Kapitel 13

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Glücklicherweise war ich doch unauffälliger, als ich zuerst angenommen hatte, was nicht zuletzt daran lag, dass ich in meinem Stuhl so weit wie möglich nach unten gerutscht war.

Noch ein wenig weiter nach unten und du liegst auf dem Boden!“, beschwerte sich Dawn, aber ich ignorierte sie gekonnt. Mein Gesicht konnte ich zwar weniger gut verstecken, aber meine Haare gaben ihr bestes.

Nie wieder würde ich dieses Kleid tragen, wenn nötig müsste ich es eben verbrennen. Es gäbe zwar auch noch andere Methoden, aber mir war gerade danach, es anzukokeln.

Wie ich einen solchen Aufzug hasste, war nun sicherlich ersichtlich. Als ob es nicht schon genug Leute gäbe, die so herumliefen und denen ich nicht ähneln wollte. Um genauer zu sein wäre es mir am liebsten, erst gar nicht erst mit ihnen in Verbindung gebracht zu werden.

Mit der Zeit hatte ich gelernt, am besten in keinster Weise aufzufallen, oder wenigstens nicht den Mund aufzumachen. Alles was man sagte, konnte gegen einen verwendet werden, deshalb sollte man ihnen erst gar keine potenziell peinlichen Sachen erzählen. Meistens war ich wirklich gut drin, mich nicht zu blamieren, aber heute war mir das Glück anscheinend einfach nicht hold.

An der Tafel stand nämlich eine ziemlich einfache Gleichung, die ich mit Leichtigkeit hätte lösen können, aber leider wusste mein Lehrer das. „Da du ja sowieso total unterfordert bist Jamie, darfst du den Rest der Stunde mal Lehrer spielen.“

Zuerst versuchte ich so zu tun, als hätte ich ihn nicht gehört, aber als er die Kreide auf meinem Tisch ablegte, blieb mir kaum eine andere Wahl. Noch im Aufstehen zog ich den Saum meines Kleides soweit nach unten, wie möglich, achtete aber darauf, dass es oben nicht noch weiter runter rutschte.

Spätestens wenn ich meine Präsentation halten musste, würde ich ohnehin alleine dort vorne stehen. Widerwillig stand ich also auf, versucht sämtliche meiner Mitschüler zu ignorieren und drehte mich dann mit ausdruckslosem Gesicht um, als ich vorne ankam.

Unwohl ließ ich meinen Blick über die Reihen schweifen und verschränkte die Arme vor der Brust. War ja mal wieder typisch, dass ich ausgerechnet heute Lehrer spielen sollte! Wäre auch zu schön gewesen, es überhaupt nicht tun zu müssen. Viel mehr Pech konnte ich heute wirklich nicht mehr haben.

Wer kann die Gleichung lösen?“, fragte ich hoffnungsvoll, ansonsten müsste ich jetzt hier vorne noch anfangen, zu erklären. Dawn tat mir den riesen Gefallen und meldete sich, wenn auch ziemlich widerwillig.

Ich wusste genau, dass sie im Unterricht am liebsten unsichtbar bleiben wollte. Obwohl sie total mutig war und ein beneidenswertes Selbstbewusstsein hatte, mochte sie es aus einem mir unbekannten Grund nicht, vor der Klasse zu stehen. Vielleicht war sie ja doch verletzlicher, als sie es vorgab zu sein. Aber das war jetzt nicht meine größte Sorge, denn ich wollte es Dawn ersparen, nur wegen mir etwas tun zu müssen, dass sie nicht wollte.

Noch jemand anderes?“ Gespielt gelangweilt betrachtete ich meine Nägel, bis mich ein Räuspern dazu brachte, meinen Kopf zu heben. Harvey, der mich neulich in meinem Traum zugetextet hatte, hob tatsächlich die Hand.

Misstrauisch beäugte ich ihn und Ross, da ich mir sicher war, dass sie einen Plan hatten. Vermutlich um mich noch mehr bloßzustellen, als sie es nicht ohnehin schon taten, jetzt wo sie Bescheid wussten.

Tränen traten mir in die Augen, als mir klar wurde, dass es wieder passieren würde. Wer wusste schon, ob es nicht noch schlimmer werden würde, als damals! Ich hatte so sehr gehofft, diese Zeit hinter mir lassen zu können, aber er hatte es kaputt gemacht. Er wusste verdammt nochmal zu viel! Wie er überhaupt auf die Idee gekommen war, nach meinem Gendefekt zu suchen, war mir ein Rätsel, aber das war mir im Grunde genommen auch völlig gleichgültig.

Wütend biss ich mir auf die Zunge und atmete tief ein, bevor ich so ruhig wie möglich fragte: „Harvey, ist das eine Meldung?“ Eifrig nickte er, schnappte sich einen Zettel und stampfte zu mir nach vorne.

