(10) Wenn die Nächstenliebe in mein Ghetto kracht

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Eins musste man mir lassen: Noch so einen emotionalen Absturz, wie er damals auf die Hotelgeschichte folgte, hatte ich nach dem Rauswurf dann doch nicht. Naja, abgesehen von fünf Minuten, in denen ich heulen musste, was auch eine allergische Reaktion auf, ähm, Kündigungen gewesen sein konnte. Locker blieb ich erstens, weil ich sowieso nicht damit gerechnet hatte, den Job zu behalten, zweitens, weil ich das Ganze als Erfahrung abstempelte (jetzt war offiziell, dass nicht mal den dämlichsten Job erledigen konnte) und drittens, weil ich auf die geniale Idee gekommen war, meinen verhassten Nachbarn sämtliche Fernbedienungen zu klauen. Jetzt konnte ich immer, wenn mir danach war, ihre Musik runterdrehen, ihr Fernsehprogramm wechseln und das Licht an- und ausschalten – im Ernst, so viel Spaß hatte ich noch nie in meinem Leben! Das half mir sogar ein bisschen über den Verlust der 1000 Pfund hinweg. Die ich inzwischen fast durch Taschendiebstähle in der City wieder beisammen hatte. Außerdem konnte ich ausschlafen, meinen Hobbys nachgehen (das hieß hauptsächlich essen und die Nachbarn quälen) oder – wie heute – Partys schmeißen. Einen Vorteil hatte es schließlich, im Keller zu wohnen: Nebenan im Waschraum war genug Platz für einen feierwütigen Menschenmob. Und meine Nebenwohner, die den sonst beanspruchten, hatten genug mit ihrem „kaputten" elektrischen Geräten zu tun. Hüstel.

Also hatte ich alle eingeladen, die ich kannte... Anscheinend aber nur, um mir die Pseudoprobleme von Jane anhören zu müssen, während alle anderen Spaß hatten und tanzten. Tarzan wollte, wie ich mir jetzt schon seit drei Stunden anhören musste, Kinder haben und sie fühlte sich dafür zu jung, zu schön und allgemein nicht geeignet... Ich hatte schon interessantere Gespräche mit Wollpullis geführt. Gottseidank kam gerade mein Retter in Form von Carlo um die Ecke gebogen. Wir verstanden uns auch ohne Worte, auf einer Art tiefen emotionalen Ebene (vom Niveau her besonders tief), weshalb ich ihm nur einen flehenden Blick zuwerfen musste und er sich zu uns gesellte.

„Na, geht's um Frauenthemen? Torte, Typen, Tampons und so weiter?" Haha. Eigentlich redete ich mit Carlo als schwulem Freund genauso oft über Männer wie mit allen meinen Freundinnen, aber er hatte sich noch nicht öffentlich geoutet und ich wollte ihm diesen Job jetzt nicht abnehmen, indem ich widersprach. Das übernahm sowieso Jane. „Mann Carlooo, geh weg, wir haben hier ernste Pro-"

„Ja, sorry, ich brauche Nina mal für eine Sekunde. Du bekommst sie gleich zurück, vielleicht sogar unversehrt. Danke!" Und weg waren wir. Jane würde schon einen geeigneteren Kummerkasten finden.

„Danke Carl, du hast mir mal wieder mein Leben gerettet."

„Wir neigen also neuerdings zu Übertreibungen. Was ist überhaupt das da in deinem Gesicht?"

„Hm? Ach das." Hatte ich schon wieder vergessen. Zu Beginn der Party hatte ich mich um ganze 50 Pfund reicher gewettet, indem ich den kompletten Inhalt einer Zahnpastatube auf meinem Gesicht verteilt hatte. Dadurch roch ich jetzt angenehm nach Minze. Nur, dass die Pampe bröckelte, störte ein wenig. Aber abgesehen davon, dass mich alle angrinsten, war nichts anders. „Frag nicht." Ich bekam das Geld nur, wenn ich eine Stunde so rumlief, die war jedoch bald vorbei.

„Sag mal, wer hat eigentlich den da eingeladen?" fragte mich Carlo und zeigte auf einen umherirrenden, verstört wirkenden Mann. Ich schaute diesen entgeistert an, während er mit seinem Blick aus einiger Entfernung mein Gesicht streifte, mich aber unter der „Gesichtsmaske" nicht erkannte. Mitten in der Partymeute stolperte Paul Higgins herum! Ja, der Paul Higgins, der mich unehrenhaft entlassen und zum Teufel geschickt hatte. Oh Mist. Was in aller Welt hatte der hier verloren?

„Carlo, kneif mich bitte mal. - AU! HEILIGE SCHEIßE! Kneifen, nicht meinen Arm amputieren, du Arsch!" Dank meines Aufschreis hatte mich Mr Obersicherheitschef nun doch erkannt und bahnte sich seinen Weg, berufsbedingt verdammt schnell, zu mir hindurch. Zu schnell, als dass ich hätte fliehen können „Nina? Wir müssen uns mal unterhalten."

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