Kapitel 10

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»Scheiße«

Die Waffe landete klirrend am Boden.

Er hatte verfehlt.

Also, wieso konnte ich mich nicht vom Fleck rühren? War es die Angst, die ich verspürt hatte, weil mir das Gefühl der Hölle plötzlich wieder so nah gewesen war?

Es war wie als wäre ich in Wasser getaucht. Geräusche, Bewegungen.. ich nahm sie nur nebenbei wahr. Auch, als der Widerling so wie die anderen zwei Male auf mich zu gestürmt kam, konnte ich nichts machen. Ausweichen war also keine Option mehr.

Reflexartig keuchte ich auf, als mein Körper mit voller Wucht auf den Boden geschleudert wurde. Der Aufprall war so hart gewesen, dass er mich aus meiner unerträglichen Starre riss. Mein Versuch, mich von ihm zu reißen, missglückte. »Endlich« murmelte er schadenfroh, entfernte sich von mir und holte aus. Mein Gesicht flog heftig zur Seite und der Schmerz machte sich bemerkbar, ehe meine Wange vertaubte. Meine Maske landete einige Meter daneben auf dem Boden. Warme, metallige Flüssigkeit floss mir aus meinem Mund.
»Du hättest deine Taten überdenken sollen, jetzt wirst du hier elendig vor dich hin krepieren.«
Nein.
Das konnte nicht sein.
Ich war nicht zurückgekehrt nur um wieder zu sterben.

Der schmerzvolle Druck an meinem Bauch, als er voller Kraft dagegen schlug, ließ mich aufkeuchen. Mein Versuch, mich wenigstens aufzusetzen, war umsonst gewesen. Ich war zu schwach.
Obwohl ich 400 ganze Jahre am schlimmsten Ort den es gab verbracht hatte, war ich zu schwach. Das war erbärmlich.

Ohne mich zu wehren, schlug er immer wieder auf mich ein. Wäre ich doch nur nicht so ein armseliger Schwächling, könnte ich viel mehr Leid in meinem Leben verhindern.
»Das war noch lange nicht alles« seine ekelhafte Stimme ließ mich aufhorchen. Wollte er mich jetzt ein für alle Mal umbringen?
Als er mir plötzlich mein Kleid vom Leib' riss, verstand ich. »Nein« flüsterte ich geschwächt und schlug ihm seine Hände weg, doch das reichte nicht. Jedesmal verpasste er mir einen Schlag ins Gesicht, wenn ich mich versuchte zu wehren.

Als ich schon die Hoffnung an Gwendolyn verloren hatte, hörte ich plötzlich Schritte und Gerede. »Verflucht« anscheinend hatte Hugo sie auch gehört, denn er ließ von mir ab und versuchte abzuhauen, wäre da nicht Jaysons gewesen, der ihm sein Schwertrücken mit voller Wucht auf den Kopf schlug, sodass er an der gleichen Stelle zusammen brach. Autsch, immer war es sein Kopf.

»Marly!« schrie Gwendolyn und lief mit einem geschocktem Gesichtsausdruck auf mich zu. Mit aller Mühe setzte ich mich auf und dankte ihr dafür, dass sie Hilfe geholt hatte. Die Tränen in ihren Augen wischte sie sich schnell weg, bevor sie mich in den Arm nahm.
»Hier« bot mir Jayson sein Jackett an, welches ich dankbar annahm. Wäre doch peinlich gewesen, halbnackt durch die Gegend zu laufen. Auch wenn es bereits stockdunkel war und noch kaum Leute auf den Straßen.

»Du hättest nicht abhauen sollen.« belehrte er mich, als er sich zu mir hockte und mir beruhigend über den Rücken strich. »Ich bereue gar nichts, Jayson.« lächelte ich ihn verletzt an.

Der Gedanke, dass das Schlimmste überstanden war, verflog sofort als ein weiterer Schuss erklang.

Gwendolyn sackte vor mir zusammen.

Das Lachen dieses Widerlings war zu hören.

»Mission erfüllt«

Ein riesiger Blutfleck bildete sich am Boden, wo Gwendolyn mit aufgerissenen Augen lag.

»Nein«

Meine Stimme war nichts mehr als ein heiseres Krächzen.

Er hat sie dreist umgebracht.

Er hat ein Menschenleben genommen, obwohl er kein Recht dazu hatte.

Die Wut übermannte mich und war stärker als meine unterträglichen Schmerzen. »Du Miststück« mit letzter Kraft entzog ich Jayson seinen Dolch, der an seiner Hose befestigt war, sprang auf und lief auf ihn zu.
Meine Beine versagten und ich landete glücklicherweise direkt vor ihm. Schnell holte ich aus und freute mich schon, sein Fleisch zu durchbohren, seine schmerz erfüllten Schreie zu hören, sein Gesicht zu sehen, wenn er bemerkte, wie das Leben langsam aber sicher aus seinem Körper wich.

Doch ich traf nicht.
Jemand hielt mich fest, eher gesagt meinen Arm.
»Nicht, Marly.« flüsterte er mir beruhigend ins Ohr zu und sorgte dafür, dass der Dolch klirrend auf dem dreckigen Boden landete. Tränen liefen mir über meine Blut befleckten Wangen und ließen mich verzweifelt aufschreien. Sie war doch so ein guter Mensch gewesen..

»Schon gut« wisperte er und schloss mich in seine großen Arme, das einzige, was mir momentan Halt schenkte.

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»Gwendolyn Sekderna«

Ein Grinsen lag auf seinem Gesicht, als er ihren Namen von seiner Liste strich. Dass sie dafür Hugo verloren hatten, interessierte ihn kein Stück. Der faule Fettsack war sowieso zu nichts zu gebrauchen gewesen, dachte er sich befriedigt.

»Und du sagst, dass diese Frau eine Gefahr werden könnte?« richtete er seine Frage an den jungen, blonden Mann, der dem Geschehen entwischt war. Seine Belustigung über das Gesicht dieser Frau, als sie dachte, er hätte wirklich auf sie gehört, zeigte er mit völliger Offenheit.

»Das denke ich. Eine Adelige, die Einfluss haben könnte. Ich glaube ihr Name war Stern. Gerüchten zufolge solle sie eine grausame und schreckenswerte Person sein, die zum Spaße mordet, aber so kam sie mir nicht vor.«

Der Mann an dem Schreibtisch nickte, spielte mit der Feder in seiner Hand. Noch etwa zwölf Personen in seiner Liste, die noch lebten. Eine war eingekreist, der Favorit dieser Liste.

Sean Ketaskos.

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