Kapitel 29 - Kloë

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Ein schlauer Mann sagte mal: "Der Kummer, der nicht spricht, nagt leise an dem Herzen, bis es bricht." Um genau zu sein, war es zwar William Shakespeare, der diesen Satz in MacBeth niederschrieb, aber wer legte schon wert auf Details.
Jedenfalls sagte ein schlauer Mann einmal diesen Satz und anhand meiner Freunde konnte ich dessen Richtigkeit nur allzu bestätigen. Alleine Brittany fraß den Kummer über Isaac in sich hinein und sprach bloß Gutes über ihn. Und Emily war sowieso verschwiegen, was ihre Gefühle anging. Ich dachte bloß über den Satz nach, weil ich nicht wollte, dass einer diesen Herzensbruch erlitt. Ich dachte nicht darüber nach, weil ich einen Stich im Herzen fühlte, als ich Miss Lithgow um die Ecke des Gangs schlendern sehen kam, anstatt Jonathan. Und ich dachte auch nicht darüber nach, weil ich keinem meiner Freunde in den vergangenen zwei Wochen meine Herzensstiche mitteilen konnte, da Ferien waren. Das war doch absurd! Andererseits wäre ich um ein offenes Ohr dankbar gewesen... .Maddy war jedoch bis gestern Abend noch auf den Bahamas gewesen und ist nach ihrer Ankunft gleich auf dem Bett zusammengeklappt, Britt vergnügte sich noch bis heute Abend auf den Phillippinen und Emily.... Sie hatte genug eigene Probleme. Da musste ich ihr nicht noch meine auf den Rücken binden. Der Einzige, der mir zugehört hätte, wäre wahrscheinlich Jonathan gewesen, aber er war ja das Gesprächsthema. Zugehört hätte vielleicht auch Dean, aber der wäre wahrscheinlich zu bekifft gewesen, als dass er etwas mitbekommen hätte. Unterm Strich hatte ich all meinen Kummer begraben, nein. Nicht Kummer. Meine Sorge! Ich hatte meine Sorge begraben (und das war ganz sicher nicht der Grund, weshalb ich über Shakespeare nachdachte!) und mich abgelenkt...
Vielleicht brauchte ich auch Ablenkung von meinen anderen Gedanken. Und meinem Aussehen.
Ich blickte in den großen Badspiegel und fuhr mit meinem Finger meine schwarzen Krater unter den Augen nach. "Wie tief sind denn bitte meine Augenringe?", stöhnte ich müde. Es war Sonntag und ich hatte die letzten Tage nur wenig geschlafen. Nach meiner Erkenntnis, dass Jonathan mein erster Kuss war und ich keinerlei romantischen Gefühle für ihn hatte, waren meine Nächte nur sehr langsam und auf jeden Fall schlaflos vergangen.
Zu faul mir Make-up aufzutragen, da es spätestens bei der Gartenarbeit wieder ruiniert sein würde, trottete ich los zum Lehrerzimmer.
"Ähm, ich bin hier für die Gartenarbeit", seufzte ich verschlafen den alten Lehrer an. Im nächsten Moment kam aber nicht mein Physiklehrer aus der Tür, sondern meine absolute Lieblingslehrerin: Mary Lithgow. Sie unterrichtete Musik und Kunst und war ein Lichtblick in der gesamten grauenhaften Lehrerschaft! Doch in dem Moment machte sich ein unangenehmes Gefühl in meinem Magen breit. Es fühlte sich ein bisschen so an, als entständ ein mächtiger Unterdruck im meinem Bauch, der alles zusammenzog. Oder aber ich irrte mich in dieser Beschreibung, schließlich hatte ich keine Ahnung von Naturwissenschaften... Seltsames Magengefühl hin oder her: Es war Zeit für meine Gartenarbeit. Heute war meine Aufgabe erneut Blumen umzupflanzen. Diesmal waren die verschiedensten Rosenarten an der Reihe! "Soll ich dir helfen, Kloë?", fragte Miss Lithgow ohne Erwartungen an eine Antwort nach. Sie setzte sich einfach zu mir ins Beet und fing an zu graben. Die alten Blumen wurden ausgegraben, andere Blumen eingegraben, die alten oder halbwegs kaputten Blumen kamen in besonders nährstoffreichen Boden und zum Schluss wurde alles noch einmal bewässert. "Puh, das wäre geschafft!", keuchte Miss Lithgow, während sie sich den Schweiß von der Stirn wischte. "Damit wäre deine Strafe offiziell beendet. Glückwunsch! Das Frühstück beginnt in Kürze. Sieh zu, dass du pünktlich vor Ort bist!"
