Kapitel 2

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»Entschuldigung« sofort lief ich weiter, nachdem ich mich bei der Person, in der ich durch die Eile hinein gelaufen war, entschuldigt hatte. Die Kapuze tiefer ins Gesicht ziehend schlängelte ich mich durch die Menge und blieb bei einer süßen, kleinen Bäckerei stehen. Wie lang es wohl her war, seitdem ich meinen geliebten Blaubeerkuchen gegessen hatte? Ich wollte es gar nicht wissen, jetzt musste ich mich auf die jetzige Realität konzentrieren.
Das Wasser lief mir im Mund zusammen, als ich die leichte Tür ausdrückte und den kleinen Laden betrat, der einen gemütlichen Eindruck machte. Der Geruch von Süßem hing in der Luft und ich atmete tief ein.

Nach all dieser Dunkelheit, dieser Schmerzen und dem Leid in der Hölle konnte ich endlich die Sonne erblicken. Das Leben spüren. In den blauen Himmel hinaufsehen. Durch meinen Aufenthalt in Erebos' Zuhause hatte ich vieles gelernt.

»Schönen Tag, Madam« begrüßte mich ein kleinlicher, pummeliger Mann mit orangem Haar und Sommersprossen. »Was kann ich ihnen servieren?« fuhr er fort und deutete auf einen leeren Platz in der Bäckerei. »Einen Früchtetee und Blaubeerkuchen bitte.« lächelte ich freundlich und setzte mich an den Platz.
Die rosa gestrichenen Wände und die weißen Möbel verliehen diesem Ort einen gewissen Touch. Die Stimmung war ruhig, jeder schien glücklich zu sein. Am liebsten würde ich den Rest meines Lebens hier verbringen, aber ich konnte leider nicht. Irgendwann, wenn die Sharpe's Familie endlich weg war, müsste ich wieder zurück und mein Verschwinden erklären.
»Weil ich meinen Verlobten und zukünftigen Mörder nicht sehen will.«, könnte ich schlecht sagen, sie würden mich für verrückt halten. Immerhin schien es, als würde er mich aus ganzem Herzen lieben. Aber das tat er nicht und würde er auch nie, was ich einerseits auch verstehen konnte. Immerhin war ich schrecklich und Mordlustig unterwegs gewesen in meinem früheren Leben.

Der Gedanke, eine zweite Chance bekommen zu haben, ließ mich nicht los. Erebos war ein kaltherziges Monster, aber wer war Hemera gewesen? Er schien genauso überrascht wie ich von ihrem Erscheinen. Vielleicht war sie die Göttin des Himmels? Oder die Göttin der Wiedergeburt? Am wichtigsten aber war, warum eine Person wie ich die Chance bekommen hatte, mein Schicksal zu ändern? Ich hätte noch weitere 400 Jahre in der Hölle verdient.
»Bitteschön« lächelte Sommersprosse und legte den Kuchen, der köstlich aussah, und den Tee auf den Tisch. Obwohl er es hinter seinem Lächeln gut verbarg, konnte ich Neugier in seinen Augen widerspiegeln sehen. War es weil ich mit einem Umhang, der alles von mir verdeckte, angezogen war? Oder weil ich viel zu arm aussah, um in so einem teuren Laden zu essen? Dann wäre letzteres sogar gut, denn das hieße mein Plan wäre aufgegangen. So würde keiner auf die Idee kommen, dass Marly Najera Stern in einem Laden wie diesem hier, angezogen wie eine Bauerin, sein würde.

