Fehler gemacht. "Aber ich habe gemerkt, dass etwas mit Valentin nicht stimmt. Ich wollte meiner Tochter nur die erste Liebe nicht kaputt machen." Oma holte tief Luft und spielte mit dem Ring an ihrem Finger. "Und dann verschwand Valentin eines Tages, lies Emilia völlig verstört und aufgelöst zurück." Ich warf einen verstohlenen Seitenblick zu Kiran, der die ganze Zeit schweigen in der Ecke am Fenster lehnte. Er erwiderte meinen Blick. In seinen Augen stand Bedauern. Ich löste meinen Blick von ihm und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf meine Großmutter. Diese schniefte noch einmal und sagte dann: "Deine Mutter war schwanger. Mit dir. Nächtelang heulte sie sich die Augen aus dem Kopf, ich konnte sie nur mit Mühe vor einer Abtreibung abbringen. Mir kam das damals einfach nicht richtig vor." Ein Schauer rann über meinen Rücken und eine kleine Träne löste sich aus meinen Augen. Meine Mutter hatte mich nicht gewollte. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Fausthieb. Oma fuhr fort. "Im Lauf ihrer Schwangerschaft fing sie an das kleine Wesen, das in ihr wuchs zu vergöttern, Alina. Sie achtete penibel auf ihre Ernährung, auf ihre Gesundheit. Sie wollten dich, Engel. Bitte denke nicht daran, dass sie dich nicht geliebt haben." Ich holte schon Luft, um zu fragen wer mit "Sie" gemeint waren, aber meine Oma lies mir keine Zeit zu Fragen. "Kurz nach deiner Geburt stand dann Valentin wieder vor der Tür. Du kannst dir ja vorstellen was los war. Ich hätte ihn am liebsten mit dem Nudelholz verdroschen und bei deiner Mutter...bei der kamen die alten Gefühle wieder hoch. Er wickelte sie wieder um seinen Finger, erzählte ihr, dass er euch beide nur verlassen hatte um euch zu schützen." Meine Oma lachte bitter auf, was aber sehr schnell in ein erneutes Schluchzen überging. "Er hat ihr versprochen bei ihr zu bleiben und sich auch um dich zu kümmern, schließlich wärst du ja auch seine Tochter. Es war das perfekte Happy End. Bis schließlich eines Nachts zwei Männer vor der Tür standen, sich an mir vorbeidrängten und deine Mutter und deinen Vater mitnahmen. Deine Mutter konnte dich gerade noch verstecken." Die Tränen rannten jetzt über mein Gesicht und ich versuchte erst gar nicht den Tränenfluss zu stoppen. "Nach zwei Wochen fand man dann deine Eltern am Strand. Ich möchte dir Details ersparen, Liebling. Ich habe mir damals geschworen, dass du niemals deine wahre Herkunft erfahren sollst. Und das wird auch so bleiben" Entschlossen sah sie mich an. Ich starrte sie an. Ganz langsam kochte die Wut in mir hoch. "Nele wurde am Strand ermordete von irgendwelchen Wassermonstern, ich hätte beinahe meine Beine verloren, weil sie mich gebissen haben und du willst mir nicht erzählen was ich bin." Mit jedem Satz war ich lauter geworden. "Schatz, bitte, hör mir zu..." "Ich denke nicht dran, Maria." Ich zuckte bei dem Schmerz, den ich ihn ihren Augen sah, kurz zusammen. Doch ich wollte nicht nachgeben. "Ich verstehe, dass du mich in dem Glauben hast Aufwachens lassen, dass meine Eltern noch leben, ich sie irgendwann besuchen kann und ich verstehe auch, dass du mir die ganze Geschichte erst jetzt erzählst. Aber ich verstehe nicht warum du immer noch zu stur bist und mir nicht erzählen willst was ich bin." Meine Stimme überschlug sich und wurde unangenehm schrill. "Das Gerede von wegen du willst mich nur beschützen kannst du dir sparen, denn selbst wenn ich nicht weiß was ich bin oder was mein Erbe ist, SIE wissen es und ich bin mir sicher, dass SIE meine Unwissenheit als Vorteil für sich sehen. Also, kannst