Damit verabschiedete sich die kleine Lehrerin mit dem Dutt auf dem Kopf von mir und marschierte zurück zum Schulhaus. Ich nutzte noch meine verbleibende halbe Stunde, um mich frisch zu machen - beziehungsweise mir den Dreck aus dem Gesicht zu wischen - um mich anschließend mit Emily und Maddy zum Frühstück zu treffen. Normalerweise mussten alle aus einer Etage des Wohnhauses an einen Tisch, jedoch zählte dieser Sonntag noch zu den Ferien und außerdem waren noch immer ein paar Menschen im Flugzeug auf dem Weg hierher, und so durften wir ausnahmsweise sitzen, wo wir wollten. Zusammen klapperten wir das Buffet ab und brachten unsere vollgeladenen Teller an unseren Tisch.
"Leute!", zog Maddy ihre Augenbrauen ganz aufgeregt nach oben. "Ich habe mich mit Josh ausgesprochen!" Nur mittelmäßig interessiert fragte ich nach: "Wirklich?" Sie erzählte alles haargenau und mit all dem Enthusiasmus, der ihr in den letzten Tagen gefehlt hatte. Anscheinend war sich Josh der Beziehung noch nicht vollends sicher, da er ihr "noch nicht alles über sich erzählt hatte". Er hatte irgendwas zu verbergen, aber hatte das nicht jeder? Ich zum Beispiel verschwieg der gesamten Schule den Kuss mit Jonathan!
Ich fragte auch bei Emily nach wie sie sich fühlte, aber wie realtiv oft, gab sie nur wenig Auskunft. Schnell wechselten wir das Thema auf das bald anstehende Landschulheim, um unsere Vorfreude auszudrücken und gleichzeitig wenigstens für diesen Moment die Männer aus unserem Leben zu verbannen. Als wir fertig mit essen waren, riefen wir die Angestellten zum Abräumen und teilten uns auf. Zum Einen wollte ich in Ruhe in einem Lernraum Physik lernen, um jemanden nicht zu enttäuschen und zum Anderen musste Emily den jüngeren Schülern Nachhilfe geben und Maddy wollte sich mit Will treffen. Was sie und der Streberjunge miteinander wollten, war eine Frage fürs All, aber das traf sich zu meinem Gunsten!
Erschöpft ließ ich mich auf den Stuhl fallen und stöberte nach meinen Physiksachen. Wenn man sich mal intensiv mit Physik beschäftigte, wirkte es gar nicht mal mehr so schwer!
Das war natürlich eine Lüge!
Ich kapierte nichts. Umrechnen, Formeln, Verständnis... All das fehlte mir. Ein Vortschritt war jedoch, dass ich wusste, dass ich die angegebenen Größen umrechnen musste, bevor ich sie verwenden konnte. Viermal die Aufgabe durchlesen und zehnmal aufstöhnen später schaute ich hoffnungslos auf das endlose Sammelsurium an Dummheit, welches ich auf mein zuvor leeres Blatt produziert hatte. Entnervt packte ich meine Physiksachen wieder in meine WWF-Stofftasche und atmete noch ein elftes Mal geräuschvoll aus. Plötzlich hörte ich einen strengen Ton bis zu mir tönen. "Mister Lambert, nach widerholtem Vergessen der Hausaufgaben stehen sie nun in Literatur auf einer 4. Das ist inakzeptabel! Mister Griffin ist schon auf dem Weg hierher und wird über sie richten!", grunzte eine tiefe Stimme.
Die Tür des Lernraums war einen Spalt geöffnet, so konnte ich, wenn ich mich zur Seite lehnte, einen wenig behaarten, grauen Kopf sehen und zwei runde Brillengläser. Er kam mir bekannt vor, doch ich konnte ihn nicht zurordnen. Gedanklich durchforstete ich alle Lehrer der Schule.
"Und nebenbei bemerkt sind sie in Psychologie ebenfalls abgerutscht! Was mal eine 2 war ist nun - ich kann es nicht glauben - eine 2,75!"

McFlurry-Sweeter than ice creamWhere stories live. Discover now