»Das wären dann bitte zwei Silberstücke und ein Bronzestück.« sein Dauerlächeln schien mir irgendwann ziemlich verdächtig, doch ich konnte ihn nicht durchschauen. Spielte er ein anderes Spiel? Wusste er, wer ich war und würde mich jetzt erpressen?
»Sicher« murmelte ich und kramte aus der Tasche meines kurzen Rockes das besagte Geld. Als ich bemerkte, dass ich leider nur vier Goldstücke und keine Silbernen oder Bronzenen hatte, sah ich auf. Wow. Der Typ würde mir gleich auf die Hände sabbern, so, wie der das Gold betrachtete. »Geht ein Goldstück auch?« fragte ich und seine Augen schienen ihm aus dem Gesicht zu fallen. »Aber natürlich!« gierig griff er nach dem Stück und verkroch sich sofort wieder ins Hinterzimmer.
Natürlich war mir klar, dass ein Goldstück viel mehr Wert war, als das, was er mir genannt hatte. Um genau zu sein, waren es 12 Silberstücke. Auch wenn ich Jahre nicht mehr hier war konnte ich mich an vieles erinnern.

Wie zum Beispiel welcher Zeitabschnitt das aus meinem Leben war. Dadurch, dass Ronella meinte, ich hätte hohes Fieber gehabt, konnte ich herausfinden, dass ich jetzt 16 Jahre alt war. In dem Alter, wo ich zu den Sharpe's ziehen, Ronella töten und letztenendlich auf eine braune Schönheit, die Verlobte des Kronprinzen treffen würde. Meine Eifersucht auf sie war so stark, dass ich mehrere Male versucht hatte, sie zu verschrecken, damit sie nicht mit dem Prinzen zusammenkam. Eine Liebe zu Jayson gab es nie. Ich hatte ihn mehrmals betrogen und wollte den Prinzen dazu bringen, sich in mich zu verlieben, damit ich ihn heiraten konnte und mehr Macht bekam. Aber glücklicherweise ist das nie passiert, denn die Braunhaarige Verlobte war Helena Stenhouse, geliebt vom Volk und unterstützt vom Königreich. Man könnte sagen sie ist die Hauptperson, diejenige, die Frieden bringen wird und ein tolles Happy End bekam.
Und ich war nur ein unbedeutender Nebencharakter, der sowieso sterben würde.

Die Glocke der Tür ertönte, als ich den Laden verließ. Voll gestopft lief ich die Straßen herab, stets darauf bedacht, nicht aufzufallen.
Plötzlich fühlte ich einen kurzen Schmerz an meinen Beinen und sah augenblicklich herab. »Tut mir Leid Madam!« rief der kleine Junge mit seiner hohen Stimme zu mir herauf, nachdem er in mich hinein gerannt war.

Warmer Wind blies mir ins Gesicht und riss meine Kapuze herunter. Geschockt weiteten sich die braunen Augen des kleines Jungens und sofort trat er einen Schritt zurück.

»Oh Gott, das ist ja Marly Najera Stern!«

»Der arme Junge, sie wird ihn nicht ungeschoren davon lassen.«

»Dabei ist er doch so jung.«

Tränen bildeten sich in seinen Augen und er warf sich förmlich auf den Boden. »Bitte, bitte verzeihen Sie mir! Ich wollte nich-«

»Hey Kleiner, es ist alles gut.« meine Stimme klang durch die plötzliche Stille viel zu laut.
Ich kniete mich zu dem völlig fertigen Jungen hin. »Ich tu dir nichts, sei nicht traurig.« streichelte ich seine kleinen Schultern und verwundert sah er zu mir auf. »Wirklich?« fragte er ungläubig und Tränen fielen auf den Boden. »Ja. Hier, nimm das.« ich drückte ihm ein Goldstück in die Hand und lächelte ihm zu. So wie er angezogen war, sah er aus wie ein armer Bauernjunge. Dann stand ich selbstsicher auf, zog mir die Kapuze wieder auf den Kopf und rannte los.

Bloß weg von hier.

Würde zwar nicht viel bringen, weil es mittlerweile die ganze Stadt mitbekommen hatte, aber trotzdem sollte ich mich weiterhin unauffällig verhalten.
Die Gerüchte würden bald ihren Lauf nehmen, doch das hielt mich nicht davon ab, meine Sünden rückgängig zu machen.

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