Kapitel 38

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Ich atmete tief die kühle Nachtluft ein. Überall hier roch es nach Wasser, deshalb nahm in den Salzgeruch auch kaum noch wahr. Meinen Kopf hatte ich aus dem Fenster gestreckt, meine Füße standen auf dem Fensterbord.

Ich hatte den Rücken gekrümmt, um überhaupt im Fenster Platz finden zu können. Ein schwacher Wind wehte mir entgegen, und blies mir die Haare ins Gesicht. Ich löste meine linke Hand aus dem Fensterrahmen, um sie wieder an ihren alten Platz zu bringen.

Ich wollte sehen, wo ich meine Füße als nächstes hinstellen musste. Zuerst sah ich nach rechts, um mich zu vergewissern, dass mich niemand sehen würde. Ich wollte nicht herausfinden, ob jemand die Polizei rufen würde, wenn er zwei völlig verrückte Menschen dabei beobachtete, wie sie aus einem Hotelzimmer kletterten.

Nun mach schon", drängte Ross mich. Bald wäre die Sonne untergegangen und dann würde ich unter keinen Umständen einen Fuß nach draußen setzen. Kletterpartien bei Dunkelheit ersparte ich mir lieber.

Seufzend setzte ich einen Fuß auf das steinerne Sims, das nach vorne ragte. Ich musste wirklich lebensmüde sein. „Halte mich wenigstens fest", bat ich ihn, bei einem Blick in Richtung Boden. Am liebsten wäre ich sofort wieder umgedreht.

Vorsichtig drehte ich mich um, sodass ich nun wieder in das Badezimmer schaute. Ich lehnte mich zurück, bis meine Arme komplett ausgestreckt waren. Als ich nach oben sah, zog sich mein Magen ängstlich zusammen. Wie sollte ich da hochkommen? Nie im Leben würde ich das schaffen! Endlich tat Ross, worum ich ihn gebeten hatte und legte seine Hände an meine Hüften.

Wenn ich das Gleichgewicht verlieren würde, wäre es keine Sicherung, aber ich fühlte mich dennoch ein wenig sicherer. Besser so, als ganz ohne ihn. „Rechts von dir aus, sollte eine Leiter sein."

Meine Finger verkrampften sich um den Fensterrahmen. Zögernd sah ich über meine Schulter nach rechts. Tatsächlich, dicht an der Wand befand sich eine kleine Feuerleiter. Sie war nicht weit weg, aber die Entfernung zu überwinden, wäre dennoch eine Mutprobe für mich.

Ich atmete tief ein und löste erneut eine Hand. Jetzt war alles, das mich hielt, meine linke Hand und Ross' Arme. Angespannt hielt ich den Atem an und streckte meinen Arm aus. Als sich die Hand um das kühle Metall schloss, spürte ich die Erleichterung sofort.

So nah an der Wand, wie es für mich möglich war, rutschte ich nach rechts, um auch ein Bein auf die Leiter zu stellen. Ross konnte mich jetzt nicht mehr halten, da ich zu weit von ihm entfernt war.

Ich schloss die Augen, als ich meine Hand aus dem Fensterrahmen löste, um sie neben meiner anderen zu platzieren. Jetzt fehlte nur noch ein Bein. Ich verkrampfte meine Finger, als ich das Bein nachzog und nun auf der Feuerleiter stand.

Es wunderte mich fast, dass ich es überhaupt geschafft hatte. Ohne mich weiter danach umzublicken, kletterte ich nach oben. Auf gar keinen Fall wollte ich auf dieser rostigen Leiter stehen bleiben.

Je näher ich der Dachkante kam, desto ruhiger wurde ich. Fast hatte ich es geschafft. Als ich meinen Kopf über die Kante schob, fiel mir als erstes die leichte Steigung auf, die das Dach hatte.

Aber sie war wirklich nur leicht, weshalb es nicht mehr lange dauerte und ich sicher und vor allem weit weg vom Rand auf den Ziegeln saß. Ross kletterte wesentlich schneller als ich, denn es dauerte nicht lange, bis er sich neben mich sinken ließ.

Die Sonne war wirklich schon fast untergegangen, in den Gassen hatte es so gewirkt, als wäre sie schon hinterm Horizont verschwunden. Ein graues Dächermeer erstreckte sich über die gesamte Fläche Venedigs.

Nur wo die Kanäle und Gassen entlangliefen, klaffte Leere. Als hätte jemand die Rüstung der Stadt mit einigen Messerhieben durchtrennt. „Du hast recht, die Sicht ist atemberaubend." Ich nickte kaum merklich.

Grey world a german Ross Lynch FF ♥ (R5)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt