Kapitel 24 - Madeleine

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Was hatte das Leben nur mit mir vor?
Es gab immer ein Auf und Ab mit den Gefühlen. Es gab immer eine Entscheidung, die es zu treffen galt. Bei Britt war es Isaac, der ihr ein unsagbares Hochgefühl schenkte, sie aber gleichzeitig ohne Vorwarnung in eine tiefe Frustration stieß. Emily war schon immer ein Auf und Ab, der Unterschied war, dass sie es verschwieg. Nur an ihrem Gemüt konnte man ihren Zustand erkennen und so, wie ich das sah, riss es sie häufig hin und her zwischen einer sorglosen Heiterkeit und einer Traurigkeit, die fast Depressionen glich. Von Kloë wollte ich gar nicht erst anfangen. Ich hatte ihr gesagt, dass ich von ihrem Kuss erfahren hatte. Es war das Richtige, das spürte ich. Durch meine Ehrlichkeit war sie anschließend ebenfalls ehrlich gewesen. Sie hatte mir erzählt, was in ihr vorging - ihre Wut auf Becky, ihre Angst ihn als Freund zu verlieren, ihre Schuldgefühle, die sie empfand, wenn sie ihn sah, wie er sich selbst zwang, sie anzulächeln und dieses warme Gefühl, dass sie begleitete, wenn sie an ihn dachte. Das Leben all meiner Freunde war unglaublich kompliziert, doch meines machte diesen Konkurrenz. Zwei junge Männer. Einer war homosexuell, der Andere nicht. Allerdings empfand ich für beide etwas. Ich wusste es würde kompliziert werden, wenn ich mich zu sehr auf die Beiden einließ, doch mein Herz arbeitete gegen mich. Wenn ein Mann homosexuell war, wie konnte sich dann eine Frau in ihn verlieben? Meine Gefühle für Raffi gingen sogar so weit, dass ich während der Talkshow an ihm haftete wie eine Klette an den Klamotten. Auf der anderen Seite gab es da Josh. Wenn ich bei ihm war, fühlte ich mich geborgen, sicher und verstanden. Ein solches Gefühl war unbeschreiblich schön. Da konnte mir mein Herz nur zustimmen, schließlich drohte es jedes Mal zu platzen, wenn ich Josh sah. Ich war gespalten. Ein Teil war bei Josh, der andere bei Raffi.
"Wie kann ich mich bloß entscheiden?", quängelte ich an Emily und Kloë gewandt. Wir saßen alle in meinem Zimmer und schütteten unsere Herzen aus. Ich teilte meine Unentschlossenheit gegenüber der beiden Brüdern. Warum mussten sie auch Brüder sein? Das machte die Sache nur komplizierter! "Vertraue doch einfach mal auf dein Herz und sage es dem, dem dein Herz es sagen will!", meinte Emily. Sie hätte eine Kummerkastentante im Internet sein können, sie gab genauso schlaue Sprüche! Das Problem war: Diese Sprüche halfen keinem weiter. "Mache einfach gar nichts", äußerte sich auch Kloë. "Das Leben wird das schon korrekt geplant haben!" So korrekt konnte es nicht geplant gewesen sein. Es gab etwas, was ich meinen Freunden noch nicht gesagt hatte. "Isaac hat gefragt, wer ihn bei French Kiss geküsst hat!", verkündete ich mein seit einem Tag behütetes Geheimnis. "Ich glaube Raffi hat ihn geküsst!" Emily schaute mich schockiert an und setzte gerade zum Sprechen an, da plapperte ich schon weiter. Ich wollte vorerst nicht hören, was sie zu sagen hatte. Sie würde wieder ihre Sozialpädagogin raushängen lassen und das sollte sie erst, wenn sie alles gehört hatte. "Ich habe Raffi damit konfrontiert, dass er auf Isaac stehen soll und er hat es nicht mal abgestritten! Jetzt bei French Kiss wurde er geküsst und Raffi ist seitdem total, wie soll ich sagen, beflügelt! Ich glaube, ich darf bei Raffi einfach nur die beste Freundin bleiben. Die Frage ist nur, ob ich das kann. Andererseits zeigt Josh nur freundschaftliches Interesse an mir, aber bei ihm habe ich genau das selbe Gefühl! Dieses Gefühl ist unangenehm!", erläuterte ich meine Situation. "Ich denke, ich wähle einfach keinen und warte weiterhin auf meinen Traummann auf dem weißen Ross, der irgendwann angeritten kommt und für mich durch das Schicksal bestimmt ist."
Kloë schüttelte den Kopf: "Und was ist, wenn einer von den Beiden dein Schicksal ist?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es nicht."
Emily hatte ihre Sprache verloren. Ihre Augen unnatürlich geweitet, genervte Gesichtszüge verzogen ihre sonst so glatte Haut und ihre Augenbrauen waren, wie immer, wenn sie nachdachte, zusammengezogen - ein perfektes Beispiel für die sprachlose Emily.
"Ich weiß es nicht", wiederholte ich noch einmal meine Worte und richtete mich auf. Ich wollte nicht länger in diesem Kummerkreis sitzen. Ich wollte lesen oder mich irgendwie anders ablenken. Träge schob ich mich auf meine Beine und stand schwankend auf. Kiss, der schmusend um meine Beine streifte, half dabei nicht. "Na, Shot?", schnurrte Kloë fast und durchwühlte das ungewöhnlich lange Fell meines Katers. Ich war verwirrt. "Weshalb nennst du ihn Shot? Er heißt Kiss!", pampte ich beleidigt darüber, dass sie ihm einfach einen anderen Namen gegeben hatten. Kloë schaute mich entschuldigend an. "Tut mir leid, aber Kiss ist ein bisschen... naja... Es klingt halt nicht so gut und ist ein wenig weiblich angehaucht. Ich konnte den armen Kater nicht so nennen. Er tat mir leid und deswegen hab ich ihn nach einem Coctail-Shot bennant. Schließlich ist er ein Kurzer!", rechtfertigte sie sich. Fassungslos wanderte mein Blick zu Emily, die widerwillig nickte und somit Kloë zustimmte. Nun war ich es, die sprachlos war. Erst hatte man mir gesagt, der Name sei gut und nun?
"Tut mir echt leid, Maddy", entschuldigte sich Kloë erneut. Ich wich einen Schritt zurück. "Weißt du was? Ist egal", hauchte ich und schüttelte frustriert den Kopf. Auf der Stelle machte ich Kehrt und stolperte aus dem Zimmer. Hinter mir zog ich langsam die Tür zu. Als es wie gewohnt knackte und somit signalisierte, dass die Tür geschlossen war, tappste ich vorwärts. Nun gut, es ging nur um den Namen eines Katers und Kiss hatte mir selbst ebenfalls nicht gefallen, aber es ging ums Prinzip. Man fragte bevor man etwas beschloss. Wahrscheinlich hätte ich der Namensänderung sogar zugestimmt, doch Kloë hatte ihn hinter meinem Rücken umgetauft.
Ich wusste nicht, wohin ich die letzten Minuten gegangen war, doch als ich die Bibliothek erblickte, wurde mir mein Standort sehrwohl bewusst. Es war ein automatisierter Prozess, dass ich zur Bibliothek ging, in egal welcher Lebenslage. Auch in meiner Verbitterung fand ich den Weg zu meinem Lieblingsort ohne darüber nachzudenken. In der Roman-Romantik-Abteilung nahm ich mir ein dickes Buch hervor und klemmte es mir unter den Arm. Zehn Meter weiter befanden sich drei Sitzsäcke. Ich ließ mich in den einzigen, der rot war fallen und schlug das Buch auf. Lesen ließ mich in eine andere Welt fallen und gab mir die Hoffnung auf ein vom Schicksal bestimmtes Leben, jedenfalls wenn ich ein Romantik-Buch las.
Ein Finger drückte gegen meine Stirn. Ich schreckte aus den Zeilen und sah über dem Buch ein tiefseeblaues, wunderschönes Augenpaar. Als die Augen bemerkten, dass ich sie gesehen hatte, verzog sich die Haut um sie herum zu kleinen Lachfältchen, die das Strahlen der Augen betonten. Ich ließ das Buch sinken, schloss es und legte es neben mich auf ein kleines Tischchen.
Sein breiter Brillenrahmen umrahmte seine Augen und stellte sie als eine Art Kunstwerk dar. "Darf ich mich setzten?", fragte der Blondschopf. Mein Hals wurde auf einmal trocken. Meine Gedanken schweiften zu Raphael und, was ich mit ihm erlebt hatte. Es war jetzt schon etwas Zeit vergangen seit dem Beginn des neuen Schuljahres und ich konnte nicht abstreiten, dass bis jetzt ziemlich viel komisches Zeug passiert war. Ich hatte mit Raffi getanzt - zweimal - war neben ihm in meinem Bett aufgewacht und konnte mich bis heute noch nicht an die Ereignisse dieses Abends erinnern. Ich war immer wieder mit Raffi aneinandergeraten. Josh war eher derjenige, der sich unbemerkt ins Herz schlich. Wenn ich genau nachdachte, war ich ganz schön oft mit ihm unterwegs gewesen, doch das war ein schleichender Prozess, den man nur unterbewusst warnahm. Ich verbrachte mit ihm unglaublich viel Zeit, doch bemerkte es erst zu spät.
Er war mit mir auf Kloës Date gewesen, hatte mit mir etliche Treffen in der Bibliothek gehabt und war auch oft einfach so mit mir zusammen gestoßen. Jetzt stand er vor mir und alles schien so kompliziert. Es war auch kompliziert, doch dieser unmittelbare Druck, der vom einfachen Gegenüberstehen ausging, war zusätzlich belastend. Doch gleichzeitig schien alles so klar. Ich hätte mich jetzt auf der Stelle für Josh entscheiden können, aber ich befürchtete, dass ich es später bereuen könnte, da ich zu wenig nachgedacht hatte. Andererseits war Raffi schwul, zudem auch noch in Isaac verliebt, und könnte nie etwas für mich empfinden. Wo wir wieder bei Josh wären. Er war die einzige Option der beiden Brüder und doch stand ich zwischen mir selbst und meinem Glück. Ich stand mir selbst im Weg und hinderte mich gnadenlos daran auch nur ein bisschen vorwärts zu kommen in meinem Leben. "Was ist das für ein Buch?", wollte der Blonde wissen und beugte sich über meinen Schoß, um nach dem schmalen Buch zu greifen. Er berührte mich nicht, er war ungefähr 20 Zentimeter über meinen Beinen und doch spürte ich die Aufregung durch seine Nähe durch meine Adern pulsieren. Ich war wie in einem Rausch - ich war gefangen in einer Schein-Welt. Josh zog seinen Oberkörper hoch und ließ das Buch mitgehen. Sein plötzliches Entfernen löste eine Welle der unterdrückten Emotionen aus. All die Glücksgefühle und Aufregung fluteten mein Gehirn, sodass kein Platz mehr für unnötige Gedanken war. Dort war nurnoch Josh. Einzig und allein Josh. Bevor ich darüber nachdenken konnte, fasste ich sein Handgelenk und zog es vor mich. Ich grub meine Nägel in seine zarte Haut und starrte konzentriert auf den Parkettboden der Bibliothek. "Josh, ich weiß nicht, was das ist. Ich fühle mich komisch bei dir. Ich, ich-", meine Stimme brach ab. Mein Blick wanderte nach oben und suchte Blickkontakt mit dem Brillenträger. "Ich glaube ich mag dich mehr als einen normalen Freund."
Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben, doch dann wurde sein Blick ernst. "Maddy, ich weiß nicht, ob das mit uns funktioniert, weil du mich vielleicht an manchen Stellen anders siehst als ich bin, aber lass es uns einfach mal versuchen", antwortete Josh mir.
Ein inniges Gefühl des Glücks brach in mir hervor. Ich war so überwältigt, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte, doch das musste ich auch nicht. Josh grinste nur vor sich hin und schlug das Buch auf. Ich grinste genauso und musterte meinen neuen festen Freund, während er ein romantisches Buch las.
Ich hatte das Richtige getan. Es schien auf einmal so einfach. Ich mochte Josh mehr als einen guten Freund, aber ob es tatsächlich wahre Liebe war, würde sich noch herausstellen.

McFlurry-Sweeter than ice creamWhere stories live. Discover now