8- "Wie eine Falle"

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"[...] die versagten Anträge auf Urlaub oder Ausflüge, werden hiermit wieder in Betracht gezogen. Der Schulalltag soll unverändert fortfahren und die Anforderungen für einen solchen Antrag bleiben bestehen. Wurde bis zu dem Zeitpunkt der Rücknahme, ein solcher Antrag bereits gewährt, sollen sich die betroffenen Schüler und Schülerinnen mit der Administration in Verbindung setzen. [...]"

- Auszug aus einem geklauten Aushang vom schwarzen Brett in Primwood Hall.

✥✥✥

          „Er hat seine Meinung geändert!" Naim sprang die Treppen des Haupthauses herunter, zwei Stufen auf einmal nehmend. In ihrer Hand wedelte sie einen Zettel wie eine Siegesfahne durch die Luft.

Die Schimmelstute an Sidras Hand scheute von ihr fort, doch eine beruhigende Geste ihrer Besitzerin hielt sie zurück.
„Wer hat was erlaubt?", fuhr Sidra ihrer Freundin an, Ungeduld ein stetiger Begleiter ihrer Worte in diesen Tagen.

Auch Garcy drehte den Kopf. Sie saß auf Mazes Lieblingsfass, nahe dem verriegelten Eingang zu dem Gehöft und hatte Sidras Erklärungen zu dem Tier gelauscht.

Es würde noch eine Weile dauern, bevor Sidra sie gefahrlos auf ein Pferd setzen konnte, aber Wissen schadete niemandem. Vielleicht würde Maze bis dahin auch zurückgekehrt sein und diesen Teil übernehmen. Oder Calean. Oder ihretwegen sogar Gwinn. Obwohl Sidra nicht sagen konnte, dass Gwinn bisher sonderlich viel für die Bildung ihrer Schwester getan hatte.

„Sir Kenrik. Nachdem es zuletzt keine Angriffe der Vogelfänger mehr gab, hat er die Ausflüge wieder... ent-strichen." Keuchend blieb Naim neben ihnen stehen, das breiteste Grinsen auf ihren Lippen, das Sidra jemals gesehen hatte.

„Ent-strichen ist kein Wort", informierte sie das Mädchen knapp und nahm ihr den Zettel aus der Hand. Wenn es ihnen erlaubt sein sollte die Hauptstadt zu sehen, würde Naim an ihrem Vokabular arbeiten müssen. Und an ihrer Kleidung. Selbst Garcy sah mehr nach einer Dame aus als diese dreckigen Lederhosen.

Hastig überflog sie die Zeilen. Naim hatte recht.
Ein Funke Hoffnung erwärmte ihr Gesicht und Sidra gab den Zettel an Garcy weiter.
„Ich werde mit Sir Kenrik sprechen, dass ich nicht alleine gehen möchte", zufrieden strich sie ihren Rock glatt und richtete sich ein Stückchen weiter auf, „Ihr werdet die schönsten Gebäude in diesem Land sehen. Und das beste Essen genießen, bis ihr zu verwöhnt seid, um jemals hierher zurückzukehren."

Begeistert griff Naim nach Garcys Hand und zog sie von der Tonne in einen wilden Reigen, der Sidras Schimmelstute erneut erschreckte. Doch ihre Besitzerin lächelte. Das waren die ersten guten Nachrichten über den gesamten Winter. Sobald sie dort war, würde sie mit den richtigen Leuten sprechen, um an ihr Familienerbe zu kommen.

„Wir werden tanzen! In riesigen Hallen! Und in weicheren Betten schlafen, ohne uns das Zimmer mir zehn anderen Mädchen teilen zu müssen!", rief Naim Garcy zu und hob sie über ihren Kopf. Etwas, das bei Garcys Größe ein wenig übermütig gewesen war, denn sie hielt weder das Gleichgewicht noch die Kraft und fiel stattdessen lachend rückwärts in den Schnee.

Es war das erste Mal, dass Sidra Garcy kichern hörte, als sie Schnee in ihren Händen zu einer Kugel formte und diese nach Naim warf. In den schwachen Strahlen der Wintersonne glitzerte der Moment in den Farben der Eiskristalle.

„Darf ich stören?"

Sidra unterdrückte ein Seufzen. Und schon war der Moment wieder zerstört.
„Hast du nicht irgendeinen Unterricht, für den du zu spät kommst?"

Der Ausdruck des braunhaarigen Mädchens flackerte nicht einen Lidschlag lang. Stattdessen richtete sie ihre braunen Augen auf Garcy.
„Sir Kenrik fragt nach dir. Und bittet Naim ihre ohnehin schlechten Noten nicht durch Unterrichtschwänzen zu verschlimmern."

Jagd der Nebelflüsterer - Der WunschdompteurWhere stories live. Discover now