du dir ja schon mal eine Grabstein für mich Aussuchen, wenn ich genauso Ende wie Nele." Jetzt brüllte ich und dann spürte ich einen scharfen Schmerz an meiner Wange. Fassungslos starrte ich meine Großmutter an und hielt zaghaft meine Hand an die brennende Stelle. "Alina, Schatz, das tut mir leid. Da...das wollte ich nicht." Sie war vollkommen aufgelöst und die eben gestillten Tränen liefen wieder über ihre Wange. Ich machte Wortlos auf dem Absatz kehrt und stürmte die Treppe nach oben. Dort zerrte ich meinen Koffer unter dem Bett hervor, ignorierte das Klopfen an meiner Türe. "Alina, bitte mach auf. Ich werde es dir erklären, irgendwann, aber jetzt ist es noch zu früh..." "Zu FRÜH?! Nele ist tot! Verdammt, ich könnte tot sein! Was muss den noch passieren." Schrie ich hysterisch. Wieder rannten Tränen über meine Wange und ich pfefferte wütend meine wenigen Klamotten, die im Zimmer verstreut lagen in den Koffer. Von der Tür her hörte ich ein lautes Schluchzen und mein Herz zog sich zusammen. Vielleicht war meine Reaktion übertrieben, aber ich wollte endlich die Wahrheit. Die ganze Wahrheit. Nach einem letzten Blick, ob ich auch nichts vergessen hatte, öffnete ich die Türe, ignorierte meine Oma, die mich mit schmerzerfüllten Blick ansah. "Ich ruf dich an, wenn ich heil zu Hause angekommen bin." Sagte ich kalt und schleppte meinen Koffer nach unten in den Flur. Dort erwartete mich Celia. Ihre sonst so strahlenden blauen Augen waren stumpf und voller Kummer. "Alina, bist du dir sicher, dass du nicht überreagierst? Versetzt dich doch mal in die Lage deiner Großmutter. Sie hat schon ihre Tochter verloren, da möchte sie nicht auch noch ihr Enkelkind verlieren." Bittend sah sie mich an. "Wenn sie mir nicht bald die Wahrheit sagt, dann wird sie mich verlieren" sagte ich nur. Dann zog ich mir die Schuhe an, nahm meine Jacke von der Garderobe und verließ Celias Haus. Mein Ziel war der Hafen. Ich musste hier weg.

Der Weg zum Hafen war nicht weit und somit blieb mir auch keine Zeit zum Nachdenken. Alles rauschte an mir vorbei. Ich war auf Autopilot und kam erst wieder zu mir, als mir die kühle Gischt ins Gesicht spritzte. Ich sah den Wellen zu, wie sie sich am Buck der kleinen Fähre brachen und mir dabei Salzwasser ins Gesicht spritzten. Ich zuckte zusammen, als sich plötzlich ein junger Mann neben mir an die Rehling stellte. Er kam mir wage bekannt vor. Dieses Gesicht und die karamellfarbenen Locken. Ich durchforstete mein schmerzendes Hirn und dann hatte ich seinen Namen wieder: Colin. "Hattest du einen schönen Aufenthalt auf dem Festland?" Colin wandte sein Gesicht mir zu und sah mich fragend an. Ich zuckte die Achseln, da ich keine Lust hatte mit jemanden über meine Probleme zu reden. "Wie man es nimmer" antwortete ich nichts sagend. Er sah mich skeptisch an. "Wenn du reden willst..." "Ich will nicht reden" fuhr ich ihn an, schärfer, als beabsichtig. Colin hob beschwichtigend die Hände "Hey, alles gut. War nur eine einfache Frage" "Sorry" sagte ich zerknirscht. Er lächelte "Keine Problem, ich bin nicht so schnell beleidigt, ich kann einiges ab." Er grinste mich schief an und unwillkürlich musste ich zurück Grinsen. Wieder fiel mir auf, wie ähnlich er Kiran war, obwohl Colin ein komplett anderer Typ war, als Koran. „Du erinnerst mich an jemanden" sagte ich, ohne Nachzudenken. „Ich weiß" sagte er schlicht. „Wir sehen uns, Alina." Er gab mir keine Zeit zu antworten, denn er hatte sich bereits auf dem Absatz umgedreht und sich auf den Weg zum Buck gemacht.

Siren CallWhere stories live. Discover now