Epilog

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Gleißende Flammen züngelten die Wände nach oben, fraßen sich durch den Beton und nahmen von Sekunde zu Sekunde mehr Raum in Beschlag. Das Feuer wuchs vor seinen Augen, loderte, es knisterte und der Rauch nahm ihm die Sicht. Alexander hielt seine kleine Schwester fest umschlungen und er zitterte trotz der Hitze. Nina weinte. Es war ein Weinen, das ihn normalerweise genervt hätte. Eigentlich fand er seine Schwester doof. Sie konnte nur quängeln und essen und noch nicht mal richtig sprechen mit ihren fünf Jahren und trotzdem knuddelten sie alle und beachteten ihn gar nicht mehr. Ihn schimpften sie nur aus, wenn es in der Schule mal wieder einen Eintrag setzte, wenn er allein zu Freunden ging oder wenn er den brutalen Nachbarshund ärgerte. Aber das spielte jetzt keine Rolle.

Denn sein Zittern war die pure Angst. 

Alex hatte eigentlich keine Angst. Weder vor seinem Vater, der manchmal rumschrie und ihn schlug, weder vor den Oberstufenjungs, die besonders gemein waren, noch vor fremden Leuten. Er kannte so was wie Angst nicht. Angst war für Versager und Feiglinge. Aber jetzt war das etwas anderes.

Nina wimmerte wieder und er hielt ihr den Mund zu, während er sie langsam nach hinten zerrte. Vielleicht war das ein Alptraum? Nein. Das Zimmer wurde unheilvoll erleuchtet von lodernden, gleißenden Flammen, die die Möbel in seltsame schwarze Gegenstände verwandelten. Das Feuer war so verdammt laut, es knisterte, Balken knackten und die Flammen loderten erbarmungslos. Die Hitze war schrecklich drückend und bedrohlich und die schwere, stickige Luft schnürte ihm die Luft ab.

Nein. Das war kein Traum. Die Wohnung verbrannte gerade vor seinen Augen, und das Feuer kam aus dem Elternschlafzimmer. Wo waren denn seine Mutter und sein Vater, um ihn und Nina zu retten? Warum unternahm niemand etwas?

Ein paar Flammen schlugen nach ihm, während Nina wimmerte und er sie weiter nach hinten trug, weg von der Flammenhölle. Wie konnte er nur gleichzeitig schwitzen und mit den Zähnen klappern? Die Lampe krackte von der Decke und weitere Funken blitzten durch die Gegend, während Alex langsam aber sicher die Erschöpfung übermannte. Bevor er in eine Art Schlaf verschwand, hielt er Nina noch die Nase zu, damit sie die Luft nicht einatmete. Er sackte schließlich zusammen, während er noch entfernt die Sirenen der Feuerwehr wahrnahm. Und Ninas verzweifelten Schrei.

  

Schreiend schlug Alex seine Augen auf. Er schnellte schweißüberströmt in seinem Bett nach oben und sprang auf, um sich zitternd umzuschauen. Es dauerte ein paar Sekunden, bevor er erkannte, dass kein Feuer in der Nähe war. Nein, er hatte nur geträumt.

Mal wieder. Diese Alpträume brachten ihn noch um! Immerhin waren sie seltener geworden. Wenigstens hatte er ein Einzelzimmer im Heim und niemand würde ihn dafür fertigmachen, dass ihn wieder mal der Traum über die Nacht, in der er seine Eltern verlor und selbst fast gestorben wäre, durchleben musste. Niemand wusste davon, dass er diese Alpträume hatte. Er wäre eher freiwillig nackt durch die Stadt gelaufen, als jemandem zu verraten, dass er traumatisiert war. Nein, sich einem Betreuer anzuvertrauen, das war keine Option. Stattdessen raste Alex zu seiner geheimen Bodenluke, um sie zitternd und schwer atmend nach oben zu kippen. Er war jetzt 16 und konnte sich endlich in Clubs reinschmuggeln. Vor kurzem hatte er nach all den Jahren etwas gefunden, dass seine Angst vollständig verschwinden ließ. Klar, es hatte seinen Preis und seine Risiken, aber gleich, nachdem er seinen ersten Rausch erlebt hatte, wusste Alex, dass es das war, was er brauchte, um diese Nacht endlich zu vergessen.

Zitternd suchte er das Pulver und wartete, bis seine Finger stillhielten, um alles vorzubereiten. Wenn Nina wüsste, dass er kiffte, würde sie durchdrehen. Denn bald bekam Alex seine eigene Bude und wollte sich dafür einsetzen, dass er Ninas Sorgerecht bekam, und wenn jemand das mit den Drogen herausfand, würde man die Geschwister auseinanderreißen. Diese dummen Behörden stressten sowieso nur rum. Immerhin hatte er schon einige Verfahren am Hals. Doch Nina hatte ja keine Ahnung. Sie war nun mal viel zu klein gewesen in der Nacht. Sie musste nicht seit Jahren so tun, als wäre sie die Größte und nachts feststellen, dass es nicht stimmte. Seine Schwester liebte ihn und hielt ihn für einen Helden. Aber das war er nicht. Nur, wenn er sich das Pulver durch die Nase gezogen hatte, war er unbesiegbar. Und würde alles durchstehen können. Um seine kleine Schwester stolz zu machen. Denn sie war das wichtigste in seinem Leben.

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