Es hörte sich an, als würde ein Elefant auf mich zugerannt kommen. Fehlte nur noch, dass der Boden gleich anfangen würde zu vibrieren, aber das passierte dann zum Glück doch nicht. Wieso lief er denn so? War das etwa normal? Bisher war es mir zumindest nicht aufgefallen, aber er war auch noch nie an der Tafel gewesen.

Ich warf ihm die Kreide zu, die er geschickt auffing, auch wenn ich ein wenig das Ziel verfehlte. Schnell trat er vor und drückte mir den Zettel in die Hand, den ich reflexartig festhielt. Hier vorne konnte ich ihn wohl kaum lesen, auch wenn ich sowieso mit Beschimpfungen rechnete, deshalb zerknüllte ich ihn meiner linken Hand, damit ich wenigstens eine frei hatte.

Wie zu erwarten gewesen war, hatte er in Wirklichkeit keine Ahnung, wie er die Gleichung lösen sollte. Mir war es egal, ob es dumm war, oder nicht, aber ich flüsterte ihm kontinuierlich die Lösungen zu, bis er es tatsächlich geschafft hatte. Auf dem Weg zurück zu seinem Platz lächelte er mich kurz an und flüsterte mir ein Dankeschön zu.

Überrascht schaute ich ihm nach, schüttelte aber schnell den Kopf und nickte zustimmend: „Das ist richtig, Harvey.“ Konnte ja nicht schaden, wie ein richtiger Lehrer zu loben, auch wenn ich alles vorgesagt hatte. Ein wenig verloren blickte ich unseren Lehrer an, der gegen die Wand gelehnt dastand und nichts tat, was mich völlig verunsicherte. Wenn er jetzt noch anfinge zu schnarchen, wäre ich nicht einmal überrascht.

Wie wäre es mit noch einer Rechnung?“ Stirnrunzelnd versuchte ich die Minen meiner Mitschüler zu lesen, was praktisch unmöglich war. Zu meinem Erstaunen kam die erste Reaktion von Ross, der tatsächlich ein leises, aber bestimmtes „Ja“ murmelte.

Verwundert über seine Reaktion fiel mir die Kreide aus der Hand, nach der ich mich peinlich berührt bückte. Gerade als ich in die Knie gehen wollte, rollte sie unter den Pult, weshalb ich mich noch ein wenig weiter bücken musste.

Ein lautes Ratschen ließ mich zusammenfahren und ich meine Wangen wurden augenblicklich glühend heiß. Ein feiner Luftzug streife meinen Rücken, bis hinab zu meinem Hintern. Dieses verdammte Kleid! Als ob es nicht reichte, dass ich es tragen musste, musste es jetzt natürlich auch noch reißen!

Beschämt drehte ich mich so, dass möglichst wenige meiner Klassenkameraden Einblicke in meinen weitgehend freigelegten Rücken hatten. Mein Lehrer schien immer noch gedanklich völlig abwesend zu sein, während ich am liebsten im Boden versunken wäre.

Sowas konnte auch nur mir passieren. Zuerst passierte eine Weile lang gar nichts, in der ich mich schämte, aber dann begann jemand zu lachen. Jeder Laut bohrte sich in mein Herz wie kleine Nadeln und ich hatte Angst, jetzt und hier in Tränen auszubrechen.

Das Blatt fiel mir aus der Hand, aber es war mir völlig egal. Mein Magen schlug Purzelbäume, aber es war kein angenehmes Gefühl, eher, als ob jemand mich dauerhaft auf den Kopf stellen würde.

Atmen konnte ich nur noch in Stößen, was niemandem aufzufallen schien, bis auf Dawn. Mitleidig schaute sie mich an, lächelte mich aufmunternd an und tötete dann sämtliche meiner Mitschüler mit Blicken.

Wütend schlug sie auf den Tisch, weshalb plötzlich alles still wurde und jeder sie ansah. Ich nutzte die kurze Lachpause, um mich mit dem Rücken gegen die Wand zu lehnen, ließ aber dann doch einen kleinen Abstand. „Hört auf!“

Ihre Stimme war mehr ein Knurren, dennoch war ich mir sicher, dass jeder sie verstanden hatte. Ungläubig wurde sie beäugt und auch ich war verwirrt. Bisher hatte sich noch nie jemand für mich eingesetzt, doch da stand Dawn und schüchterte alle ein.

Das war also Freundschaft. Mit den Lippen formte ich einen stummen Dank, bevor ich blinzelte um die Tränen zurückzuhalten.

Hier“, flüsterte jemand nahe an meinem Ohr, weshalb mir das Herz abermals in die Hose rutschte. Bevor ich aber etwas erwidern konnte, hatte mir schon jemand seine Jacke um die Hüfte gebunden und damit Dawns Ablenkungsaktion wunderbar ausgenutzt. Mir blieb nicht einmal Zeit, um mich zu bedanken, aber ich war ohnehin völlig verwirrt von dieser Aktion.

Warum tat er das?                  

------------------------------------ Danke für so viele Reads, Votes und Kommis <3

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